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Betrugsprozess gegen Linke-Politiker in Potsdam: Beamte belasten Peer Jürgens schwer

Dem Linken-Politiker Peer Jürgens wird gewerbsmäßiger Betrug und Wahlfälschung vorgeworfen. Mehrere Zeugen belasten den Angeklagten. Der Prozess wird sich nun wohl hinziehen.

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Potsdam - Im Betrugsprozess gegen den früheren Landtagsabgeordneten Peer Jürgens (Linke) fliegen jetzt die Fetzen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Richterin Constanze Rammoser-Bode musste am vierten Verhandlungstag mehrfach in lautstarke Wortgefechte eingreifen. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass die bis kommenden Dienstag geplanten fünf Verhandlungstage nicht reichen werden. Der Prozess wird sich bis in den Dezember ziehen.

Rautenberg als Zeuge?

Beide Seiten greifen zudem zu schärferen Maßnahmen: Die Staatsanwaltschaft will die Familie von Jürgens – die Mutter, deren Mann sowie die Brüder – in den Zeugenstand laden, obwohl diese ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Die Verteidiger wollen den Leitenden Oberstaatsanwalt aus Frankfurt (Oder), Helmut Lange, hören. Der hatte als Vize-Chef der Potsdamer Staatsanwaltschaft 2014 eine Anzeige und die Aussage der früheren Grünen-Landtagsabgeordneten Sabine Niels aufgenommen. Zuvor hatte sich Niels, damals Mitglied im Rechtsausschuss des Landtags, Rat bei Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg geholt, weil eine von ihr erstellte anonyme Anzeige 2012 ins Leere lief. Die Verteidiger erwägen, auch Rautenberg als Zeugen zu hören. Geladen werden soll schon jener Staatsanwalt, der das erste Verfahren mangels Tatverdacht einstellte, weil die Frage nach dem Lebensmittelpunkt in solchen Fällen schwer justiziabel sei.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam wirft Jürgens gewerbsmäßigen Betrug vor. Er soll sich von 2004 bis 2014 mit falschen Angaben zu seinem Wohnsitz Fahrkosten und Mietzuschüsse vom Landtag in Höhe von 87 000 Euro erschlichen haben. Zudem soll der 36-Jährige bei der Kreistagswahl in Oder-Spree Wahlbetrug begangen haben, weil er in dem Landkreis gar nicht seinen Hauptwohnsitz gehabt haben soll. Statt wie dem Landtag gemeldet bis 2011, als er 31 Jahre alt war, in Erkner bei seinen Eltern und dann in Beeskow, soll Jürgens nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zunächst in Berlin und dann in Potsdam erst in einer Miet-, später in einer Eigentumswohnung gelebt haben.

Anwohner in Potsdam hätten Jürgens als dort lebend wahrgenommen

Zwei Kriminalbeamte belasteten Jürgens am Donnerstag schwer. Demnach sollen – laut rbb – Nachbarn in Beeskow den Linke-Politiker auf Fotos nicht erkannt haben, in Erkner hätten Nachbarn erklärt, er wohne dort nicht. In Potsdam hingegen hätten Anwohner Jürgens als „dort lebend“ wahrgenommen. Im Oktober gehörte Zeugen, einst Nachbarn aus Beeskow und Erkner, konnten sich nur an wenige Begegnungen mit Jürgens erinnern.

Der Stromversorger teilte den Beamten mit, in Beeskow war der Stromverbrauch wie bei „Leerstand, Laube oder Garage“, in den Potsdamer Wohnungen normal, in Berlin-Friedenau bis 2006 sogar überdurchschnittlich. Arzt- und Apothekenrechnungen waren seit 2012 in der Landeshauptstadt ausgestellt worden. Anfang 2013 teilte er der GEZ mit, er lebe mit seiner Freundin zusammen, die die Gebühr für die Potsdamer Wohnung zahle.

