Von Alexander Fröhlich: Das Erbe der Roten Armee im Schlauch
Neuruppin: Häuslebauer haben mit verseuchtem Grundwasser ihre Beete gegossen – dabei war die Belastung sei Jahren bekannt
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Potsdam/Neuruppin - Das Erbe der Sowjetarmee wird Brandenburg noch Jahrzehnte beschäftigen. Ein neuer Fall von verseuchtem Grundwasser sorgt derzeit in Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) für Ärger. Dort dürfen Hausbesitzer eines erst vor wenigen Jahren entstandenen Wohnparks ihre Gärten nicht mehr mit Wasser aus eigenen, aber illegalen Brunnen gießen. Denn gleich nebenan befand sich bis 1993 eine Kaserne der Roten Armee. Landrat Christian Gilde (SPD) vermutet, dass dort Panzer mit Lösungsmitteln gewaschen wurden – und das ohne jede Schutzmaßnahme. „Aber ganz genau wissen wir nicht, was die Russen dort gemacht haben“, erklärte Gilde gestern den PNN.
Jedenfalls ist das Grundwasser mit leichtflüchtigen halogenierten Kohlenwasserstoffen (LHKW) belastet, die Messdaten von teils 7000 Milligramm Trichlorethen je Liter liegen deutlich über den Grenzwerten von 10 Milligramm. Laut Potsdamer Umweltministerium sind die Stoffe krebserregend und schädigen das Erbmaterial. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft Neuruppin, ob sie Ermittlungen gegen die zuständige Umweltbehörde des Kreises aufnimmt, ihr liegen Anzeigen wegen Körperverletzung und Untätigkeit vor. Die Häuslebauer fragen sich, warum Baugenehmigungen ohne Hinweis auf das Gift erteilt wurden.
Schon seit 1999 ist der Fall bekannt, sagte Landrat Christian Gilde (SPD) gestern. Beim Bau des Arbeitsamtes hatten Fachleute damals die Verseuchung festgestellt. Für eine Schwimmhalle wurde abgesenktes Grundwasser in den Schmutzwasserkanal geleitet. Gilde selbst kann behördenintern nicht nachvollziehen, warum seine Mitarbeiter trotz „dringenden Handlungsbedarfs“ untätig blieben. Erst Ende Mai ist 200 betroffenen Anwohnern nun die Nutzung des Grundwassers zum Trinken oder für den Garten untersagt worden, dies hat ein 2006 in Auftrag gegebenes Gutachten empfohlen. Das Umweltministerium ist eingeschaltet, 39 Dienstaufsichtsbeschwerden liegen vor.
Das belastete Grundwasser fließt auch in den bei Ausflüglern beliebten Ruppiner See, die Folgen will das Umweltministerium prüfen. Gilde betonte, es kann weiter gebadet werden. „Dort gibt es keine Beanstandungen.“ Nun soll ein Monitoringplan her, eine Reinigung des Grundwassers sei zu teuer.
Neuruppin ist nicht der einzige Fall. In Potsdam-Nedlitz sind seit drei Jahren Pumpen und Filter im Einsatz, damit die Schadstoffe nicht zum Wasserwerk gelangen. Gleiches geschieht in Rathenow (Havelland). An insgesamt etwa 20 Standorten lassen die Behörden derzeit Grundwasser reinigen. Eine Kerosin-Blase wird in Cottbus auf einem früheren NVA-Flugplatz abgepumpt, für 2,5 Millionen Euro entsteht dort ein Technologie-Park.
Insgesamt 12000 Flächen standen Mitte der 1990er Jahre im Verdacht, dass dort Boden oder Wasser mit Chemikalien belastet sind: Kasernen, Flughäfen, aber auch Fundorte von Ölfässern. Erst zehn Prozent sind abgearbeitet, berichtet Detlef Linke, zuständiger Referent im Umweltministerium. Insgesamt mehr als eine Milliarde Euro kostete es bislang, Militärliegenschaften zu räumen und für die zivile Nutzung herzurichten. Aktuellster Fall ist Sperenberg (Teltow-Fläming). Der frühere Zentralflugplatz der „Westgruppe der Truppen“ war als Alternative zum BBI im Gespräch, falls der Hauptstadtflughafen in Schönefeld scheitert. Nun hat der Bund das 5000 Hektar große Areal ans Land übertragen. Detlef Linke vom Umweltministerium sagt: „Dort müssen wir die ganze Schadstoffpalette abarbeiten.“
Positiver Effekt des dreckigen Erbes: Von den 100 000 Hektar Militärflächen, die Mitte der 1990er Jahre an Land gingen, werden inzwischen 89 Prozent zivil genutzt. Laut Finanzministerium wurden 1315 Arbeitsplätze geschaffen, 558 Millionen Euro an Investitionen ausgelöst.
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