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Brandenburg: Auf der Suche nach der Vergangenheit

Am 16. April 1945 begann die Rote Armee mit dem Kampf um Seelower Höhen

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Am 16. April 1945 begann die Rote Armee mit dem Kampf um Seelower Höhen Seelow - Der Blick des alten Mannes geht ins Leere. Immer wieder schaut der Grauhaarige bei Ortwig im Osten Brandenburgs (Märkisch-Oderland) über die weiten Felder des Oderbruches. „Ich suche meine Jugend“, sagt der 81-jährige leise. „Hier habe ich sie damals verloren.“ Nur einen Monat hat der Rheinländer vor 60 Jahren im Oderbruch verbracht, diese Zeit aber hat sein Leben verändert. Am 16. April 1945 begann die Rote Armee mit dem Kampf um die Seelower Höhen eine der grausamsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Im Winter hatten die sowjetischen Truppen die Oder überschritten und Teile des flachen Oderbruchs eingenommen. Der Höhenzug bei Seelow war für die Rote Armee das letzte große Hindernis auf dem Weg nach Berlin. Die deutsche Wehrmacht aber sollte mit allen Mitteln den Höhenzug verteidigen. Hunderttausende Soldaten standen sich auf engstem Raum mit 14 000 Geschützen, 5000 Panzern und ebenso vielen Flugzeugen gegenüber. „Ich wurde erst im Dezember 1944 eingezogen und nach kurzer Ausbildung im März 1945 nach Ortwig verlegt“, erinnert sich 81-Jährige. „Wir hatten keine Funkgeräte, nur schlechte Karten und wenig Munition.“ Der Leutnant führte einen Zug mit vier Geschützen. „Die ersten Wochen verliefen ruhig, am 16. April 1945 aber überschlugen sich die Ereignisse.“ In den Morgenstunden habe die sowjetische Seite mit einem unvorstellbaren Artillerieeinsatz die Schlacht eröffnet. 9000 Geschützrohre beschossen gleichzeitig die deutschen Stellungen. Später griffen Flugzeuge und Panzer in den Kampf ein. Die kleine Einheit des Leutnants griff nur kurz in die Schlacht ein. „Wir schossen unsere 200 Granaten ab, sprengten dann, wie zuvor befohlen, unsere Geschütze und traten den Rückzug an.“ Noch am gleichen Tag geriet der Rheinländer in sowjetische Gefangenschaft. Von seinen ehemaligen Kameraden hat er nur einen später wieder getroffen. Die anderen gehören zu den über 100 000 Toten der Schlacht um die Seelower Höhen. „Damals bin ich in den Krieg gezogen, weil ich Deutschland und die Zivilbevölkerung verteidigen wollte“, sagt der alte Mann heute. „Ich hatte die falschen Ideale, aber das habe ich erst in der vierjährigen Kriegsgefangenschaft vor Moskau begriffen.“ Seinen Namen möchte er nicht nennen. Auch er habe im Krieg gelitten und wolle deshalb nicht das Ziel öffentlicher Schuldzuweisungen sein. Einmal im Jahr kommt der 81-Jährige ins Oderbruch und schaut sich die Orte der früheren Kämpfe und die Gedenkstätte auf den Seelower Höhen an. „Wir erinnern hier an die Leiden und die Opfer der Kämpfenden auf beiden Seiten der Front“, sagt Gedenkstättenleiter Gerd Ulrich Herrmann. Auf dem Höhenzug erinnern heute Soldatengräber an das mörderische Geschehen vor 60 Jahren. Am Fuße der Hügel steht ein Museum. Alte Dokumente, Fotos, Uniformen und Waffen sind hier ausgestellt. „Pro Jahr kommen 23 500 Gäste aus ganz Deutschland und dem Ausland zu uns“, erzählt Gerd Ulrich Hermann. Es sind Kriegsteilnehmer, Schüler, Familien und Senioren. Viele schreiben nach dem Besuch des Museums ihre Gedanken in das Gästebuch. Es dürfe nie wieder Krieg geben, fordert dort einer. Der Krieg sei kein Mittel zur Lösung von Konflikten, schreibt ein anderer. Über den Stolz auf die deutsche Wehrmacht faselt ein anonymer Schreiber. Wer so denke, habe aus der Geschichte nichts gelernt, kontert ein 18-Jähriger. Die Einträge in das Besucherbuch spiegeln die unterschiedlichen Sichtweisen auf eine der schlimmsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs wieder. Auch deshalb wollen das Land Brandenburg und der Landkreis Märkisch-Oderland am kommenden Samstag mit einer Gedenkveranstaltung an die Schlacht erinnern. Dazu werden auch Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der evangelische EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, sowie die Botschafter Russlands und Polens erwartet.

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