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Von Thorsten Metzner: Aufruf zur Graswurzel-Fusion

Brandenburgs Ex-SPD-Chef Reiche startet Aufruf für Länderehe mit Berlin sowie Verfassungsvotum und legt Fahrplan vor

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Potsdam - In die neu aufgeflammte Debatte um eine Fusion von Berlin und Brandenburg kommt weiter Bewegung: Nachdem die Potsdamer SPD völlig überraschend darauf drängt, das von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) eigentlich in ferne Zukunft vertagte Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen, folgt jetzt ein ambitionierter Vorstoß für einen konkreten Fusions-Fahrplan. Nach einem den PNN vorliegenden Memorandum des langjährigen SPD-Landesvorsitzenden und Ex-Bundestagsabgeordneten Steffen Reiche sollte es schon im Jahr 2013 eine neue Fusions-Volksabstimmung geben. „Anders als bei der Abstimmung im Jahre 1996 schlagen wir einen Tag zur Abstimmung vor, an dem sowieso in beiden Ländern gewählt wird“, heißt es in dem geplanten Aufruf. „Im Herbst 2013 werden die nächsten Bundestagswahlen stattfinden. Damit ist in beiden Ländern eine hohe Wahlbeteiligung gesichert und es findet keine Beeinflussung durch landespolitische Themen statt.“ Die Fusion sei „dringend geboten“, da der Solidarpakt auslaufe, europäische Mittel abnehmen würden. „In dieser Situation die Einsparpotenziale einer Fusion nicht zu nutzen, wäre unverantwortlich“. Reiche sucht dafür dem Vernehmen nach hinter den Kulissen derzeit Unterstützer in allen in Abgeordnetenhaus und Potsdamer Landtag vertretenen jeweils fünf Parteien. Ziel ist es, wie er auf Anfrage den PNN bestätigte, „im Frühsommer“ 2010 eine überparteiliche Initiative zu starten. Die bisherige Resonanz sei gut, sagte Reiche, der mit Blick auf die laufenden Sondierungen keine Namen nennen wollte.

„Ich bin mir sicher, dass es eine so günstige Situation auf lange Sicht nicht wieder gibt“, fügte er hinzu – mit Blick auf Rot-Rot in beiden Ländern. Gemeint ist, dass die Linken – vor der gescheiterten Abstimmung 1996 kampagnenstarke Fusions-Gegner – diesmal im Boot wären. Im Papier heißt es dazu: „Damals wurde versäumt alle politischen Kräfte in gleicher Weise in den Prozess der Erarbeitung und infolgedessen auch die Verantwortung für das Gelingen der Volksabstimmung einzubeziehen.“

Der Vorschlag zieht weitere Lehren aus dem damaligen Fiasko. Abgestimmt werden soll – im Gegensatz zum Staatsvertrag damals – „zuallererst über die gemeinsame neue Verfassung“, die bis dahin entwickelt würde. Dafür sollte sich eine Verfassungskommission – denkbar am 3. Oktober 2011 - konstituieren. Erst nach der Volksabstimmung sollten beide Regierungen dann einen Vertrag aushandeln – und in den Parlamenten zur Abstimmung stellen. Die ersten Wahlen zum neuen Parlament, so der Fahrplan, „könnten dann im Herbst 2014“ stattfinden. Werde die Chance nicht genutzt, „könnte sich das Fenster für eine solche Entscheidung ähnlich wie in der Region Hamburg, Bremen bzw. Saar und Rhein für lange Zeit oder gar für immer schließen“. Der Aufruf geht selbstverständlich davon aus, dass Potsdam Hauptstadt des gemeinsamen Landes sein wird. „2012 wird mit dem Landtag im Potsdamer Schloss für alle sichtbar, die Voraussetzung für ein gemeinsames Parlament Berlin-Brandenburg gegeben sein“, heißt es. „Die Einladung an das Berliner Parlament in die Landeshauptstadt für das gemeinsame Land wird dort gerade gebaut.“

Die Chancen dieses Vorstoßes „von unten“ sind unklar. Aus Berlin ist Unterstützung zu erwarten. Am Mittwoch forderten auch die brandenburgischen Grünen einen Fusionsfahrplan. Die Industrie- und Handelskammern in Berlin und Brandenburg und der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) begrüßten die neue Fusions-Dynamik nach jahrelanger Funkstille. Insgesamt befürworteten zwei Drittel der Unternehmen eine Länderehe, so eine Erklärung der Kammern. Die „Einsiedler-Mentalität“ Brandenburgs schade der wirtschaftlichen Entwicklung, so der BVMW. Die neue Debatte sei „das richtige Zeichen zur richtigen Zeit und in einer günstigen politischen Konstellation“. In der SPD im Land gibt es zumindest eine größere Offenheit, sich dem Tabuthema zu nähern. So steht bereits ein Antrag der Potsdamer SPD für eine Fusion als Ziel – allerdings ohne Termin – auf der Tagesordnung des SPD-Landesparteitages im Juni. Mit Blick auf die Fusionsskepsis der Brandenburger sagte Reiche: „Es ist Aufgabe der Parteien, die politische Willensbildung voranzutreiben.“

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