Brandenburg: Brandenburger Spuren zur NSU
Über die Verstrickung des V-Manns „Piato“ in das direkte Umfeld des Neonazis-Mörder-Trios
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Potsdam - 13 Jahre ist die Affäre um dem V-Mann-Skandal des Brandenburger Verfassungsschutzes nun her. Doch im Zuge der Aufarbeitung der Mordserie des Terrortrios „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und der Pannen bei den Sicherheitsbehörden könnte jene Affäre um Carsten S., der den Decknamen „Piato“ trug, die Behörden in Brandenburg wieder einholen. Nach PNN-Recherchen war Piato weit tiefer im unmittelbaren Unterstützerkreis der NSU im sächischen Chemnitz verstrickt und aktiv, spielte dabei aber offenbar ein doppeltes Spiel. Dabei war Piato deutschlandweit eine der wenigen Quellen überhaupt, die Hinweise auf das Neonazi-Trio gab, das zehn Morde an Migranten und einer Polizistin begangen hat, die dann allerdings versickerten. Nach PNN-Recherchen war die Verfassungsschutzabteilung des brandenburgischen Innenministeriums näher an Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe dran, als die Behörde bislang zugibt. Mehrere Landtagsabgeordnete von Linken und Grünen forden nun Aufklärung. Die Sache soll am Dienstag Thema in der geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollkommission sein. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages befasst sich damit. Die Generalbundesanwaltschaft, die Anklage gegen Zschäpe erhoben hat, hat S., der sich im Zeugenschutzprogramm befindet, vernommen.
Wer ist Piato?
Carsten S. war in der Neonazi-Szene in Brandenburg überaus aktiv. 1995 wurd er wegen versuchten Mordes an dem nigerianischen Asylbewerber Steve Ereni zu acht Jahren Haft verurteilt. Er war der Anheißer eines Mobs, der den Mann fast totgeprügelt hatte. Das Gericht attestierte ihm damals eine tief verfestigte menschenverachtende Gesinnung. Noch während er in Untersuchungshaft saß, bot er sich dem Verfassungsschutz als Informant an. Er galt damals als wichtigste Quelle aus der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg, durch seine Hinweise wurde Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und auch ein Scharfschützenattentat vereitelt. Monatlich bekam er bis zu 1000 Euro. Seit 1996 war der damalige Innenminister Alwin Ziel (SPD) in die Personalie eingeweiht. Der damals neue Chef des Verfassungsschutzes, der heutige Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster, hatte Bedenken, Sz. als V-Mann zu nutzen, und informierte die Hausspitze. Es blieb beim alten.
Wie kam er zum Verfassungsschutz?
Wohl wegen seiner guten Hinweise kam S. sehr früh in den Genuss von Haftlockerungen, wie aus dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer hervorgeht. Seit Anfang April 1998 war S. Freigänger, um das Abitur, im Fachjargon eine Anpassungsfortbildung, zu absolvieren. Montags bis freitags durfte er das Gefängnis von 6 bis 21 Uhr verlassen. Seit Anfang Mai 1998 war S. „urlaubsgeeignet“ für Regelurlaub, er konnte über 18 Tage Urlaub pro Vollstreckungsjahr frei verfügen. An welchen Tagen genau er außerhalb der Gefängnismauern unterwegs war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die Gefangenenpersonalakten wurden vernichtet, die Aufbewahrungsfrist beträgt zehn Jahre. Und das Landeshauptarchiv fand die Unterlagen nicht „archivwürdig“. Im Dezember 1999 entschied die Strafvollstreckungskammer, dass Sz. nach zwei Dritteln Haftzeit freikommt. Gefängnisleitung und Staatsanwaltschaft befürworteten das. Bei den Haftlockerungen gab es keine Probleme, Sz. wurde positives Sozialverhalten, Fleiß und Zielstrebigkeit beim Abitur bescheinigt, auch weil er sich selbst einen Job und eine Wohnung besorgte. Ein Gutachter bestätigte, dass keine Gefahr bestehe, dass Sz. erneut einschlägige Straftaten begeht. Und die Richter glaubten seiner Erklärung, er habe sich von der rechten Szene gelöst und keinen Kontakt mehr zu alten Kameraden. Tatsächlich war Piato weiterhin in der rechtsextremistischen Szene aktiv. Durch einen Polizisten wurde er im Jahr 2000 enttarnt, seither untersteht er dem Zeugenschutzprogramm und lebt mit anderer Identität an unbekanntem Ort. Brandenburgs Politik verteidigte unisono seine Beschäftigung.
