Sexuelle Belästigung in Brandenburg und Berlin: Beiläufig belästigt
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum ist auch in Berlin und Brandenburg alltäglich. Doch nur selten kommt es zur Anzeige. Für den Cottbuser Karneval soll nun ein Sicherheitskonzept erstellt werden.
Stand:
Berlin/Potsdam - Fremde Hände, die einen plötzlich anfassen, Brüste betatschen, an die Oberschenkel greifen, obszöne Laute, ein versuchter Kuss. In der U-Bahn, in der Schule, in der Universität, im Park. Sexualisierte Gewalt und Belästigung im öffentlichen Raum sind für viele Frauen Alltag. In Berlin gab es in der Silvesternacht zwar keine massenhaften Übergriffe wie in Köln, aber immerhin sechs Anzeigen von sexuell belästigten Frauen. Zwei festgenommene Männer sollen jeweils eine Besucherin der Festmeile unsittlich berührt haben. Ein weiterer mutmaßlicher Übergriff auf der Megaparty wurde am Dienstag von einer Frau angezeigt. Außerdem soll es in der Neujahrsnacht noch drei weitere Belästigungen in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und im Tiergarten gegeben haben.
Übergriffe in Berlin in der Silvesternacht
Laut Polizei sind diese Zahlen allerdings für ein Millionenpublikum nicht außergewöhnlich hoch. Auch auf der Festmeile 2014/15 hätten sich drei Übergriffe ereignet. Bei den jetzigen Tätern handelt es sich um einen 17-jährigen Pakistaner und einen 20-jährigen Iraker. Beide leben in Flüchtlingsheimen. Der Iraker soll einer Frau ins Gesicht geschlagen haben, nachdem sie sich seine Angriffe verbat. In beiden Fällen riefen die Opfer gemeinsam mit Zeugen nahe Polizisten zu Hilfe. Im Falle des Übergriffs in Prenzlauer Berg wurde gleichfalls ein Tatverdächtiger festgenommen – diesmal ein Deutscher.
Belästigung und sexualisierte Gewalt sind auch bei den Berliner Frauennotrufen ein Dauerthema, sagen Beraterinnen von Lara, einem Beratungszentrum für vergewaltigte und belästigte Frauen. Nur verlässliche Zahlen gibt es nicht. Generell fließt nur in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), was zur Anzeige gebracht wurde. Im Jahr 2014 waren das in Berlin 684 Fälle von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung, in Brandenburg waren es 179 Fälle. Rechnet man die Fälle heraus, in denen das Opfer zu dem Täter in einer Beziehung stand oder es häusliche Gewalt war (mit mehr als 60 Prozent die Mehrheit), dann bleiben in Berlin noch 270 Fälle übrig, in Brandenburg etwas mehr als 50. Doch über die gibt es keine gesonderten Daten. Sexualdelikte im öffentlichen Nahverkehr haben zugenommen, etwa zwei Drittel der Täter sind Deutsche.
Weder in der Polizeistatistik noch im Kriminalitätsatlas erfasst ist außerdem Beleidigung mit sexuellem Hintergrund – eine Straftat. „Das könnte man anzeigen, aber die meisten tun es nicht“, sagt Anette Diehl, seit 29 Jahren beim Frauennotruf Mainz, Mitglied des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland. Sie weiß, dass die Dunkelziffer von Fällen sexualisierter Gewalt im öffentlichen, wie im privaten Raum weitaus höher liegt. „Man geht davon aus, dass es 10 bis 20 Prozent mehr sind“, sagt Diehl. Dass so viele Frauen in Köln zur Polizei gingen, bezeichnet sie als außergewöhnlich. Sie sagt: „Ich vermute, dass in Köln die Diebstähle der Auslöser waren.“
Anzunehmen, dass das Problem in Berlin nicht existiere, nur weil es wenige Anzeigen gebe, sei falsch, bestätigen auch Berliner Frauenberaterinnen. „Das Strafrecht zur sexuellen Nötigung ist unserer Ansicht nach reformbedürftig“, sagt Maria Noe von Lara. „Es birgt wenig Erfolgschancen und verlangt den betroffenen Frauen sehr belastende, teils demütigende Vernehmungen ab. Daher werden wenig Delikte zur Anzeige gebracht.“
Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden
Das Gefühl, bei der Polizei nicht ernst genommen zu werden, findet sich auch in den Geschichten, die Frauen anonym auf der Hollaback Berlin Webseite veröffentlichen. Hollaback – was soviel heißt wie „Brüll zurück“ – ist eine weltweite Kampagne gegen Belästigung im öffentlichen Raum. Der Berliner Ableger wurde von Julia Brilling mitbegründet. Von den hunderten Geschichten, die bisher dort veröffentlich wurden, weiß Brilling von keinem Fall, in dem erfolgreich Anklage erhoben wurde. Sie erzählt von Männern, die in der U-Bahn neben Frauen masturbierten, andere Fahrgäste schauten weg.
Das Problem sei, dass vieles im Vorbeigehen geschehe. Auch, wenn Belästigung verbal stattfinde, sei es keine Lappalie. Brilling sagt: „Die Polizei müsste besser geschult werden, vor allem nicht das Opfer zu beschuldigen.“ Auch für die Silvesternacht gibt es auf Hollaback einen Eintrag. Eine Frau schreibt, wie ein Mann ihr bis zu ihrer Haustür in Moabit folgte und obszön wurde. Anette Diehl empfiehlt Opfern, darüber zu sprechen, sich zu erinnern, was stark mache. „Wichtig ist, aus Ohnmachtsgefühlen herauszukommen.“
Sicherheitskonzept für Cottbuser Karneval
Nach den Übergriffen von Männerbanden auf Frauen in Köln sollen Konsequenzen auch in das Sicherheitskonzept für die ostdeutsche Karnevalshochburg Cottbus einfließen. Sicherheitsmaßnahmen würden in enger Absprache mit der Polizei und den Veranstaltern, dem Karneval Verband Lausitz, laufend aktualisiert, sagte ein Sprecher der Stadt am Mittwoch. Mit Blick auf Köln sei es die Kernfrage, wie man bei Übergriffen besonders schnell reagieren könne. Karneval wird dieses Jahr Anfang Februar gefeiert.
Auch die Berliner Polizei will die Übergriffe auf Frauen in Köln in eigene Sicherheitsüberlegungen einbeziehen. Bei Großveranstaltungen sei in Berlin ohnehin stets viel Polizei im Einsatz. Bei der jetzt anstehenden Fashion Week sei zunächst der Veranstalter für die Sicherheit verantwortlich. Die Polizei sei aber im Umfeld präsent, so der Sprecher. In Berlin sei bislang eher die Methode von Taschendieben bekannt, ihre Opfer anzutanzen. Die Leute würden umarmt und seien dann abgelenkt. Wenn Täter fremde Menschen anfassen, konzentrierten die sich meist auf Abwehr und achteten in dem Moment nicht auf ihre persönlichen Sachen, so der Sprecher. (mit dpa, Alexander Fröhlich)
Pascale Müller
- Brandenburg
- Hochschulen
- Köln
- Polizei in Potsdam
- Schule
- Schule und Kita in Potsdam
- Sexualisierte Gewalt
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: