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Brandenburg: Baggern um Menschen und Kohle

Worum es in dem Braunkohlestreit in Brandenburg geht und wie eine Intitiativgruppe den Ausstieg aus dem Kohleabbau erzwingen will

Stand:

In Brandenburg wird seit Anfang der 1990er Jahre über Braunkohle gestritten – zunächst um den Abbau, dem viele Ortschaften zum Opfer fielen. Durch die aktuelle Klima-Debatte und neue Tagebaupläne ist der Streit wieder entbrannt – nun auch unter Klimaschutzaspekten.

Ein Initiativkreis von Umweltverbänden, den Grünen sowie Mitgliedern der Linken und der evangelischen Kirche will jetzt mit einer Volksinitiative einen schrittweisen Ausstieg erreichen. Dazu soll ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der die Genehmigung weiterer Tagebaue ausschließt. Im Oktober startet die Initiative offiziell, an diesem Samstag wird sie in Cottbus vorgestellt.

Worum geht es?

Welche Klimaziele hat die Landesregierung festgeschrieben?

Die Landesregierung hat eine Energiestrategie bis zum Jahr 2010. Darin ist als Ziel genannt, die CO2-Emissionen in Brandenburg bis zum Jahr 2010 auf 53 Millionen Tonnen pro Jahr zu senken.

Sind diese Klimaziele zu erreichen?

Nein. Das musste die Landesregierung im April 2007 im Klimaschutzbericht einräumen. Dort heißt es, nach der „gutachterlichen Vorschau“ werden die CO2-Emissionen statt zu sinken steigen – bis 2010 auf 64 Millionen Tonnen. In dem Bericht wird eingestanden: „Das landespolitische Ziel, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2010 auf 53 Millionen Tonnen zu senken, ist noch nicht gesichert. Der Fehlbetrag liegt derzeit bei acht Millionen Tonnen.“ Zum Vergleich: Die Emissionen der Industrie im Land machen jährlich 5,3 Millionen Tonnen, die des gesamten Brandenburger Verkehrs 5,9 Millionen Tonnen aus. Der Landeschef der Umweltschutzorganisation BUND, Axel Kruschat, verweist darauf, dass die Klimaziele nur erreichbar sind, wenn die Braunkohleverstromung reduziert wird; selbst, wenn Verkehr oder Industrie komplett lahm gelegt würden, reiche dies nicht. Allein das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde stößt jährlich 25 Millionen Tonnen CO2 aus.

Welche Ziele setzt sich die Regierung für die Zeit nach 2010?

Bisher keine konkreten. Wirtschafts- und Umweltministerium sollen seit Monaten eine neue Energiestrategie erarbeiten. Auf Arbeitsebene sind beide Häuser aber besonders bei der Kohlepolitik völlig verstritten.

Bis wann will das Land Kohle abbauen?

Nach einer Studie der Universität Clausthal-Zellerfeld im Auftrag des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums, die Minister Ulrich Junghanns (CDU) jüngst vorstellte, lagern in sieben noch nicht erschlossenen Braunkohlefeldern rund zwei Milliarden Tonnen Kohle. Damit könnte der Bedarf einer Kraftwerksgeneration von zusätzlichen 50 Jahren gedeckt werden. In Brandenburg soll laut Landesbergamt noch über das Jahr 2090 hinaus Kohle abgebaut und in den Kraftwerken Vattenfalls verstromt werden. Argumentiert wird, dass Brandenburg ein Energieexportland sei und sich nicht komplett von importiertem Strom abhängig machen will. Kritiker halten dem entgegen, dass nicht das „Land Brandenburg“ Stromexporteur ist, sondern der schwedische Staatskonzern Vattenfall. Der Großteil des hier erzeugten Kohlestroms wird exportiert. Brandenburg ist gleichzeitig auch Deutscher Meister bei regenerativen Energien.

Welche Tagebaue sind derzeit aktiv und sind weitere genehmigt?

Derzeit gibt es im Land drei Tagebaue: Jänschwalde (Vorkommen reicht etwa bis 2020), Cottbus-Nord (bis 2015) und Welzow-Süd (bis etwa 2030). Weitere sind nicht genehmigt. Vorplanungen für neue Tagebaue laufen. Betroffen davon wären 33 Lausitz-Dörfer und -Städte mit insgesamt rund 8 000 Einwohnern. Zu den gefährdeten Orten zählen auch Teile der Städte Forst und Spremberg.

Warum plädieren die Volksinitiative-Initiatoren nicht für den sofortigen Ausstieg?

Aus zwei Gründen. Zum einen hätten potenzielle Unterstützer bei einer Forderung nach dem Sofort-Ausstieg erhebliche Probleme, da diese für die Lausitz wirtschaftliche Probleme befürchten. Bei anderen – etwa bei der Linken – würden Mitglieder in der Lausitz dies nicht mittragen.

Den zweite Grund nannte Grünen-Landeschef Axel Vogel: „Nach Ansicht von Juristen können wir nicht aus den genehmigten Tagebauen aussteigen.“ Dies würde in die ökonomische Basis des Energiekonzerns Vattenfall eingreifen. Und: Unternehmen haben ein Recht auf Planungssicherheit.

Wie funktioniert eine Volksinitiative?

Innerhalb eines Jahres müssen für die Volksinitiative 20 000 Unterschriften gesammelt werden. Dann muss sich der Landtag mit dem Gesetzentwurf befassen. Sollte die Volksinitiative für den Braunkohleausstieg erfolgreich sein und der Landtag anschließend den Gesetzentwurf ablehnen, planen die Initiatoren als zweiten Schritt ein Volksbegehren.

Wie funktioniert ein Volksbegehren?

Dafür müssen innerhalb von vier Monaten 80 000 Unterschriften gesammelt werden. Wenn der Landtag einem erfolgreichen Volksbegehren nicht binnen zwei Monaten entspricht – also das Kohleausstiegsgesetz nicht beschließt –, kann innerhalb von drei weiteren Monaten ein Volksentscheid über den Gesetzentwurf stattfinden.

Wann gilt in Brandenburg ein Gesetzentwurf per Volksentscheid angenommen?

Wenn mindestens 25 Prozent der stimmberechtigten Einwohner zustimmen und zugleich die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen das Gesetz unterstützt, gilt es als angenommen und muss von der Politik – ob sie will oder nicht – auch umgesetzt werden. Derzeit müssten sich mehr als 500 000 der rund 2,12 Millionen wahlberechtigten Brandenburger in einem Volksentscheid für den Braunkohleausstieg entscheiden.Peter Tiede

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