POSITION: Das Ende ist der Anfang
Mit der Debatte über den Bericht der Enquete geht die Aufarbeitung erst richtig los Von Christian Booß
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Manchmal hat man den Eindruck, die Landesregierung sieht in der Enquete zur Aufarbeitung der jüngeren Landesgeschichte so etwas wie ein Gewitter. 2010 hoffte sie, dass das Unwetter am Land Brandenburg vorbeigehen würde. Als die Opposition auf ihrem Minderheitenrecht beharrte, wurden starke Töne laut. Schließlich musste sich die Platzeck-Truppe in das Schicksal fügen, die Gummistiefel anziehen und die Keller ausschippen. Jetzt, wo alles getan wurde, scheint es, wird der Schaden kleingeredet und dies als Erfolg der Mehrheitsfraktionen dargestellt. Und manche hoffen, dass jetzt schnell wieder die Sonne scheint. Außer Spesen also nichts gewesen?
Zunächst, trotz aller Unzulänglichkeiten, die kürzlich an dieser Stelle beklagt wurden, diese Enquete ist eine Erfolgsgeschichte, die langfristige Folgen haben wird. Die Brandenburger können froh sein, dass der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Axel Vogel, sie 2010 aufbrachte. Brandenburg hatte bislang das Image, Schlusslicht zu sein, auf einmal steht es ganz vorne. Und das ist zeitgemäß.
Allein dadurch, dass sie stattgefunden hat, hat die Enquete viel bewirkt. Ich habe seit der Landesgründung in den 1990er-Jahren erst als SFB-, dann als ORB-Journalist zahlreichen Landtagssitzungen beigewohnt. Damals war viel DDR- Sprech zu hören. Stundenlang redete man über die „demokratische Bodenreform“ in der DDR, so als hätte es 1989/90 nie gegeben. Dabei war diese Bodenreform, die von Stalin angeordnet war, alles Mögliche, demokratisch war sie sicherlich nicht. Demgegenüber wurde damals fast nie über die Opfer der SED-Diktatur gesprochen. Brandenburg war in den zehn Jahren nach der Landgründung das einzige ostdeutsche Land, in dem es keine Beratungsinfrastruktur für Opfer gab. Entschädigungsleistungen für Haft, berufliche oder gesundheitliche Benachteiligungen konnten so jahrelang nicht ausgezahlt werden. Dass dies im Sozialstaat einer Regine Hildebrand möglich war, ist bis heute erklärungsbedürftig. Man kann zum ehemaligen Innenminister Schönbohm stehen, wie man will. Es war sein Verdienst, da vor einigen Jahren nachgebessert zu haben. Ironischerweise musste es erst zu Stasi-Enthüllungen kommen, bis endlich mit Ulrike Poppe und ihrem Team eine kompetente Landesbeauftragte etabliert wurde. Die Enquete hat die Frage der Opferentschädigung noch einmal deutlich auf die Tagesordnung gesetzt. Vieles ist mit Geld nicht zu heilen. Daher kommt auch der symbolischen Entschädigung eine wichtige Rolle zu. Es war von daher längst an der Zeit, dass den Gedenkstätten im Land größere Beachtung geschenkt wird.
Warum manches in den 1990er-Jahren so merkwürdig lief, ist durch die Enquete deutlich geworden. Die problematischste Hürde, die Einschätzung von Manfred Stolpe, hat die Enquete vermieden. Gut so, die meisten Fakten liegen ohnehin auf der Hand, jeder kann sich seine Meinung bilden. Schade, dass die Medienanalyse der brandenburgischen Zeitungen nicht realisiert werden konnte. Sie hätte erbracht, dass die gewendeten SED-Zeitungen den Brandenburgern ihre Meinung zu Stolpe schon überhalfen, bevor überhaupt die ersten Fakten aus den Akten bekannt waren. Demokratische Öffentlichkeit sieht anders aus.
Was allerdings durch die Enquete auf den Tisch kam, war schon atemberaubend genug. Die Fraktionsspitzen haben 1991 einfach einen Landtagsausschuss zur Überprüfung auf Stasi-Tätigkeit abgeändert und entschärft. Mancher der Beteiligten hatte ein höchst persönliches Interesse daran. Man kann im Nachhinein nur über das naive Vertrauen staunen, dass diesen Politikern in der Öffentlichkeit entgegengebracht wurde, auch von der Presse. Das war ein Rechtsbruch, sogar ein Verfassungsbruch. Und das war die Gründungsurkunde für Stolpes „kleine DDR“. Da war es nur noch ein schlechter Witz, dass die Enquete zutage gefördert hat, dass ein Teil der Stasi-Akten, ausgerechnet zu der roten Eminenz in der damaligen PDS, Heinz Vietze, und einem anderen Prominenten, bis 2012 ungeöffnet im Verantwortungsbereich des Landtagspräsidenten lagen.
