DOKUMENTIERT: Auszüge aus dem Enquete-Gutachten der freien Journalistin und Politologin Ariane Mohl
Auf eine systematische Stasi-Überprüfung verzichtet haben auch die Potsdamer Neuesten Nachrichten. „Das wurde bei uns nicht gemacht.
Stand:
Auf eine systematische Stasi-Überprüfung verzichtet haben auch die Potsdamer Neuesten Nachrichten. „Das wurde bei uns nicht gemacht. Es stand beispielsweise immer außer Frage, dass unser Chefredakteur nicht bei der Stasi war. Er war ein grundtief ehrlicher Mensch, der zu DDR-Zeiten ab und an Besuch von der Stasi in seinem Büro hatte. Wäre er bei der Stasi gewesen, hätte es diese Besuche nicht gegeben. Er hat uns auch – im Rahmen unserer allerdings sehr eingeschränkten Möglichkeiten – immer wieder ermuntert, sogenannte Tabu- Themen anzufassen. Es gab immer ein großes Vertrauen zu den Kollegen – gerade auch aus dem Bewusstsein heraus, dass wir anders waren als die Kollegen von den SEDBezirkszeitungen. Hinzu kam, dass wir gerade in der Wendezeit so mit uns selbst beschäftigt waren, dass sich die Frage nach einer Stasi-Überprüfung gar nicht gestellt hat. Wir mussten mit uns selbst klar kommen und uns auf ein neues Leben in einem neuen Gesellschaftssystem einstellen“, sagt PNN-Chefredakteur Michael Erbach. „Irgendwann haben wir dann auch Redakteure eingestellt, die zum Beispiel von der Akademie für Staat und Recht oder der Uni Potsdam kamen. Aber das waren alles Leute, bei denen wir in den Vorstellungsgesprächen gemerkt haben, dass sie sich vom SED-Staat losgesagt hatten und gemeinsam mit uns die Wende für die PNN-Leser erlebbar machen wollten.“ Außerdem mussten die neu eingestellten Mitarbeiter eine Erklärung unterschreiben in der sie bestätigten, dass sie nicht für die Stasi gearbeitet hatten. Diese Angaben seien allerdings nicht durch eine Anfrage bei der Gauck- Behörde überprüft worden.
Nach Lektüre seiner eigenen Akte musste Erbach feststellen, dass das Thema Stasi auch an „seiner“ Zeitung nicht spurlos vorübergegangen ist. Erbach selbst wurde von ehemaligen Kollegen ausspioniert. „In der Wendezeit haben bei den damaligen Brandenburgischen Neuesten Nachrichten 14 Redakteure gearbeitet, drei davon waren IM. Zwei haben die Redaktion kurz nach der Wende auf eigenen Wunsch verlassen, ohne dass ihre IM-Tätigkeit dabei eine Rolle gespielt hätte. Die dritte stasi-belastete Redakteurin, die als Kulturchefin tätig war, hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und hat dann irgendwann die Kündigung eingereicht. Erst später habe ich aus meiner eigenen Akte erfahren, dass sie mich zu DDR-Zeiten jahrelang bespitzelt hatte. Das war eine bittere Enttäuschung für mich. Ich hatte großes Vertrauen zu dieser Frau, weil sie nicht in der Partei war“, sagt der PNN-Chefredakteur.
Erbach und ein weiterer PNN-Mitarbeiter (Anmerkung der Redaktion: es handelt sich um Peter Tiede) mussten sich nach eigenen Angaben vor drei Jahren einer Stasi-Überprüfung unterziehen. Der PNN-Chefredakteur spricht von einer „gezielten Denunziation“, die dazu geführt habe, dass die Geschäftsleitung des Tagesspiegels eine solche Überprüfung in Auftrag gegeben habe. Nach eigenen Angaben hatte der besagte PNN-Mitarbeiter es abgelehnt, seinen Wehrdienst beim Stasi-Wachregiment Feliks Dzierzynski abzuleisten. Erst unter Druck (Entzug eines möglichen Studienplatzes an der TU Dresden, Stellungsverlust des Vaters, berufliche Hürden für die Schwester etc.) habe er schließlich eingewilligt, drei Jahre zu einer Wach- und Sicherungseinheit zu gehen, die bei der Bezirksverwaltung Potsdam angesiedelt gewesen sei. Erst im Nachhinein habe er erfahren, dass diese Einheit zum MfS gehörte. Der PNN-Journalist hat es abgelehnt, andere zu bespitzeln oder IM-Berichte zu verfassen.
