zum Hauptinhalt

Von Thorsten Metzner: Auf dem Weg zur Platzeck-Affäre

Nach der Vaterschafts-Beichte von Ex-Innenminister Rainer Speer lenkt die Opposition den Fokus auf die Rolle des Regierungschefs: „Was wusste der Ministerpräsident wann“

Stand:

Potsdam - Nach der Vaterschaftsbeichte seines Ex-Innenministers Rainer Speer bleibt Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in der Brandenburg-Affäre unter Druck. Zwar will sich der Regierungschef jetzt erst einmal in einen einwöchigen Urlaub verabschieden. Aber die Opposition im Landtag fragt immer bohrender nach seiner Rolle im Umgang mit der Unterhaltsaffäre seines engsten Vertrauten, der im September zurücktreten musste. CDU, FDP und Grüne wollen auch bei der Aufklärung der zweifelhaften Verbeamtung der Ex-Geliebten und Mutter des Kindes von Speer, die dieser als Staatskanzleichef 2001 verantwortete, nicht lockerlassen. „Die Vaterschaft ist geklärt, sonst nichts“, sagt CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig. „Was wusste der Ministerpräsident eigentlich wann?“, fragt FDP-Fraktionschef Andreas Büttner. Diese Frage stelle sich erst recht nach den Aussagen Speers, der im Oktober 2010 einen Vaterschaftstest machte, inzwischen die Staatsalimente für die 13-jährige, uneheliche Tochter – sie bezog diese sechs Jahre – an das Potsdamer Jugendamt zurückzahlte und jetzt auch Unterhalt überweist.

Als „sehr späte“ Klärung hat Platzeck dies gerügt, womit er zumindest erstmals vorsichtig von Speer abrückte, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf eine falsche eidesstattliche Versicherung ermittelt. Danach will Speer bei und nach der Geburt des Kindes nicht davon ausgegangen sein, dass er der Vater des Kindes war. Dies widerspricht dem publik gewordenen Email-Verkehr mit der Frau, den die Staatsanwaltschaft für echt hält. Und Platzeck? Dass die Kindsmutter staatlichen Unterhaltszuschuss erhielt, so hat sich der Regierungschef festgelegt, „war mir bis zum 31. August 2010 nicht bekannt“.

Für Argwohn in der Opposition sorgt aber die persönliche Nähe aller Beteiligten. Platzeck war Umweltminister, Speer Staatssekretär, als das Kind 1997 geboren wurde. Und die Frau arbeitete direkt im Ministerbüro. Dass Speer der Vater war, so ein Beamter aus der Brandenburger Umweltverwaltung gegenüber PNN, „wusste dort damals jeder“. Offenbar vor diesem Hintergrund fällt die Antwort des Regierungschefs auf die Frage, ob ihm Speers Liaison mit der Untergebenen bekannt war, sybillinisch aus: „In meiner Erinnerung ist mir im Zusammenhang mit dem erfragten Verhältnis nichts bekannt geworden.“

Die Frau war Speer in die Staatskanzlei gefolgt, als er 1999 dort Chef wurde. Platzeck wurde 1998 Oberbürgermeister von Potsdam. Unter Verweis darauf hatte er vor ein paar Tagen im Hauptausschuss des Landtages den Eindruck vermittelt, dass er mit der Verbeamtung gar nichts zu tun hatte, nur „nach Aktenlage“ informiert sei. Das trifft nicht ganz zu. Zwar begann der Verbeamtungsvorgang in der Potsdam-Zeit. Doch als die Probezeit ablief, alles rechtswirksam wurde, war Platzeck bereits Ministerpräsident. Laut einer E-Mail, die die Ex-Geliebte im November 2002 an Speer schickte, gratulierte Platzeck sogar persönlich zur erfolgreichen Verbeamtung. „Sogar MP hat mich angerufen, wobei ich da den Eindruck hatte, ich müsste mich entschuldigen für meine Verbeamtung aufs Eingangsamt auf Probe nach 10 Jahren Landesdienst.“ Es habe damals, so wertet es Büttner, bei Platzeck wohl „ein gewisses Unbehagen“ gegeben. Speer bestreitet jedwede Einflussnahme auf die Verbeamtung. Da die Beziehung seit 1997 vorbei war, habe er keine Befangenheit gesehen. Dagegen spricht die E-Mail-Korrespondenz aus dieser Zeit mit der Frau, die für die Verbeamtung finanzielle Gründe nannte. Und kurz darauf, 2003 endete der staatliche Unterhaltszuschuss.