In der Phase der Alleinregierung der SPD, Mitte der 90er-Jahre, verschoben sich einige Gewichte. Die Bürgerbewegten fielen aus der Regierung. Nicht nur zulasten der Opfer. Schritt für Schritt wurden auch die Bürgerrechtler, die 1989 die Sozialdemokratische Partei in Ostdeutschland neu gegründet hatten, aus Parteifunktionen gedrängt. Fast schon ist verdrängt, dass der Gründungsort Schwante in Brandenburg liegt. Die SPD sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob das in Ordnung war. Irgendwie war die SPD damals eine Art Koalition mit der alten SED-Bürokratie eingegangen. Diese war in Stadt-, Kreis- und Landesverwaltungen noch höchst präsent. Sie musste kaum noch Stasi-Überprüfungen befürchten. Was leider auch in der Enquete zu kurz kam: In der Verwaltung saßen viele Leute, die viel Schlimmeres angerichtet hatten als kleine IM. Die ehemaligen Verwaltungen für Inneres zum Beispiel haben Kirchgemeinden und Ausreiseantragsteller schikaniert. Nicht wenige Ausreiseantragsteller sind wegen Aussagen von derartigen Bürokraten sogar im Gefängnis gelandet. Wo sind diese Apparatschiks nach 1990 geblieben? Manche wechselten nur Ressort oder Türschild und nannten sich nun Amtsleiter für dies und das.
Es ist zwar maßlos übertrieben, wenn gelegentlich behauptet wurde, die gleichen Leute wie früher seien immer noch am Ruder. Aber es waren eben nicht wenige und manche wussten diesen Einfluss zu nutzen. Es gab und gibt in manchen Gegenden Seilschaften bis heute. Allerdings macht es wenig Sinn, hier nachzukarten. Das Problem des versäumten Elitentausches erledigt sich allmählich biologisch durch Renteneintritt. Auch die Kreisversammlungen der Linkspartei wirken wie Versammlungen im Veteranenheim, bei dem einige Jüngere die Heimleitung abgeben und sagen, wo es langgeht.
Doch manche ziehen die falschen Schlussfolgerungen aus diesen Veränderungen. Nach wie vor hoffen einige in den Regierungsparteien, dass sie das Thema Enquete mit dem Schlussbericht abhaken können. Nach den Wahlen: Neues Spiel, neues Glück. Nach wie vor halten manche an der strategischen Maxime fest: Aufarbeitung interessiert doch keinen mehr, das verprellt die Leute nur.
Doch weit gefehlt. Die Soziologie des Landes hat sich stark geändert. Brandenburg, gerade Potsdam und Umgebung, war vor dem Krieg eher konservativ. Nach dem Krieg sind viele der alten Eliten, weil sie NS-verstrickt waren oder aus Furcht vor der Sowjetisierung, geflohen. Es rückte eine neue, oft sächsisch geprägte Funktionärsschicht nach. Potsdam wurde Kaderschmiede für den Schuldienst, den Staatsdienst, die Partei, die Stasi. Dieser „Geist von Potsdam“ hat in den 1990ern stark auch die Landesregierung geprägt, beide Ministerpräsidenten waren Potsdamer Bürger. Doch gerade Potsdam und Umgebung haben sich durch Restitution und Zuzug gewandelt. Und auch die Kinder der SED-Funktionäre haben nicht mehr Staatswissenschaften in Babelsberg studiert, sondern sich den Wind um die Nase wehen lassen. Neue Menschen und neue Generationen stellen neue Fragen.
Das Land selbst, in den Dörfern und Kleinstädten, war immer konservativer. Die Familien der Besitzbürger und Bauern haben es den Kommunisten nie verziehen, dass sie in die Kollektivierung gedrängt wurden. Diese Vergangenheit interessiert in diesen Milieus sehr wohl. Es ist kein Zufall, dass das Thema Landwirtschaft das dritte große Thema der Enquete war. Jeder zehnte landwirtschaftliche Großbetrieb wurde im Zuge der LPG-Umgründungen derart rechtsfehlerhaft gegründet, dass er ohne deutliche Nachbesserungen eigentlich nicht weiter bestehen dürfte. Das besagt ein wissenschaftliches Rechtsgutachten. Die Regierung hat dazu bisher auffällig geschwiegen. Offenbar hofft man, dass dieses Thema wie ein Gewitter vorbeizieht. Das aber wird kaum der Fall sein. Landesbedienstete, die an solche Betriebe Grundstücke verpachten oder gar verkaufen oder Fördermittel auszahlen, müssen im Extremfall damit rechnen, wegen Untreue belangt zu werden. Zumindest können der Bund und die EU Rechenschaft über den Verbleib derartiger Zuwendungen verlangen. Die Regierung Woidke hat also allen Grund, Klugheit walten zu lassen und nicht zu hoffen, dass dieses Thema wie ein Gewitter vorbeizieht.
Ohnehin würde es sich lohnen, einige Themen weiterzubetrachten, die die Enquete nur unbefriedigend gestreift hat. Viel zu wenig war vom Mut und der Zivilcourage die Rede, mit der viele Brandenburger seit 1945 Zumutungen des Stalinismus und der poststalinistischen Diktatur getrotzt haben. Auch diese Geschichten wären einen Platz im brandenburgischen Geschichtsbuch wert. Am besten man gründete für derartige offene Fragen ein kleines Institut an der Universität Potsdam oder der Viadrina. Ein Robert-Havemann-Institut vielleicht. Denn die Aufarbeitung ist keineswegs zu Ende. Sie hat gerade erst begonnen.
Der Autor ist Historiker und Journalist und hat zwei Gutachten für die Enquete-Kommission verfasst.
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