Darüber hinaus ist seit 1997 ein weiterer ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS für die PNN tätig. Dieser (Anmerkung der Redaktion: dabei handelt es sich um Thorsten Metzner) hat im Alter von 19 Jahren die Stasi-Hochschule in Golm besucht. Nach eigenen Angaben hat ihn die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS als Schüler mit der Aussicht auf ein Spanisch/Portugiesisch-Studium und einen Auslandseinsatz angeworben. Der Betroffene entschied sich nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur für eine Karriere im Journalismus. Mit seiner Stasi-Vergangenheit ging er laut Erbach von Anfang an offen um. „Er hatte Anfang 1990 gleich im allerersten Vorstellungsgespräch beim damaligen Leiter des Potsdamer Tagesspiegel-Büros Michael Mara, der als Grenzsoldat 1961 aus der DDR flüchtete, selbst von der Stasi bespitzelt wurde, vor 1989 DDR-Spezialist des Tagesspiegel mit Einreiseverbot war, alles auf den Tisch gelegt und sich klar von diesem Teil seiner Vita distanziert“, sagt der PNN-Chefredakteur. Der betroffene Redakteur selbst verweist darauf, dass vor der Einstellung ausführliche Gespräche mit der Verlagsleitung des Tagesspiegels stattgefunden haben. „Er wurde eingestellt, weil er als junger Mann zwar eine Fehlentscheidung getroffen, sich aber nichts zuschulde kommen lassen hatte. Seinen Bruch mit der Stasi hat er seitdem in nunmehr 20 Jahren mit kritischer, engagierter Berichterstattung für Tagesspiegel und PNN dokumentiert“, sagt Erbach. Dieser wie auch der Betroffene selbst weisen darauf hin, dass der stasibelastete Redakteur schon in den 90er Jahren mit Potsdamer Politikern wie auch SED-Opfern offen über seine Vergangenheit gesprochen habe. Obwohl seine Vita quasi ein „offenes Geheimnis“ gewesen sei, habe es keine kritischen Reaktionen von Lesern gegeben. Dies habe sich erst geändert, als das NDR-Magazin „Zapp“, das auch schon die Stasi-Verstrickungen bei der Märkischen Allgemeinen aufgedeckt hat, den Fall des stasibelasteten Redakteurs zum Thema seiner Berichterstattung machte. Unter dem Titel „Die Stasi und die Journalisten“ stellten die „Zapp“-Mitarbeiter die Frage in den Raum, ob jemand, der früher selbst hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS war, nun als Journalist kritisch über die Stasi-Vergangenheit von Politikern der Brandenburger Linkspartei berichten dürfe. Für Hubertus Knabe, den Leiter der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin- Hohenschönhausen ist der Fall klar. Seiner Meinung nach haben frühere Stasi-Mitarbeiter in den Medien nichts verloren. „Sie sind geprägt von der Mitarbeit in der Geheimpolizei einer Diktatur und sind deshalb ungeeignet für den Job, die Öffentlichkeit in der Demokratie aufzuklären. Und sie sind befangen, insbesondere natürlich bei Themen, die die DDR betreffen und die Staatssicherheit insbesondere.“ Eine Haltung, die PNN-Chefredakteur Michael Erbach nicht nachvollziehen kann. „Der Kollege hat unser vollstes Vertrauen.“ Seit der Ausstrahlung des „Zapp“-Berichts sind auf der PNN-Homepage hin und wieder Kommentare zu lesen, in denen empörte Leser feststellen, dass sie nicht ausgerechnet von einem ehemaligen MfS-Mitarbeiter über die Stasi- Verstrickungen in der rot-roten Koalition informiert werden möchten. Laut Erbach habe es zudem in der Vergangenheit einen Versuch des damaligen Potsdamer SPD-Oberbürgermeisters gegeben, den betroffenen Redakteur aufgrund seiner kritischen Berichterstattung beim Tagesspiegel mit Hinweis auf seine Stasi-Vergangenheit mundtot zu machen. Dagegen habe sich die Chefredaktion unter Verweis auf seine untadelige Berichterstattung" entschieden verwahrt. Dennoch stellt sich über den konkreten Fall des PNN-Journalisten hinaus die grundsätzliche Frage, welche Schwierigkeiten