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Der schlimmste Fall von Kindstötung in Brandenburg waren die neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd. Die Leichen der Neugeborenen waren im Juni 2005 auf einem Grundstück in dem Dorf bei Frankfurt (Oder) entdeckt worden.

© Michael Urban/ddp

TOTE BABYS IN BERLIN UND BRANDENBURG: Das letzte Drama ist erst drei Wochen her Kindstötungen im Mutterleib extrem selten Experte spricht von Kurzschlussreaktion Schwangerschaft angeblich nicht bemerkt

21-jährige Studentin tötete ihre Zwillinge – den einen Sohn noch im Mutterleib

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DER SCHLIMMSTE FALL

Der berüchtigste Fall in Brandenburg waren die neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd. Die Leichen der Neugeborenen waren im Juni 2005 auf einem Grundstück in dem Dorf bei Frankfurt (Oder) entdeckt worden. Die Mutter hatte die Kinder zwischen 1988 und 1998 zur Welt gebracht und anschließend getötet. Sie war wegen Totschlags in acht Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Der Tod eines Kindes im Jahre 1988 galt als verjährt.

VIER URTEILE IN 2008

Im vergangenen Jahr wurden vier junge Frauen in Brandenburg wegen Tötung ihrer Neugeborenen verurteilt: Am 5. Dezember 2007 erdrosselte in Schwarzheide eine 17-jährige Schülerin ihr Kind nach der Geburt.

Am 5. Februar 2008 In Nauen wurde in einem leer stehenden Haus ein toter Junge entdeckt. Die Polizei nimmt eine 21-Jährige fest.

Am 16. Februar 2008 ertränkt eine 22-Jährige

in Lübben ihr neu geborenes Mädchen in der Badewanne. Ein Verwandter hatte die junge Frau, die ihre Schwangerschaft geheim hielt, besucht und das tote Kind entdeckt.

Am 15. Mai 2008 wird in der Nähe des Gräbendorfer Sees bei Calau finden Polizisten nach einem anonymen Hinweis die Leiche eines kleinen Jungen. Er wurde dort verbuddelt. Seine Mutter, eine 25-jährige Sekretärin aus Cottbus, wird im Dezember 2008 verurteilt.

TOTE BABYS IN BERLIN

Am 6. April 2008 fanden Spaziergänger die Leiche eines neugeborenen Mädchens an der Straße zum Müggelturm. Der jüngste Fall ist erst wenige Tage alt: Am 9. März wurde ein totes Baby in einem Altkleider-Container an der Güntzelstraße in der Nähe der Ecke Jenaer Straße in Wilmersdorf entdeckt. Die Mutter wurde wenige Tage später festgenommen. das

Potsdam - Kindstötungen noch vor der Geburt durch die eigene Mutter, wie beim aktuellen Fall in Biesenthal, sind nach Einschätzung des Gerichtspsychologen Günter Esser extrem selten. „Die Tötung eines Kindes im Mutterleib hat den Aspekt der Selbstbestrafung, schließlich gefährdet sich die Frau selbst“, erläuterte der Lehrstuhl-Inhaber für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Potsdam am Freitag.

„Dies ist ein sehr außergewöhnlicher Fall“, betonte Esser. Ihm sei bisher kein Fall von Kindstötung bekanntgeworden, bei dem das Baby im Mutterleib umgebracht wurde. „Das mag aber auch an der Dunkelziffer liegen.“ Im aktuellen Fall – sollten sich die Vorwürfe bestätigen – sei es vorstellbar, dass die Frau nach der Kurzschlusshandlung der Tötung des Neugeborenen so verzweifelt war, dass sich die Aggressivität gegen den eigenen Bauch und das noch nicht geborene zweite Baby richtete.

Ungewöhnlich sei auch, dass die unter Totschlags-Verdacht stehende 21 Jahre alte Frau eine Studentin sei. „Bei den meisten unter solchem Verdacht stehenden Frauen handelt es sich um eher schlichte Gemüter, die aus schwierigen psychosozialen Verhältnissen stammen“, betonte Esser. Deshalb liege im konkreten Fall nahe, dass die junge Frau psychisch krank sein könnte.

Mütter, die ihre Kinder töten, haben nach Auskunft Essers ihre Schwangerschaft zumeist verdrängt und verheimlicht. „Sie wollen keine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und wenn es dann zur Welt kommt, dann wird es «entsorgt«, weil es stört“, erläuterte Esser. Die Tat sei von extremer Gefühlskälte und Verzweiflung geprägt.

