Diskussion um SPD-Papier: „Das muss jemand dem Bürger mal erklären“
Im Interview: Städte- und Gemeindebund-Geschäftsführer Karl-Ludwig Böttcher über die SPD-Pläne zum Landesumbau
Stand:
Herr Böttcher, geht es nach dem Papier der SPD-Landesspitze „Brandenburg 2030 - Gemeinsam Perspektiven entwickeln“, sollen Städte, Gemeinden und Ämter in 20 Jahren mindestens 12 000 Einwohner, Landkreise mehr als 200 000 Einwohner haben. Was halten Sie davon?
Zunächst ist es erst einmal nur ein Thesenpapier, das den Zustand im Jahr 2030 beschreibt. Darin gibt es einiges, da kann man mitgehen, an anderen Stellen sehen wir eklatante Widersprüche, etwa bei den 12 000 Einwohner großen Gemeinden. Ich frage mich, warum wir uns in der Enquetekommission des Landtags damit beschäftigen, die erst am Ende ihrer Arbeit solche Vorschläge unterbreiten soll. Als Mitglied der Kommission fragt man sich schon: Wozu sitzen wir eigentlich da und versuchen das Problem analytisch anzugehen? Wenn jetzt solche Zahlen benannt werden, führt das zu nichts weiter als Unruhe und Missstimmung in den Gemeinden. Dort hat man den Eindruck, die da oben haben sich festgelegt, zumal die SPD Regierungspartei ist.
Machen wir es mal konkret, die Einwohnerzahlen sinken, die Gemeinden haben weniger Geld. Es muss etwas getan werden, wo genau ist das Problem?
Man muss sich nur mal die Zahlen von 12 000 Einwohnern nehmen. Rechnet man das für den ländlichen Raum durch, wo 20 bis 30 Einwohner pro Quadratkilotmeter leben, dann würden 600 Quadratkilometer große Kommunen in der Größe eines früheren DDR-Altkreises entstehen. An anderer Stelle ist in dem Papier von ortsnaher Versorgung mit Verwaltungsdienstleistungen die Rede. Das passt nicht zusammen. Dann müssten Außenstellen vorgehalten werden, das macht aber keinen Sinn, wenn gespart werden soll und andererseits die Bürger lange Fahrwege haben. Auch sollen Aufgaben vom Land an die Kreise, nicht aber an die Städte und Gemeinden übertragen werden. Jeder Arzt stellt erst eine Diagnose, bevor er eine Therapie verordnet.
Gut, die SPD hat ein Ziel definiert, eine Diskussionsgrundlage vorgelegt. Daran können sich doch alle abarbeiten. Wer weiß, was am Ende rauskommt.
Hier werden mit Zirkel und Lineal Grenzen für Gemeinden gezogen, die in dieser Größe nicht mehr viel mit Gemeinwesen, Identität und Ortsnähe zu tun haben. Wie soll bürgerschaftliches Engagement entstehen in solchen Einheiten? Da kann sehr wahrscheinlich von Identität in ländlichen Räumen nicht mehr die Rede sein. In Ballungsräumen aber kann das anders sein. Im Speckgürtel sind solche Größen vorstellbar, in ländlichen Raum nicht. Wir haben im Land ein solch starkes Gefälle in den Gemeindegrößen und in der Einwohnerdichte, dass eine einheitliche Vorgabe von mindestens 12 000 Einwohnern wahrscheinlich am Ende nicht rauskommen wird. Man muss den ländlichen Raum anders behandeln.
Womit man in Brandenburg wieder bei den Amtsgemeinden und Ämtern ist. Vergangenes Jahr erklärte der SPD-Landesvorstand Ämter noch zum Auslaufmodell. Ist das vom Tisch?
Interessant ist, dass plötzlich von einer Auflösung der Ämter für kleinere Gemeinden nicht mehr die Rede ist. Die Frage ist, welche Infrastruktur wir für welche Einwohnerdichte brauchen. Ein Beispiel: Zwischen dem Amt Meyenburg und dem Amt Putlitz gibt es Gespräche und Anfangsüberlegungen über eine engere Zusammenarbeit. Mit dem Thesenpapier stellt man diese Bemühungen nun in Frage. Denn beide zusammen haben immer noch unter 12 000 Einwohner.
Aber irgendwer muss doch irgendwann mal etwas vorlegen.
Unangenehm aufgestoßen ist mir persönlich auch der Zeitpunkt, an dem das Papier veröffentlicht wurde, ein paar Tage vor den Bürgermeisterwahlen. Ich frage mich, ob dabei bedacht wurde, dass einige Leute deshalb nicht mehr zu Wahl gehen, weil sie sich sagen, dass sie sowieso nicht mehr in der Lage sind, die Dinge allein zu bestimmen, weil wieder alles von oben bestimmt wird. Das war die falsche Schlussfolgerung zum falschen Zeitpunkt. Hier werden zum Teil Dinge vorgegeben, die Angelegenheit der Enquete-Kommission des Landtags sind, das führt zu Unmut
Noch einmal: Sie sagen selbst, es sind nur Thesen.
Einige Punkte, wie dass außer Potsdam keine Stadt mehr kreisfrei sein soll sowie die konkret benannten Einwohnerzahlen, gehen über ein Thesenpapier hinaus. Es ist von vorne bis hinten nicht mit einem Finanzierungskonzept unterfüttert. Bis auf die Landesverwaltung soll alles verschlankt werden, die Landesebene aber bleibt unterbelichtet. Da wird viel zu sehr nur auf die kommunale Ebene geschielt. Dabei haben alle Probleme, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen. Die Länder müssen bei sich selbst und ihrem – wie ich es nenne – Postkutschenföderalismus anfangen. Sie sind viel zu klein, wie der Kuddelmuddel zwischen Berlin und Brandenburg und ihre Verwaltungsvereinbarungen zeigen. Berlin baut eine eigene Haftanstalt in Brandenburg und wir haben leere Plätze. Das muss jemand dem Bürger mal erklären.
Interview: Alexander Fröhlich
Karl-Ludwig Böttcher, war von 1990 bis 1994 Bürgermeister in Zeuthen (Dahme- Spreewald) und ist seither Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg.
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