Brandenburg: Brandenburgerin setzte Zwillinge in Berlin aus
Mutter aus Teltow-Fläming ließ ihre etwa neun Wochen alten Säuglinge in der Charité zurück Später meldete sie sich bei den Behörden. Der Fall spitzt die Diskussion um Babyklappen weiter zu
Stand:
Berlin/ Luckenwalde - Die Mutter der am vergangenen Freitag in der Berliner Charité ausgesetzten, etwa neun Wochen alten Zwillingsbrüder stammt nach Informationen dieser Zeitung aus dem Landkreis Teltow-Fläming. Vom zuständigen Jugendamt in Luckenwalde war dazu gestern keine Stellungnahme zu erhalten.
Der Fall hatte am Wochenende in Berlin viel Aufsehen erregt, weil die Behörden davon ausgingen, dass sich die Mutter der gesunden und gut gepflegten Kinder in einer akuten Zwangssituation befand. Bei dem vor dem Kreißsaal in einem Doppelkinderwagen abgestellten Babys fand man einen Brief, in dem stand: „Ich möchte gern die zwei Kinder anonym zur Adoption freigeben, da ich ihnen ein besseres Leben ermöglichen möchte wie ich es habe (Gewalt im Alltag). Bitte auch nicht nachzuforschen. Danke“. Das „Danke“ war zweimal unterstrichen.
Rainer-Maria Fritsch, der Jugendstadtrat von Berlin-Mitte, wo die Babys gefunden wurden, hatte sich noch am Sonnabendmorgen große Sorgen um die Mutter der Jungen gemacht: „Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Frau in einer furchtbaren Notlage befindet“, sagte er. Zugleich bat er die Mutter, sich zu melden: „Jugendamt, Kindernotdienst, Krankenhaus, Polizei – alle wissen Bescheid. Wo immer die Mutter auftaucht, wird ihr geholfen.“
Stadtrat und Polizei betonten, dass die Mutter der Zwillinge „höchst verantwortlich“ gehandelt hat und ihr die Trennung von den gesunden und gut gepflegten Kindern schwer gefallen sein muss. Die Frau müsse keine Angst vor Strafe haben, sagte ein Polizeisprecher. Man bewerte ihr Tun nicht als Kindesaussetzung. „Da die Frau dafür sorgte, dass die Kinder schnell gefunden wurden, behandeln wir den Fall wie die Abgabe in einer Babyklappe. Das heißt, es wird nicht gegen die Mutter ermittelt.“
Als die Frau sich tatsächlich meldete, war die Erleichterung groß: „Sie hat am Sonnabendabend mit Mitarbeitern des Kindernotdienstes gesprochen“, bestätigte gestern Jugendstadtrat Fritsch: „Wir sind sehr froh und werden ihr helfen, so gut es geht.“
Zum Alter der brandenburgischen Mutter und zu sonstigen Umständen wollten die Berliner Behörden gestern aus datenschutzrechtlichen Gründen keine weiteren Auskünfte geben. Die Mutter befände sich aber „in Sicherheit“, hieß es und auch die Kinder würden zunächst in der Obhut des Berliner Jugendamts bleiben. Heute soll Kontakt zum Landkreis Teltow-Fläming aufgenommen werden, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Die Frau sei bereit, Hilfe anzunehmen, möglicherweise würde sie ihre Entscheidung, die Kinder zur Adoption freizugeben, noch einmal überdenken, hieß es weiter.
Dass eine Mutter sich noch nach neun Wochen von ihren Kindern trennt, sei selten, sagt der Chefarzt der Kinderklinik in Berlin-Neukölln, Rainer Rossi. Meist geschehe das unmittelbar nach der Geburt, wenn noch wenig emotionale Bindung bestehe. Rossi begrüßt, dass die Polizei das Vorgehen der Mutter nicht als Kindesaussetzung bewertet, die mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann.
Im Neuköllner Klinikum gibt es seit einigen Jahren eine Babyklappe, in der auch schon ein bis zwei Dutzend Kinder abgegeben wurden. Genaue Zahlen darf Rossi nicht nennen, weil der rechtliche Status von Babyklappen ebenso wie der von anonymen Geburten in Deutschland nach wie vor nicht geklärt ist.