auftauchen, wenn ein ehemaliger MfS-Mitarbeiter über die Stasi berichtet. Diese Schwierigkeiten bestehen aus Sicht der Gutachterin auch dann, wenn ein stasibelasteter Journalist mit seiner Vergangenheit gebrochen hat. Völlig unabhängig von der Frage, ob der Betroffene sich glaubhaft von seiner früheren Stasi-Tätigkeit distanziert hat oder nicht, stößt er zum Beispiel dort an die Grenzen der Berichterstattung, wo die Gefühle ehemaliger SED-Opfer verletzt werden könnten. Ihnen ist es aus Sicht der Gutachterin nicht zuzumuten, ohne ihr Wissen einem ehemaligen Mitarbeiter der Stasi gegenüberzustehen. Hier ist es an dem Redakteur, offen mit seiner Vergangenheit umzugehen und sich eventuell auch unangenehme Fragen gefallen zu lassen. (Dies ist bei dem besagten Redakteur offenbar der Fall). Sollte das ehemalige SED-Opfer das Gespräch daraufhin abbrechen wollen, ist diese Entscheidung in jedem Fall zu akzeptieren. Problematisch wird es schließlich auch dann, wenn ein Redakteur, der früher selbst für die Stasi im Einsatz war, investigativ tätig werden und die Stasi-Vergangenheit eines Abgeordneten, Polizeisprechers, Verbandsvorsitzenden etc. aufdeckt und publik machen will. Um dies tun zu können, bedarf es einer besonderen moralischen Glaubwürdigkeit und journalistischen Unangreifbarkeit, die schwerlich vorhanden sei dürfte, wenn der betroffene Journalist selbst für das MfS tätig war. Der Fall des weiter oben erwähnten PNN-Redakteurs zeigt allerdings auch, dass die gesamte Debatte über das Vorleben der in Ostdeutschland tätigen Journalisten von einer merkwürdigen Schieflage bestimmt wird. Während der Journalist, der sich seit vielen Jahren immer wieder öffentlich von seiner MfS-Vergangenheit distanziert hat und in seinen Artikeln gewissermaßen tätige Reue beweist, das Stasi-Etikett nicht mehr los wird, gelten weder eine Mitgliedschaft in der SED noch eine langjährige journalistische Tätigkeit in einem der Parteiorgane als Karrierehindernis.
Im Gegenteil: Wie Kapitel 4 zeigt, galt die DDR-Sozialisation ihrer Mitarbeiter einigen westdeutschen Verlegern und Chefredakteuren gerade in der Zeit kurz nach dem Ende der DDR als Garant für eine besonders lesernahe Berichterstattung und damit stabile Abonnentenzahlen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Umgang der ehemaligen SED-Bezirkszeitungen im Land Brandenburg mit stasi-belasteten Redakteuren in den eigenen Reihen unterschiedlich verlaufen ist. Die MOZ und die Lausitzer Rundschau haben sich an einer wissenschaftlichen Studie beteiligt. Sowohl der Prozess der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit als auch die Ergebnisse der Studie wurden öffentlich gemacht. In beiden Fällen wurden auf der Grundlage von Einzelfallprüfungen je nach Belastungsgrad Mitarbeiter entlassen oder von Leitungsfunktionen entbunden. Beide Häuser bereuen nicht, diesen Weg beschritten zu haben. Beide betonen, dass die Glaubwürdigkeit der Zeitung nun eine andere sei... Von kaum zu unterschätzender Bedeutung ist der Hinweis von MOZ-Rechtsanwalt Johannes Weberling, dass durch die Entlassung der ehemaligen Spitzel plötzlich Themen ins Blatt kamen, die bislang tabu waren. ... Die Märkische Allgemeine hat auf eine systematische Stasi-Überprüfung verzichtet, was angesichts des massiven Glaubwürdigkeitsverlusts durch die Enttarnung zweier Chefredakteure und des Politikchefs völlig unverständlich ist. Die vom ehemaligen Herausgeber Gauland auf eigene Faust vorgenommene Überprüfung der leitenden Redakteure entbehrt jedweder Transparenz. Offensichtlich wurden hier nach Gutsherrenart im stillen Kämmerlein Entscheidungen getroffen, die für die Leser, aber auch für die nicht von der Überprüfung betroffenen Redakteure von Interesse gewesen wären. Der amtierende MAZ-Chefredakteur Klaus Rost