Was berichtete er über den NSU?
Piato berichtete erstmals im September 1998 aus dem militanten Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ in Sachsen, dass drei sächsische Skinheads, zwei Männer und eine Frau, wegen verschiedener bekannter Straftaten auf der Flucht seien und sich mit geliehenen Pässen nach Südafrika absetzen wollten. Als Quellen gibt Piato Antje P., die im Raum Chemnitz einen Vertrieb für rechte Szeneartikel betreibt, und Jan W. an, heute einer der Beschuldigen im NSU-Verfahren, damals Sektionsleiter von „Blood and Honour“ in Sachsen. „P. und W. sollen unabhängig voneinander und ohne Wissen des anderen für die drei tätig sein“, heißt es in einem Dossier des Verfassungsschutzes in Thüringen. Der V-Mann meldete auch, dass Jan W. persönlichen Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehabt habe. W. soll den Auftrag gehabt haben, „die Gesuchten mit Waffen zu versorgen“. Das Geld dafür stammt von „Blood and Honour“ aus rechten Konzerten und CD-Verkäufen. Zudem plane das Trio „einen weiteren Überfall“, um mit dem Geld Deutschland zu verlassen. Und Antje P. wolle der weiblichen Person des Trios ihren Pass für die Flucht geben. Bis Mitte Oktober gab es mehrere Hinweise von Piato, vor allem darüber, dass W. dem Trio immer noch Waffen besorgen will und dass sich die drei im Raum Chemnitz aufhalten. Brandenburgs Verfassungsschutz leitete alles an die Landesämter nach Sachsen, Thüringen und an das Bundesamt weiter. Geschehen ist allerdings nichts. Offenbar, so die Einschätzung in Brandenburgs Sicherheitsbehörden, war ein Rechtsterrorismus von kleinen Zellen und ohne Bekennerschreiber in dieser Form für die Verfassungsschützer völlig neu. Nach heutigen Erkenntnissen handelte es sich um die Mitglieder des NSU.
Wo ist der Haken?
Im Zuge einer Telefonüberwachung von Jan W. stellten die Sicherheitsbehörden mehrere Anrufe von und zu einem Handy fest, das auf das brandenburgische Innenministerium angemeldet war. Nach PNN-Informationen war es das für den V-Mann Piato bereitgestellte Handy. W. am 25. August 1998 um 19.21 Uhr per SMS an Piato: „Hallo, was ist mit den Bums.“ Die Ermittler gehen davon aus, dass mit „Bums“ Waffen gemeint sind. Brisant daran ist, dass Piatos Handy zu dieser Zeit in Chemnitz geortet wurde, wo das NSU-Trio untertauchte. Dass Piato zu dieser Zeit in Chemnitz war, schließt der brandenburgische Verfassungsschutz aber aus. Vielmehr habe sich ein Verfassungsschützer mit Piato getroffen und ihn zurück in die Haftanstalt Brandenburg/Havel gebracht. Geprüft wird derzeit, ob es zwei Handys für Piato gab, eines etwa verloren gemeldet worden war. Im September 1998 dann wollte die Thüringer Polizei die Telefone im Umfeld von „Blood and Honor“ überwachen und forderte in Brandenburg beim Verfassungsschutz einen schriftlichen Bericht zu den Informationen an, der aber bestand auf Quellenschutz für Piato und lehnte ab. Der V-Mann berichtet dann nicht mehr über das untergetauchte Trio. Stattdessen bekam er bei Antje P. und ihrem rechten Szenevertrieb einen Job, ab Anfang 1999 ein Praktikum, dann im April einen Arbeitsvertrag. Er bewegte sich also im direkten Umfeld des NSU-Mördertrio, schwieg darüber ab. Nach PNN-Recherche war er in einem anderen groß angelegten Verfahren von Sicherheitsbehörden mehrere Bundesländer eingebunden – offenbar gegen „Blood and Honour“. Das Netzwerk wurde in Deutschland im Jahr 2000 verboten.
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