Brandenburg: „Da ist oft niemand mehr“
Noch immer treffen Behinderte in Brandenburg in allen Bereichen des Alltags auf viele Hindernisse
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Potsdam - Kaum noch Hilfe für Rollstuhlfahrer an Bahnhöfen, fehlende Leitsysteme für blinde Menschen oder knapper barrierefreier Wohnraum – behinderte Menschen in Brandenburg haben nach wie vor mit großen Problemen zu kämpfen. „Die Situation hat sich insgesamt schon deutlich verbessert, aber noch immer sind mehr Kreativität etwa von Baufachleuten sowie grundsätzlich weniger Gedankenlosigkeit gefragt“, sagte der Behindertenbeauftragte des Landes, Rainer Kluge. In der Mark leben nach seinen Angaben etwa 280 000 Menschen mit schwerer Behinderung, etwa die Hälfte ist älter als 55 Jahre.
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen riefen auch mehrere Verbände zu stärkeren Bemühungen um Integration auf. Ein Schlüssel dafür ist nach Auskunft Kluges die Mobilität. „Durch die sukzessiven Stilllegungen von Bahnstrecken werden Betroffene zunehmend eingeschränkt – viele fühlen sich gezwungen, vom Land in die Städte zu ziehen.“ Zugleich kritisierte Kluge, dass die Deutsche Bahn immer mehr Personal aus den Bahnhöfen abziehe. „Da ist oft niemand mehr, der einem Rollstuhlfahrer oder gehbehinderten Reisenden in den Zug hilft.“
Der Blinden- und Sehbehindertenverband Brandenburg beklagte, dass Beschäftigte in Behindertenwerkstätten bundesweit künftig ihr Mittagessen selber zahlen müssten. „Es geht um 2,50 Euro am Tag, aber Behinderte haben nicht viel Geld und bleiben dann vielleicht dem Mittagessen fern“, sagte Geschäftsführer Joachim Haar in Cottbus und verwies etwa auf die Werkstätten für Behinderte in Spremberg (Spree- Neiße). Damit entfiele auch ein wichtiger Teil des Miteinanders und der Kommunikation, wichtige Aspekte für die Betroffenen.
Die Schwierigkeiten für behinderte Menschen, ihren Alltag zu meistern, sind vielschichtig: Sie reichen vom holprigen Pflaster, das die Denkmalschutzbehörde unbedingt nach historischem Vorbild verlegen will, über fehlende optische Hinweise für Gehörlose bis hin zu dem schon genannten fehlenden Wohnraum. „Experten sprechen von lediglich 1 bis 3 Prozent Mehrkosten, um eine neue Wohnung barrierefrei zu errichten – und trotzdem wird nicht genügend dementsprechend gebaut“, beklagte sich Kluge.
Sehr problematisch sieht es auch auf dem Arbeitsmarkt mit – rund 8000 Schwerbehinderte suchen derzeit einen Job. „Für behinderte Menschen hat eine Arbeitsstelle eine viel höhere psycho-soziale Bedeutung als für Nicht-Behinderte“, betonte Kluge. Nach Angaben des Arbeitsministeriums gibt es viele Maßnahmen, um behinderten Menschen im Land das Leben zu erleichtern. So würden arbeitssuchende Behinderte verstärkt unterstützt oder der barrierefreie Tourismus finanziell gefördert.
Um auf Missstände im Land aufmerksam zu machen, schreibt Brandenburgs Allgemeiner Behindertenverband alljährlich einen Preis mit dem Titel „Betonkopf“ aus. Allein die Nominierung sorge in vielen Fällen für ein Umdenken bei Behörden, Vereinen oder Unternehmen, hieß es. In diesem Jahr hatte der Verband die Drehkreuze in Supermärkten mit dem „Betonkopf“ als unzumutbare Barrieren gebrandmarkt.
Imke Hendrich
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