sieht nach wie vor keinen Handlungsbedarf. Er verweist darauf, dass alle MAZ-Mitarbeiter sich in ihrem Arbeitsvertrag zum Grundgesetz bekennen müssen. Rost sieht sich mit seinem Verzicht auf eine Stasi-Überprüfung der Redaktion als Verfechter des Rechtsstaats. Da das Stasiunterlagengesetz die Möglichkeit einer Überprüfung aller Redakteure nicht vorsieht, seien ihm die Hände gebunden. Eine Stasi-Überprüfung „durch die Hintertür“ komme für ihn nicht in Frage. Rost vergisst dabei allerdings, dass die Lausitzer Rundschau und die Märkische Oderzeitung mit dem Versuch, über den Umweg einer wissenschaftlichen Studie die Vergangenheit der eigenen Zeitung zu untersuchen, selbstverständlich weder gegen die Bestimmungen des Stasiunterlagengesetzes verstoßen noch den Boden des Rechtsstaats verlassen haben. Johannes Weberling, der an beiden Studien beteiligt war und auch der MAZ-Chefredaktion vergeblich Unterstützung bei der Stasi-Aufarbeitung angeboten hat, wertet Rosts Einlassung als Versuch der Selbstrechtfertigung - eine Einschätzung, die von der Gutachterin geteilt wird. Ernstzunehmender ist der Einwand des stellvertretenden MAZ-Chefredakteurs Lothar Mahrla. Er ist der Ansicht, dass sich das Stasi-Problem in den früheren DDR-Medien ohnehin bald „auswachsen“ werde. Den beiden erwähnten Studien der anderen Brandenburger Tageszeitungen bescheinigt er eine reine „Alibi-Funktion“. Der Öffentlichkeit bzw. den Lesern werde vorgegaukelt, dass man sich der eigenen Vergangenheit gestellt habe, dabei arbeite der Großteil der enttarnten Spitzel nach wie vor in den Redaktionen. Sicherlich kann und sollte darüber gestritten werden, ob es nicht mit Blick auf die Glaubwürdigkeit einer Zeitung konsequent wäre, alle enttarnten ehemaligen Stasi-Mitarbeiter aus der Redaktion zu entfernen. Daraus nun aber die Forderung abzuleiten, dass ein Verbleib aller ehemaligen Stasi-Spitzel in der Redaktion gerechter sei, als sich auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung nur von besonders belasteten Redakteuren zu trennen, ist absurd. Diese Argumentation folgt der Logik: „Wer nichts macht, macht auch nichts falsch.“ Dass die Potsdamer Neuesten Nachrichten auf eine systematische Stasi-Überprüfung verzichtet haben, ist nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich waren auch und gerade die ehemaligen Blockparteizeitungen im Visier der Stasi. Das MfS hatte auch in der nicht-SEDgebundenen Presse dafür zu sorgen, dass die Vorgaben der Einheitspartei von den Redaktionen weisungsgemäß umgesetzt wurden. Wie sich durch Zufall herausstellte, befanden sich bis kurz nach der Wiedervereinigung mindestens drei ehemalige Spitzel in der Redaktion. Auch wenn diese die Redaktion früh verlassen haben, hätte eine systematische Überprüfung direkt nach der Übernahme durch den Tagesspiegel für Klarheit und Transparenz gesorgt. Im Fall des stasibelasteten PNN-Redakteurs, der bereits 1990 den Bruch mit seiner früheren MfSZugehörigkeit vollzogen hat, wäre eine Offenlegung seiner Vergangenheit auch in der Zeitung wünschenswert gewesen. Als allzu sorglos muss auch der Umgang des Oranienburger Generalanzeigers mit eventuell vorhandenen ehemaligen Stasi-Spitzeln in den eigenen Reihen bezeichnet werden. Darauf zu hoffen, dass frühere MfS-Zuträger lieber bei den einstigen SED-Bezirkszeitungen unterschlüpfen, statt sich bei einer Zeitungsneugründung um eine Redakteursstelle zu bewerben, ist nicht zuletzt mit Blick auf den angespannten Arbeitsmarkt für Journalisten ausgesprochen naiv. Hier hätte der Verleger, der sich mit guten Gründen entschlossen hatte, auf den Kauf einer ehemaligen SED-Bezirkszeitung zu verzichten, um stattdessen eine neue Zeitung mit neuem Personal zu gründen, handeln müssen.
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