Nachbarin: "Ich dachte, dass er in Potsdam eine Nebenwohnung hat wie andere Abgeordnete auch"

Eine Nachbarin der Potsdamer Eigentumswohnung von Jürgens sagte am Donnerstag aus, Jürgens und seine Frau, die in Magdeburg tätig war, hätten dort gewohnt, wenn auch nicht regelmäßig, sondern nur im Wochenwechsel. 2010 habe sie Jürgens auf einer Veranstaltung in Fürstenwalde getroffen, Jürgens habe ihr gesagt, dass er nicht in Potsdam wohne. „Ich dachte, dass er in Potsdam eine Nebenwohnung hat wie andere Abgeordnete auch. Mir war das verständlich“, sagte die Nachbarin.

Jürgens’ Anwalt erklärte, die Polizei habe nicht in alle Richtungen ermittelt, entlastende Umstände seien ignoriert worden. So seien etwa keine Daten zum Strom- und Wasserverbrauch der Wohnung in Erkner von 2004 bis 2011 erhoben worden. Zudem seien von der Grünen-Politikern Niels benannte Zeugen nicht vernommen worden, darunter Oder-Spree-Landrat Manfred Zalenga (parteilos). Ein Beamter erklärte auch, er habe nie behauptet, dass Jürgens nur in seiner Potsdamer Wohnung und nicht in Beeskow gelebt habe. Unstrittig sei, das Jürgens ein viel beschäftigter Mann gewesen sei.

Können die Beweise aus der Razzia doch genutzt werden?

Noch nicht entschieden hat das Gericht, ob es die Beweise der Wohnungsdurchsuchungen von 2014 verwertet. Das Landgericht Potsdam hatte geurteilt, dass die Durchsuchung unrechtmäßig war. Die Staatsanwaltschaft hält den Beschluss für falsch und drängt auf eine Beweisverwertung. In Beeskow war eine Zeitschaltuhr an einer Lampe gefunden worden, für die Ermittler ein Indiz dafür, dass Jürgens seine Anwesenheit nur vortäuschen wollte.

Die betroffenen Zeugen der Durchsuchung - Kriminalbeamte und ein früherer Mitarbeiter des Linke-Politikers - sind vom Gericht bislang nicht entlassen worden. Denn sie könnten möglicherweise noch einmal zur Durchsuchung in den Zeugenstand geladen werden - wenn das Gericht die Beweise doch noch für verwertbar hält.

Beweislage für einen Teil der Vorwürfe erhärtet

Immerhin zeichnet sich ab, dass Jürgens mit einer Verurteilung rechnen muss. Für die Jahre 2009 bis Ende 2011 geht es um zu Unrecht kassierte Mietzuschüsse des Landtags für eine Zweitwohnung. Damals erhielt Jürgens das Geld für eine Mietwohnung in der Jägerallee, obwohl er bereits in eine Eigentumswohnung in Babelsberg umgezogen war. Die vom Landtag bezogenen Zuschüsse in Höhe von 7400 Euro hat er bereits zurückgezahlt. 

Und auch im Fall Beeskow zeichnet sich nach vier Verhandlungstagen ab, dass ihm  bei den Fahrtkostenzuschüsse Vergehen nachgewiesen werden könnte. Dabei geht es um die Zeit von 2012, als seine spätere Frau bei ihm in Babelsberg einzog, bis 2014, als er nicht wieder in den Landtags gewählt worden war. Jedenfalls hat sich Jürgens nach Wahrnehmung von Nachbarn offenbar häufiger in Potsdam als in seiner Wohnung in Beeskow aufgehalten. Das Gericht muss bewerten, ob es sich um Betrug handelt. 

Fraglich bleibt nach den bisherigen Zeugenaussagen der Zeitraum davor. Jürgens war von 2004 - als er in den Landtag einzog - bis 2011 im Haus seiner Mutter in Erkner gemeldet. Dabei soll er aber hauptsächlich, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, bis 2006 in einer 80 Quadratmeter großen Drei-Raum-Wohnung in Berlin-Friedenau und danach in eine Single-Wohnung in Potsdam gewohnt haben. Wobei die Details, wo er wie oft und wann tatsächlich die meiste Zeit gewohnt hat, sowohl bei den Ermittlungen als auch im Prozess bislang unklar blieben. Bislang gibt es nur Indizien. Der schlagende Beweis für die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in diesem Zeitraum fehlt bislang. 

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. 

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