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Brandenburg: Berlin will WM-Jubel für Olympia nutzen

Innensenator Henkel: Die Begeisterung zeigt, dass Großereignisse in der Stadt willkommen sind. Wissenschaftler sehen Brasilien eher als abschreckendes Beispiel. Und die SPD hat noch einen Einwand

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Berlin - Die Berliner Landesregierung will die Euphorie nach dem WM-Sieg der Nationalelf für eine mögliche Olympiabewerbung nutzen. „Die Fußball-Weltmeisterschaft zeigt, welche Begeisterung große Sportereignisse wecken und wie sie die Menschen zusammenführen“, sagte Innen- und Sportsenator Frank Henkel (CDU) dieser Zeitung am Dienstag. „Was für den Fußball gilt, gilt auch für die Olympischen Spiele und daher ist es richtig, dass Berlin sich für Olympia bewirbt.“ Die Begeisterung auf der Fanmeile und in der gesamten Stadt während der Fußball-WM mache deutlich, „dass Sportereignisse in Berlin willkommen sind“. Berlin habe zudem in der Vergangenheit „oft genug bewiesen, dass die Stadt solche Großereignisse ausrichten kann“.

Während man beim Koalitionspartner SPD Henkels Optimismus teilt, provoziert die Einschätzung des Senators unter Wissenschaftlern Widerspruch.

„Das ist vordergründig und sehr unpolitisch gedacht“, sagt der Sozialphilosoph Gunter Gebauer. Zum einen liege eine derzeit diskutierte Bewerbung Berlins für Olympia und Paralympia 2024 zeitlich zu weit von der gerade beendeten WM entfernt. „Der Rausch dauert erfahrungsgemäß ein paar Monate, dann folgen die Mühen der Ebene“, sagt Gebauer, der emeritierter Professor an der Freien Universität und Autor zahlreicher Bücher zum Verhältnis von Sportereignissen und Gesellschaft ist. Die derzeitige „wolkige Euphorie“ reiche nicht aus, „um über die Schwierigkeiten der Olympiabewerbung zu tragen“. Zudem habe die WM eher gezeigt, welche Risiken und Nebenwirkungen derartige Veranstaltungen für die Bevölkerung des Veranstalterlandes bergen. Der Weltfußballverband Fifa habe sich in Brasilien „wie ein imperialer Herr aufgespielt“, sagt Gebauer. „Das würde das Internationale Olympische Komitee in Deutschland genauso machen.“ Gerade in Berlin reagiere man auf ein Agieren über die Köpfe der Bevölkerung hinweg besonders stark. Das Beispiel Brasilien, so der Sportphilosoph, habe gezeigt, dass solche Großereignisse „an der Bevölkerung vorbeiorganisiert werden und Geld von der Zukunftssicherung abgezogen wird – das wäre in Berlin nichts anderes“.

„Derartige Sport-Großevents haben temporär eine enorme emotionale Mobilisierungskraft in der Bevölkerung“, sagt Sebastian Braun, Professor für Sportsoziologie und Direktor des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität. Aber bei Olympischen und Paralympischen Spielen gehe es auch um viele andere Fragen neben sportlichen Spitzenleistungen. „Für eine Durchführung der Olympischen Spiele müsste die Mobilisierung der Menschen weit über das Sportliche hinausgehen“, gibt er zu bedenken. „Es geht hier um Fragen von Stadtentwicklungspolitik, um Finanz- und Sozialpolitik, um Bildungs-, Sport- oder Integrationspolitik.“ Für ein solches Projekt sei ein komplexes Konzept erforderlich, „wie Berlin als Stadt und die Menschen, die in ihr leben, in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht von den Olympischen Spielen profitieren sollen“.

Dennis Buchner, sportpolitischer Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, glaubt, dass die WM-Euphorie einer Olympiabewerbung Berlins helfen kann. Die begeisterte Reaktion in Berlin habe gezeigt, „wie sehr Sport zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen kann“. Auf der Fanmeile und in den Biergärten hätten die Menschen unterschiedlichster Herkunft gemeinsam gejubelt. „Hier hat sich die verbindende Wirkung von Sport gezeigt.“ Er hofft, dass sich im kommenden Jahr noch viele Menschen an die Euphorie des Sommers 2014 erinnern, wenn in Berlin die Diskussion über eine Olympiabewerbung an Fahrt gewinnen dürfte. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die aktuelle WM-Euphorie für eine Olympiabewerbung in anderer Hinsicht kontraproduktiv sein könnte: Durch die aktuelle Fußballbegeisterung dürften bislang nur andiskutierte Pläne Berlins für eine Bewerbung um die Fußball-Europameisterschaft für 2024 Aufwind erhalten. Das wiederum könnte dazu führen, dass eine Olympiabewerbung zumindest für jenes Jahr das Nachsehen hätte.

Derzeit ist der Senat in Sachen Olympia mit dem „nationalen Interessenbekundungsverfahren“ befasst. Bis Ende August soll er dem Deutschen Olympischen Sportbund 13 Fragen zu einer möglichen Durchführung der Spiele beantworten, ebenso der potenzielle Konkurrent Hamburg. Dafür ist auch zu klären, wie eine von der Politik angestrebte, aber bisher nicht konkretisierte Bevölkerungsbeteiligung aussehen könnte. Nach der parlamentarischen Sommerpause will das Abgeordnetenhaus über eine mögliche Bewerbung diskutieren. Lars von Törne

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