Brandenburg: „Da hören die Vögel auf zu piepsen“
40 Jahre schon entschärft Horst Reinhardt Giftgasgranaten und Weltkriegsbomben. Heute ehrt ihn Innenminister Woidke
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Potsdam/Zossen - Sein Job gehört zu den gefährlichsten in Brandenburg: Mehr als 150 Bomben hat Horst Reinhardt in 40 Dienstjahren entschärft. Doch von Routine mag der Technische Leiter des staatlichen Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KMBD) nicht sprechen – zu gefährlich. „Es braucht immer wieder einen Weckruf. Da knechte ich auch meine Kollegen“, sagt der Vater eines erwachsenen Sohnes. Vor zwei Jahren gab es eine deutliche Mahnung: In Göttingen (Niedersachsen) starben drei Menschen, als eine Bombe mit einem chemischen Langzeitzünder explodierte. Lebensgefährliche Munition, wie sie bis heute in Brandenburgs Erdreich lauert.
Dass ihm nun Innenminister Dietmar Woidke (SPD) zu seinem 40-jährigen Dienstjubiläum selbst gratuliert hat, erfüllt den Bombenentschärfer mit Stolz. „Dadurch fühle ich meine Arbeit besonders gewürdigt“, gibt er zu. Gefeiert wird jedoch im kleinen Kreis: „Mit meiner Frau“, sagt Reinhardt grinsend.
In kaum einem anderen Bundesland sind die Folgen des Zweiten Weltkrieges noch so präsent wie in der Mark. Jährlich werden durchschnittlich 590 Tonnen Munition geborgen. Einen Schwerpunkt bildet Oranienburg (Oberhavel): Mehr als 10 000 Bomben prasselten im Zweiten Weltkrieg auf die Stadt vor den Toren Berlins herunter, in der heute 42 000 Menschen leben.
„Die Einsätze in Oranienburg sind immer markant“, sagt Reinhardt. „Die Langzeitzünder vertragen kein lautes Husten und werden mit großem Respekt behandelt.“ Viele dieser Einsätze leitet der Mann mit den schelmischen Augen und dem offenen Lächeln, oft entschärft er die Bombe aber auch selbst. „Dann sitzt man dort ganz alleine vier bis sechs Meter tief in einem Loch. Es ist Totenstille. Sogar die Vögel hören auf zu piepsen. Als ahnten sie, was ist“, schildert er. „Das ist immer spannend. Man kann noch so lange dabei sein - da läuft es einem eiskalt den Rücken runter.“ Einsätze, die seine Angehörigen nach wie vor in Angst versetzen.
„Am Anfang war die Aufregung größer“, meint Horst Reinhardt zwar. Doch er hat eine Verpflichtung: Ist der Einsatz überstanden, muss er sich sofort zu Hause melden. Das ist häufig der Fall. Reinhardt und seine rund 50 Mitarbeiter haben täglich mit hochexplosiven Funden zu tun.
„Es vergeht kein Tag, wo wir nicht unterwegs sind, um Kampfmittel zu beseitigen.“ Zu den spektakulärsten Einsätzen gehörte zuletzt die Bergung von Munition in Neuhausen (Spree-Neiße), wo Spezialisten fast drei Monate lang Minen gesucht haben. Zuvor hatte im Dezember 2011 die Selbstzündung einer sogenannten Riegelmine einen tiefen Krater in eine Straße gerissen. „Da musste man sich etwas einfallen lassen. Denn die Minen, die noch scharf waren und gezündet waren, vertrugen keinerlei Erschütterung.“ Beseitigt wurden sie schließlich mit einem gepanzerten Bagger, der sich mithilfe einer Videokamera zu der Munition durcharbeitete.
Die Sicherheit seiner Mitarbeiter ist dem Briefmarkensammler wichtig: Nach dem tragischen Unglück in Göttingen wurde ein sogenanntes Wasserschneidgerät entwickelt, das den Zünder aus der Bombe schneidet. „Damit muss niemand mehr direkt mit der Hand an der Bombe arbeiten“, erklärt er. Nach einer Schlosserlehre wechselte er als Offiziersschüler ins DDR-Innenministerium und wurde schließlich Polizist. Vor 40 Jahren sattelte er dann um zum explosiven Job.
Bereut hat er es bislang nicht. „Es ist ja nicht nur eine gefährliche, sondern auch eine sehr spannende Aufgabe“, betont der 61-Jährige. Munition und Giftgasgranaten aus dem Kaiserreich hat er schon geborgen, sogar eine Kanonenkugel.
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