Angesichts der wachsenden sozialen Not und der fast täglichen Meldungen über Kindstötungen sei das ein gesellschaftlicher Skandal, findet eine Schwester im Zehlendorfer Krankenhaus „Waldfriede“. Dort gibt es seit Jahren Babyklappe und anonyme Geburten, vor allem aber Betreuung der betroffenen Frauen. „Es sind viele Gründe, warum Mütter sich meist schweren Herzens von ihren Kindern trennen“, sagt die Schwester: „Das reicht von der vom eigenen Vater Vergewaltigten bis zur Aidskranken, die weiß, dass sie nicht mehr lange leben wird, ihr Kind aber gesund ist. Eigentlich müsste in jeder Klinik eine Babyklappe sein.“
Im Flächenland Brandenburg umso mehr, meinen viele Experten. Denn während es in Berlin vier Babyklappen hat, gibt es im gesamten Land Brandenburg nur eine – die Klappe im St. Josefs-Krankenhaus in Potsdam. Dass brandenburgische Frauen ihre Kinder in Berlin aussetzen, ist daher kein Einzelfall. Frauen aus der Uckermark, der Prignitz oder der Lausitz müssten dazu allerdings ihre Neugeborenen mehr als 100 Kilometer weit transportieren.
Doch alle Vorstöße für mehr Babyklappen im Land scheiterten bislang. Im zuständigen märkischen Gesundheitsministerium heißt es, man fördere das nicht, sondern setze nach wie vor auf die lokalen Netzwerke „Gesunde Kinder“, bei denen Paten die Familien zuhause aufsuchen. Allerdings verfügen nach Aussagen von Ministerin Dagmar Ziegler (SPD) erst 53 Prozent der Familien mit Neugeborenen gegenwärtig über Paten.
Die Diskussion dürfte sich angesichts der vier innerhalb der letzten sechs Monate in Brandenburg getöteten Neugeborenen weiter zuspitzen. In der vergangenen Woche lehnte das Cottbuser Thiem-Klinikum ab, eine Babyklappe einzurichten. Begründung: Es gäbe keinen Beweis dafür, dass dann weniger Neugeborene getötet würden. Und außerdem würden dann vielleicht sehr viele Kinder anonym abgegeben werden, die doch ein Recht darauf hätten, ihre Herkunft zu kennen.
Der Neuköllner Chefarzt Rainer Rossi findet das heuchlerisch. Das Recht auf Leben stünde doch wohl über dem Recht auf Kenntnis der eigenen Wurzeln, meint er. Zwar seien Babyklappen kein Allheilmittel, aber sie könnten die oft im Affekt und in absoluter Panik begangene Tötung der Kinder unmittelbar nach der Geburt in einigen Fällen verhindern.
Die junge Frau, die vor fünf Monaten ihr Neugeborenes in Nauen tötete, gab an, sie habe das Baby eigentlich anonym in Berlin zur Welt bringen wollen. Auch die Cottbuserin, die vor wenigen Wochen ihren Sohn nach der Geburt erstickte und am Gräbendorfer See verscharrte, hatte angeblich mit dem Gedanken gespielt, das Kind in einer Babyklappe in Berlin abzulegen.
„Die Chance der ungewollten Kinder, am Leben zu bleiben, wächst offenbar mit der Möglichkeit der Mütter, anonym zu bleiben“, schätzt ein Ermittler der Kriminalpolizei ein. Das aber sei in Brandenburg oftmals schwierig. Wahrscheinlich sei die Mutter der in der Charité ausgesetzten Zwillinge auch genau deshalb nach Berlin gekommen.
Hilfe und Beratung für Schwangere und Mütter gibt es – auch anonym – in Berlin unter der Telefonnummer (030) 61 00 61 oder (030)8181 0335. In Brandenburg hilft das St.Josefs-Krankenhaus Potsdam (0331) 96820 oder das Kinderhaus Sonnenblume in Bernau (03338) 759402. In beiden Einrichtungen kann man Kinder notfalls auch anonym abgeben.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: