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Brandenburg: Das Leiden am DDR-Unrecht

Kontakte zu Ausländern, Rias-Hörer, Schmarotzer, Arbeitsverweigerer, Verbindungen zur West-SPD: Die Geschichten von Opfern aus Brandenburg werden auf einem neuen Zeitzeugenportal dokumentiert

Potsdam - Der Vater war Journalist, galt als West-Spion und wurde von einem Militärtribunal verurteilt. Die Mutter wurde als Ehefrau ohne Urteil gleich mit inhaftiert, da war sie bereits schwanger. Barbara Kirchner kam deshalb 1946 in Oranienburg im sowjetischen Speziallager im früheren KZ Sachsenhausen zur Welt und verbrachte dort die ersten dreieinhalb Jahre ihres Lebens. Ihre Geschichte ist eine von 47 auf dem neuen brandenburgischen Zeitzeugenportal „Erfahrungsberichte über politisches Unrecht und Widerstand von 1945 bis 1989“, das am Mittwoch in Potsdam vorgestellt wurde.

Das neue Internetportal der Aufarbeitungsbeauftragten des Landes Brandenburg gebe Betroffenen „eine Stimme und Öffentlichkeit“. Es mache zugleich deutlich, dass die Frauen und Männer noch heute unter dem erfahrenen Unrecht litten, sagte Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD). Damit leiste die Dokumentation einen Beitrag zu einer „politischen Kultur der Wahrhaftigkeit“, zum historischen Gedächtnis und dazu, das Bewusstsein für demokratische Werte und Freiheit lebendig zu halten, betonte Stark: „Diese Geschichten berühren.“

Ziel des Zeitzeugenportals über Unrecht und Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR sei auch, durch konkrete Lebenszeugnisse zu vermitteln, „was Diktatur war“, sagte die Aufarbeitungsbeauftragte Ulrike Poppe. Das Portal präsentiert Fotos, Kurzbiografien, Dokumente, Hintergrundinformationen und 47 rund 15-minütige Auszüge aus mehrstündigen Interviews, deren Langfassungen für Wissenschaftler zugänglich gemacht werden können.

Die Internetdokumentation, die jährlich durch etwa zehn neue Interviews und zusätzliche Themen erweitert werden soll, sei ein Beitrag zum historischen Gedächtnis Brandenburgs, betonte Poppe.

Schwerpunktthemen sind bislang die 1950 aufgelösten sowjetischen Speziallager, der DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der Mauerbau 1961 und dessen Folgen sowie die Spezialkinderheime der DDR. An dem Projekt war auch die Fachhochschule Potsdam beteiligt.

Alle Zeitzeugen, die auf dem Portal zu Wort kommen, haben einen besonderen Bezug zum Land Brandenburg. Sie haben früher in der Region gelebt, wohnen dort heute oder haben dort Unrecht erlitten. So wie Anke Weiler, Jahrgang 1970. Während der Ausbildungszeit in Eisenhüttenstadt ist sie gern mit Freundinnen nach Leipzig gefahren, in die beliebte Diskothek „Esplanade“. Das wurde ihr 1987 zum Verhängnis.

„Irgendwem fällt auf, dass die Mädchen dort Ausländer kennenlernen“, heißt es auf dem Zeitzeugenportal: „Noch in der gleichen Nacht werden sie von Volkspolizisten festgenommen und wegen des Verdachts auf Geschlechtskrankheiten zwangsweise in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie, Abteilung Venerologie gebracht.“ Nach der Vernehmung habe die damals 16-Jährige dann ein Protokoll unterschrieben, in dem wahrheitswidrig stand, sie habe „sexuellen Kontakt mit ausländischen Personen“ gehabt.

Es folgen drei Monate in der Psychiatrie mit entwürdigenden Untersuchungen und Zwangsarbeit als Putzfrau und Hilfspflegerin. Danach kommt sie ins Heim und dann nach Burg in den Jugendwerkhof. Nach 1989 hat Anke Weiler die Verantwortlichen für die Zwangseinweisung angezeigt. Das Verfahren wurde im Jahr 2000 eingestellt. Yvonne Jennerjahn

www.zeitzeugen.brandenburg.de

Yvonne Jennerjahn

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