Bei der Verheimlichung der Schwangerschaft „macht das Umfeld im Regelfall mit“, sagte Esser. So ließen sich Freunde mit einfachen Erklärungen, wie „Ich bin dicker geworden, weil ich zu viel gegessen habe“ abspeisen. „Wenn so eine Verleugnung nicht mitgetragen würde, dann wäre es für die Frauen auch viel schwieriger eine Schwangerschaft zu verbergen – auch vor sich selbst“, betonte der Potsdamer Wissenschaftler. Imke Hendrich

Biesenthal/Frankfurt (Oder) - Schon wieder erschüttert ein schrecklicher Fall von Kindstötung das Land: Eine 21-jährige Studentin in Biesenthal bei Bernau soll ihre beiden Babys getötet haben – einen Jungen unmittelbar nach der Geburt und seinen Zwillingsbruder sogar noch im Mutterleib. Inzwischen wurde Haftbefehl wegen zweifachen Totschlags gegen die junge Frau erlassen.

Die 21-Jährige studiert in Mecklenburg-Vorpommern, will Lehrerin werden und bestreitet bei den Vernehmungen, überhaupt schwanger gewesen zu sein. Doch in der Nacht zu Mittwoch musste sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. „Wir sind mitten in der Nacht durch einen höllischen Lärm wach geworden“, schildert die im Haus in Biesenthal wohnende Elisabeth K. das dramatische Geschehen. „Die Frau muss höllische Qualen durchlitten haben. So sehr brüllte und schrie sie.“ Mehrere Rettungssanitäter hätten sich um sie gekümmert. „Auf ihrer Trage lag sie mit einer Decke, unter der man die gespreizten Beine sah. Da war meinem Freund und mir klar, dass es sich um eine Entbindung handelte.“

Eine Entbindung, die nach allen bisherigen Erkenntnissen bereits im Gange war. Das Kind, dem die Ärzte im Berliner Krankenhaus mittels Kaiserschnitt auf die Welt verhalfen, lebte nicht mehr. Es war, so die Staatsanwaltschaft, noch im Leib der Mutter durch stumpfe Gewalt getötet worden. Schon deshalb wurde die Polizei eingeschaltet, die Entdeckung einer zweiten Nabelschnur ließ diese die Wohnung durchsuchen. Dort fanden sie die Leiche des Zwillingsbruders, der nach jetzigem Ermittlungsstand lebend zur Welt kam und dann ebenfalls durch stumpfe Gewalt getötet wurde.

„Wir gehen davon aus, dass außer der Mutter niemand auf die Kinder eingewirkt hat und dass beide lebensfähig waren“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der als Kindsvater in Frage kommende Mann werde noch vernommen. Offenbar habe weder er noch das Umfeld der Frau von der Schwangerschaft gewusst.

Das bestätigt eine Nachbarin in Biesenthal. Sie hat die Studentin in den vergangenen Wochen einige Male gesehen – aber „ohne jedes Anzeichen einer Schwangerschaft“, wie sie sagt. Die höchstens 1,60 Meter große Frau habe eine kräftige Statur besessen, so dass ein etwas dickerer Bauch bei den Begegnungen im Treppenhaus gar nicht aufgefallen wäre. Die Familie der Studentin schilderte die Nachbarin als „sehr herzlich“. Stets wurde freundlich gegrüßt und auch zwischen Tochter und Eltern habe ein gutes Verhältnis bestanden. Umso erschütterter zeigten sich gestern die Nachbarn, als sie von Details der Tat hörten. „Ausgerechnet eine Lehramtsstudentin macht so etwas. Da muss sie ja sehr verzweifelt gewesen sein“, meinte eine ältere Frau. Vor rund einem Jahr seien die Eltern in das Dachgeschoss des zweistöckigen Hauses in der Breiten Straße, der Biesenthaler Hauptstraße, gezogen. Davor sollen sie in Rüdnitz bei Bernau gewohnt haben. Der etwa 50 Jahre alte Vater – angeblich ein Unternehmer – habe in den Augen der Nachbarn einen „grundsoliden Eindruck“ gemacht.

Die Kriminalpolizei hat inzwischen die Wohnung der Eltern und das Auto der Studentin untersucht. Die Beamten befragten auch alle Nachbarn, ob sie Hinweise auf die Umstände der Tat geben könnten. Inzwischen ist die Wohnung der Eltern von der Polizei versiegelt worden. Sie selbst halten sich an einem unbekannten Ort auf. Ihre Tochter wird unterdessen im Haftkrankenhaus betreut. Ihr Verteidiger sagte, sie befände sich in einem „psychologischen Ausnahmezustand“ und habe die Schwangerschaft nicht bemerkt.

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