Auch Grünen-Fraktionschef Axel Vogel drängt auf Klärung, allerdings aus „Rücksicht auf Frau und Kind“ gemäßigter als FDP und CDU. Einen Schaden für das Land sehe er nicht, da die Frau gearbeitet habe, sagt Vogel. Er plädiere dafür, den Verbeamtungsfall durch den renommierten Staatswissenschaftler Ulrich Battis durchleuchten zu lassen. „Um aufzuhellen, wie das System funktionierte“, sagt er. „Es ist offensichtlich, dass Privates und Politisches da nicht korrekt auseinander gehalten worden. Da ist Bewusstsein für die Trennlinien verloren gegangen.“ Trotz von Rechnungshofpräsident Thomas Apelt festgestellter Lücken in den Akten – der Verdacht der gezielten Aktenfledderei ist nicht ausgeräumt – hatten Platzeck und sein Staatskanzleichef Albrecht Gerber die Verbeamtung im Hauptausschuss als „ordnungsgemäß“ verteidigt, da alle Voraussetzungen vorgelegen hätten. Vor allem habe der unabhängige Landespersonalausschuss zugestimmt – nach PNN-Informationen aber wegen Unbehagens erst im zweiten Anlauf. Die Opposition würde dazu gern die damalige Vorsitzende anhören: Es ist die heutige Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue.

Unterdessen sorgen der Umgang von Speer, aber auch der von Platzeck mit der Unterhalts-Affäre für Unruhe in der SPD. In der SPD-Fraktion grummelt es nach PNN-Recherchen insbesondere bei den Frauen, die in der Vergangenheit oft die Leidtragenden einsamer Personalentscheidungen des „Küchenkabinetts Platzeck-Speer“ waren. „Die Angst ist groß: Was kommt da noch hoch“, sagt ein Fraktionsmitglied. Bislang wagt sich allerdings niemand aus der Deckung, Speers Rückzug aus der Enquete-Kommission und die Aufgabe seines Landtagsmandates zu fordern. Für Fassungslosigkeit haben die Aussagen des Ex-Ministers gesorgt, er fange „zwischen Weihnachten und Neujahr an, darüber nachzudenken, was es für mich bedeutet“. „Ich will mich bis Frühjahr 2013 entscheiden, ob ich noch mal meinen Wahlkreis vertreten will."

Umso deutlicher fallen die Kommentare der Opposition zu Speer – und die jüngsten Aussagen Platzecks aus.

Für Grünen-Fraktionschef Axel Vogel ist die Kritik des Regierungschefs an der „sehr späten Klärung“ nichts anderes als die Neuauflage des bisherigen Verständnisses für alle Eskapaden Speers, das Platzeck selbst einmal so formulierte: „So iss er eben.“ Für FDP-Fraktionschef Andreas Büttner ist dagegen klar, dass ein Mann, der erst nach 13 Jahren eine Vaterschaft klärt und zahlt, „kein Vorbild sein kann, kein Politiker mehr“. Am härtesten geht aber CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig mit dem SPD-Spitzenduo ins Gericht. Dass Platzeck sich immer noch nicht vom Verhalten Speers distanziere, „zeigt, dass er nichts Verwerfliches an dem Handeln findet“. Man stelle sich einmal vor, sagte Ludwig, „was Sozialdemokraten oder Gewerkschaftler sagen würden, wenn ein Bankvorstand seine Sekretärin schwängert, ihr anschließend erklärt, dass er als Vater in keinerlei Hinsicht zur Verfügung steht, ihr ab und an mal gnädig Geld zusteckt, ansonsten aber die Hunderte von Euro, die er monatlich zahlen müsste, lieber in guten Wein investiert“. Die „Kaltschnäuzigkeit“, mit der Platzeck und Speer agieren, werfe daher ein verheerendes Bild auf ihre Sichtweise von Frauen und Familie, „auf das Frauenbild der SPD“. Sich aus Verantwortung stehlende Väter seien offenbar ein „Kavaliersdelikt“. Speer täte gut daran, so CDU-Chefin Ludwig, „sich aus dem politischen Leben zu verabschieden“. (mit leg)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })