Brandenburg: Charité-Mord: Die Kollegen schwiegen Entsetzen im Prozess gegen Krankenschwester
Berlin - Der Ehemann saß am Bett seiner schwer kranken Frau. Er hielt ihre Hand, sah auf die Geräte.
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Berlin - Der Ehemann saß am Bett seiner schwer kranken Frau. Er hielt ihre Hand, sah auf die Geräte. „Man konnte richtig sehen, wie die Kurve runterging“, erinnerte sich Uwe S. gestern vor dem Landgericht. Er konnte sich auch an Schwester Irene erinnern. „Sie war nett und freundlich“, sagte der 51-jährige Witwer. Er hatte nichts Auffälliges am Verhalten von Irene B. bemerkt. Doch damals, am 19. September 2006, gab es längst Schwestern und Pfleger, die misstrauisch waren – und trotzdem nicht reagierten.
Es war kein böser Tratsch auf der Station. Es gab konkrete Beobachtungen. Irene B. sei in den letzten zwei Jahren „rabiater“ im Umgang mit den Patienten geworden, erklärten mehrere ehemalige Kollegen der Frau im Prozess wegen sechsfachen Mordes an Patienten gegen die Ex-Charité-Krankenschwester. Im März 2006 schlug sie nach Angaben einer 33-jährigen Krankenschwester eine Patientin auf die Hände. „Die Frau war in einem verwirrten Zustand“, sagte die Zeugin. Irene B. sei in der Situation wohl überfordert gewesen.
Diesen Vorgang meldete die Zeugin der Stationsschwester. „Ich habe erwartet, dass sie mit Irene spricht“, sagte die Zeugin. Geschehen aber ist nichts. „Ich habe es zunächst für mich protokolliert“, erklärte später die 36-jährige Stationsschwester. Sie habe Frau B. beobachtet. „Bis zum Juli habe ich nichts von neuen Vorfällen gehört“, rechtfertigte sie ihr Schweigen. Sie ging erst zu ihrer Vorgesetzten, als von einer zweiten Misshandlung die Rede war. Gemeinsam habe man mit der verdächtigten Kollegin reden wollen – tat es aber nicht.
Warum haben Kollegen von Irene B. geschwiegen? Dabei schien es ein offenes Geheimnis zu sein, dass die Frau in den letzten zwei Jahren immer wieder verbal-aggressiv und rabiat gegenüber Patienten aufgetreten ist. „Warum habe Sie nicht mit der Frau gesprochen?“, wurden mehrere Krankenschwestern gefragt. „Vielleicht fehlte mir der Mut“, sagte eine Zeugin. „Ich dachte, die Stationsleitung sagt mal ein Wort“, sagte eine andere. „Es war ja nicht so doll“, sagte eine 24-Jährige, die einen Schlag auf die Hände gesehen hatte.
Selbst die Gerüchte, Irene B. könnte mit den plötzlichen Todesfällen auf der Intensivstation der Kardiologie im Zusammenhang stehen, lösten keinen sofortigen Alarm aus. Sie habe am 27. September davon erfahren, sagte die Stationsschwester. Einen Tag später habe sie ihrer Vorgesetzten davon berichtet. Aus ihrer Sicht hatte sie das Nötige getan.
„Das ist ungeheuerlich, mit Verlaub“, donnerte fassungslos über ein derartiges Verhalten der Vorsitzende Richter. Auch ein Nebenkläger wandte sich an die Stationsschwester. „Wenn Sie bereits im März reagiert hätten – könnte es sein, dass mein Vater die drei weitere Patienten friedlich hätten sterben können, statt Opfer dieser Person zu werden?“
Die 54-jährige Irene B. war am 4. Oktober letzten Jahres festgenommen worden. Sie soll zwischen Juni 2005 und 2. Oktober 2006 sechs schwer kranke Menschen im Alter von 48 bis 77 Jahren jeweils mit einer Medikamenten-Überdosis getötet haben. Zwei weitere Patienten sollen die Giftspritze überlebt haben. Doch Irene B., die vier Tötungen eingeräumt hat, will „im Willen“ und „zum Wohle“ der Patienten gehandelt haben. Der Prozess wird am 2. Mai fortgesetzt.Kerstin Gehrke
Kerstin Gehrke
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