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LAUSITZ Warum Cottbus auf sich stolz sein kann: Das ist nicht alles Cottbus, eher Wolfsburg

Der Spott über die Lausitz-Stadt und das Wunder des Überlebens in schweren Zeiten / Von Johann Legner

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Das ist doch alles Cottbus, sagte 2001 eine der deutschen Feuilleton-Größen, Joachim Kaiser aus München, in einem „Spiegel“-Gespräch. Fünf Worte von nachhaltiger Wirkung für Brandenburgs zweitgrößte Stadt. Um die ging es allerdings gar nicht in dem Gespräch, sondern um die andere ein Stückchen weiter unten am Fluss, um das große Berlin und seine Politiker – und die seien eben alle Cottbus.

Von dem Verdikt über die Berliner Politik ist niemandem noch etwas in Erinnerung. Nur die Anmerkung zu Cottbus wurde zum geflügelten Wort. Man kann diesen Spruch vielfältig interpretieren. Aber er war als Beschimpfung gedacht und so wird er seitdem auch genutzt. Ein gutes Jahr später tauchte ein junger Journalistenkollege in Cottbus auf, Holger Kreitling von der „Welt“. Den hatte man wegen Kaiser dorthin geschickt. Er schrieb so wunderbar über die Stadt, sein Theater und den Fußball, dass er dafür einen der renommiertesten Journalistenpreise bekam. Cottbus aber hatte nichts davon – das Stigma blieb, war und ist nicht mehr wegzuschreiben.

In dieser Zeitung hat vor kurzem ein überaus erfolgreicher Werbeagentur-Chef davon eine neue Variante zum Besten gegeben. „Wir wollen doch nicht Cottbus werden“, sagte er in einem kurzen Interview auf die Frage, was denn seine derzeitige Lieblingsformulierung sei. Meyer heißt der kreative Mann übrigens, aber dafür kann er nichts. Er wird dafür gepriesen, dass er schon Gerhard Schröder und Angela Merkel und auch VW geholfen hat. Er kann also etwas – und wir sollen doch nicht Cottbus werden!

Die Lausitz-Stadt lag einmal genau zwischen Berlin und Breslau – zwischen der größten und der zeitweilig vitalsten deutschen Großstadt. Sie hat damals nicht nur davon profitiert, sie lag auch mitten in einer blühenden Industrieregion. Die Neiße war ohne Grenzmarkierungen und die Spree floss ohne Abraumreste weiter nach Berlin. Cottbus war so etwas wie beispielsweise Ulm, auch wenn es kein so berühmtes Kind wie Albert Einstein vorweisen konnte. Würde jemand auf die Idee kommen, „das ist doch alles Ulm“ zu sagen? Ha, ha, ha würden die Ulmer sagen und selten so blöd! Die deutsche Provinz hat nicht nur eine große Vergangenheit, sie hat auch eine Zukunft. Das weiß man im Feuilleton auch sehr genau und deswegen hütet man sich zumeist mit all zu platten Sprüchen über jene Städte, die zwar vieles, nur eben nicht Weltniveau aufweisen. Mit Berlin verglichen wäre jedenfalls vieles in Deutschland nur Ulm.

Warum aber geht ausgerechnet bei Cottbus der Spott als geistreiche Anmerkung durch? Zunächst sicher weil Cottbus nicht mitten drin und an der Donau, sondern weit weg und an der Neiße liegt. Das ist doch alles Osten pur, eben Cottbus. Da kamen nach den gemeinsamen großen Verirrungen dann zu guter Letzt die Russen und nicht Mister Marshall. Und da kann man als vom Zufall Beglückter darauf Wert legen, dass dies Folgen hatte, haben musste und der eine Platz sich gewaltig vom anderen unterscheidet. Der Herr Kaiser in München und der Herr Meyer hören auch deswegen an einem bestimmten Punkt auf nachzudenken und genießen den Spott.

Damit könnte man zur Not noch leben – steckte dahinter nicht auch ein unerträgliches Stück jener egoistischen Feigheit, mit der deutsche Intellektuelle sich schon immer angeblich bequeme Objekte für ihre Witzchen aussuchten. Denn in erster Linie kam man auf Cottbus nicht wegen der Randlage und den damit einher gehenden Gefahren. Man kam darauf, weil man sich an die absoluten Provinznester im Westen nicht heranwagt. Damit meine ich nicht etwa Ulm – aber wie wäre es beispielsweise mit Wolfsburg? Das ist doch alles Wolfsburg – das hätte wenigstens ansatzweise eine gewisse Berechtigung. Ein geschichtsloses Städtchen, das von den Nazi-Verbrechern hochgezogen wurde. Ein deutscher Tatort, der gerade wieder am Fließband Schlagzeilen seiner Kleingeistigkeit, auch Dummheit produziert. Das ist doch alles Wolfsburg! Aber wer legt sich schon gerne mit denen dort an – mit deren Fördertöpfen und PR-Etats? Da wäre man ins Risiko gegangen. Und Intellektuelle made in Germany, richtige wie selbsternannte, sind doch nicht blöd und gehen ins Risiko.

Den Cottbusern kann man nur empfehlen, sich einen kurzen Spaziergang zu ihrem Staatstheater zu gönnen. Das ist so einmalig wie das Ulmer Münster und ein Zeugnis eines stolzen Bürgergeistes, der sich hoffentlich eines Tages auch in Wolfsburg entwickeln wird. Cottbus war, ist und bleibt ein Wunder des Überlebens in schweren Zeiten. Ich weiß, wovon ich rede – ich habe mich einige Jahre mit diesen Cottbusern herumgeärgert und sie zuweilen verflucht ob ihrer wortkargen Sturheit. Aber das ist mir vertraut aus meiner schwäbischen Heimat und irgendwann habe ich angefangen sie zu respektieren. Zuhause an der Donau ist nämlich genau genommen auch fast alles Cottbus.

Der Autor war von 2000 bis 2006 stellvertretender Chefredakteur der Lausitzer Rundschau in Cottbus und lebte dort. Heute schreibt er Bücher, unter anderem „Joachim Gauck. Träume vom Paradies“ über den Bundespräsidenten.

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