Brandenburg: Blumen für 106-Jährige – doch sie war nicht da
Wo ist Helene B? Spandau wollte gratulieren, da fiel auf, dass die Jubilarin seit Jahren verschwunden ist
Stand:
Berlin - Das kleine Einfamilienhaus im Ortsteil Staaken in Berlin-Spandau macht einen verlassenen Eindruck. Die unteren Jalousien sind geschlossen. Die weiße Fassade ist grau und der grüne Zaun seit Jahren nicht mehr gestrichen worden. Nur der Garten wirkt sehr gepflegt. Neben sauber geschnittenen Koniferen lugen violett-weiße Krokusse aus den unkrautfreien Beeten.
„Die Frau hat immer im Garten gearbeitet“, erzählt eine Nachbarin. „Auch an dem Tag, als die Polizei kam.“ Sie wirft einen Blick über den Zaun und schüttelt sich leicht: „Ob sie ihre Mutter tatsächlich hier begraben hat? Das ist ja gruselig.“
Momentan kann niemand die Frage der Nachbarin beantworten. Vielleicht hat Sonja W. ihrer Mutter Helene B. tatsächlich den angeblich letzten Wunsch erfüllt und sie statt auf einem Friedhof in ihrem Garten oder auf den angrenzenden städtischen Wiesen beerdigt. Vielleicht hat sie aber auch ein Verbrechen begangen. Keiner weiß jedenfalls, was aus Helene B. geworden ist. Mindestens seit acht Jahren ist sie nicht mehr gesehen worden – weder von Nachbarn noch von Behörden.
Anfang Februar wollten Mitarbeiter der sogenannten Geburtstagskommission, die im Namen des Bezirksbürgermeisters Konrad Birkholz (CDU) betagte Spandauer aufsucht, Helene B. zum 106. Geburtstag gratulieren. Doch wie in den Jahren zuvor trafen sie die Jubilarin nicht an. Und wie schon in den Jahren zuvor erklärte ihnen die 81-jährige Tochter Sonja W., ihre Mutter sei in Österreich. Wahrscheinlich hätten sich die Gratulanten auch diesmal mit der Auskunft zufrieden gegeben. Doch da fügte Sonja W. hinzu, Helene B. sei mit ihrem Ehemann in Österreich. Der Ehemann war aber schon in den 70er Jahren verstorben. Nun wurden die Behördenmitarbeiter doch stutzig und informierten die Polizei. Die durchsuchte in der vergangenen Woche Haus und Grundstück vergeblich nach der 106-Jährigen.
Sonja W. wiederholte stereotyp, dass ihre Mutter „illegal in Österreich“ sei. Die Beamten vermuteten, dass die Frau möglicherweise an Alzheimer leidet. Sie kam in ein Krankenhaus. Ermittelt wird gegen Sonja W. nicht. Ein Polizeisprecher: „Es gibt keinen Anfangsverdacht, wir haben ja nichts gefunden, obwohl wir Haus und Grundstück mit Hunden durchsuchten.“
Einige Nachbarn vermuten offenbar schon länger, dass Helene B. nicht mehr am Leben ist. „Die Polizei hat nur das Grundstück durchsucht“, sagt ein älterer Herr: „Mich haben die Beamten gar nicht gefragt. Ich hätte ihnen gesagt, wo sie suchen sollen: auf den städtischen Wiesen gleich hinter dem Garten.“
Die an ihr Grundstück angrenzenden Wiesen habe Sonja W. ebenso liebevoll bepflanzt und gehegt wie ihren Garten, erzählen andere Nachbarn.
Besuch von Freunden oder gar Verwandten haben die Nachbarn nie bemerkt. „Sonja W. war eine zurückhaltende Frau, die zwar grüßte, aber ansonsten den Eindruck vermittelte, dass sie ihre Ruhe wollte“, sagt eine Nachbarin: „Und sie hat nicht einmal mehr den Schornsteinfeger ins Haus gelassen.“
Dass trotzdem niemand irgendwann die Polizei informierte, erklärt sich Spandaus Bürgermeister Birkholz mit der Anonymität in der Großstadt: „Da merkt man, dass Spandau doch zu Berlin gehört“, sagte er gestern. Ein Sprecher der Vermisstenstelle bei der Polizei meinte hingegen: „Der Krankenkasse müsste doch auffallen, wenn eine so alte Frau nie zum Arzt geht oder Medikamente braucht.“ Auch die Rentenstelle könnte seiner Ansicht nach ab und an nachfragen. Schließlich gebe es einige Fälle, in denen Angehörige den Tod eines Rentners verheimlichten, um die Pension weiterzubeziehen. Im Fall Helene B. sei das aber nicht so, sagen die Ermittler. Von ihrem Konto wurde seit Jahren kein Geld abgehoben. Auch nicht von Österreich aus. Sandra Dassler
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: