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Von Thorsten Metzner: „Das Ohr schläft nicht mit“
Im Landtag stritten Experten um Nachtflugverbot am BBI – draußen ließen Demonstranten Jets dröhnen
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Potsdam - Große Erwartungen an die Nachtflug-Anhörung bringt er nicht mit vor den Landtag. „Vielleicht werden ja einige nachdenklich“, sagt Ortwin Beyer, Bürgermeister von Mahlow-Blankenfelde, dem Ort unmittelbar in der Einflugschneise des Flughafens Schönefeld. Wegen des baldigen BBI-Höllenlärms dort planen Wissenschaftler bereits Ruheinseln, eine Art Haltestellen, in denen dann Vogelgezwitscher aus der Konserve eingespielt wird. Beyer ist unter 150 Protestlern mit Transparenten wie „Fluglärm = Folter“ auf dem Brauhausberg. Die meisten kommen aus Potsdamer Umlandgemeinden wie Caputh, Schwielowsee, Werder. Ohrenbetäubend dröhnen Jets, aus Lautsprecherboxen. Als die schwarze Limousine von Flughafenchef Rainer Schwarz mit dem symbolischen Kennzeichen „B-BI“ vorfährt, hält Beyer nicht an sich. Er ruft laut: „Da könnt Ihr sehen, was die sich auf Kosten des Steuerzahlers für Wagen leisten können!“ Pfiffe, Gejohle.
Die Stimmung ist angespannt, draußen und drinnen im Landtag, wo es im proppenvollen Saal 306, wo sonst die Sozialdemokraten tagen, dann stundenlang zur Sache geht, ohne dass sich Befürworter und Kritiker am Ende näher kommen werden. Konkret geht es um einen parlamentarischen Vorstoß der Grünen-Fraktion sowie zweier Abweichler, nämlich des SPD-Abgeordneten Christoph Schulze und des FDP-Abgeordneten Hans-Peter Goetz, die noch eine Ausweitung des Nachtflugverbots in Schönefeld durchsetzen wollen, so dass zwischen 22 und 6 Uhr kein Flugzeug starten oder landen darf. Bislang ist Nachtruhe pur nur zwischen Mitternacht und 5 Uhr gesichert. Eine Forderung, die auch die Linken oft erhoben haben, bislang jedenfalls. Ob sie dabei bleiben, oder wie bei anderen heiklen Problemen auf den Kurs des Koalitionspartners SPD einschwenken, hängt auch von der Anhörung der Experten ab.
Das erste Wort hat die Wirtschaft: Für sie argumentiert etwa Christian Amsinck (Unternehmerverband Berlin-Brandenburg), dass die geltenden Beschlüsse, die etwa 100 Ausnahmeflüge in den sogenannten Randzeiten zwischen 22 und 24 Uhr sowie zwischen 5 und 6 Uhr zulassen, schon „eine Kompromisslösung“ sei. Es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit des künftigen Flughafens, „Frankfurt und München haben weniger restriktive Lösungen.“ Unruhig wird es im Saal, als Amsinck erklärt, dass viele Menschen „wegen der Attraktivität des BBI in Anrainergemeinden gezogen sind“. Lufthansa-Vertreter Oliver Wagner warnt davor, dass die Airline bei noch weniger Nachtflügen Jobs und Wartungseinrichtungen aus Schönefeld abziehen müsste, dass Langstreckenflüge nach Asien und Amerika „erschwert würden“. Und der letzte Flieger aus Frankfurt am Main nach Berlin, sagt er, müsste dort schon um 20.30 Uhr starten. Ähnlich äußert sich der Mann von Air Berlin. Flughafenchef Rainer Schwarz hatte schon vor Beginn der Sitzung gewarnt: Wenn es zum Verbot zwischen 22 und 6 Uhr komme, „dann wäre nach einem Gutachten ein Verlust von 18 000 Arbeitsplätzen die Folge“. All dies bezweifeln die Kritiker, die nun an der Reihe sind: Gutachter Dieter Faulenbach da Costa (fdc Airport Consulting) erklärt, dass die angeblich 18 000 gefährdeten Jobs jeder Grundlage entbehren. Die Prognosen von Flughafen und Politik zu den zu erwartenden neuen Jobs seien „überhöht“. Wenn man deren Methodik anderswo zugrunde legen würde, „müsste es in Deutschland 100 Millionen Jobs geben“. Seine Prognose: Selbst bei einem strengeren Nachtflugverbot wird es „keine Arbeitsplatzverluste geben“. Still wird es im Saal, als der Mediziner Martin Kaltenbach spricht. Der ehemalige Chef der Kardiologie der Klinik in Frankfurt am Main hat Gesundheitsschäden im Umfeld des dortigen Airports untersucht. „Das Ohr schläft nicht“, sagt Kaltenbach. Er verweist auf Studien, nach denen permanenter Fluglärm zu Bluthochdruck und in der Folge zu „erheblich erhöhten Herzinfarktrisiken“ führt, mit „volkswirtschaftlichen Folgekosten“. Ein umfassendes Nachtflugverbot, lautet sein Fazit, sei „aus ärztlicher Sicht vollkommen gerechtfertigt und menschlich geboten“.
Inzwischen läuft die Anhörung bereits über fünf Stunden. Jetzt sind die Vertreter der Bürgerinitiativen dran, darunter der wortgewaltigste und radikalste Ferdi Breidbach vom Bürgerverein Berlin-Brandenburg (BVVB). Er weist das Argument von Flughafenchef Schwarz zurück, wonach jetzt von Tegel und Schönefeld 112 000 Menschen nachts von Fluglärm betroffen sind, künftig aber beim BBI nur 42 000. „Die aber mit der dreifachen Belastung“, donnert Breidbach. Es gebe ein „Verfassungsrecht auf Nachtruhe“. Vor allem aber prophezeit er, dass „die heutigen Konflikte nichts gegen das sind, was nach Eröffnung des Flughafens kommen wird“, dass aus den Anrainergemeinden Familien wegziehen, „Prekariat“ hinzieht“ und ohnehin bald die Debatte um die nötige „dritte Landebahn“ kommen wird. Und dann spricht Breidbach darüber, was Schallschutz konkret bedeutet. In den Orten rings um den BBI wie Mahlow und Blankenfelde werden „Kinder in Schulen und Kindergärten gehen, die mit ständig geschlossenen Fenstern künstlich belüftet werden müssen.“ „Sie alle“, sagt Breidbach und blickt noch einmal in die Runde der Abgeordneten, „würden Ihre Kinder nicht unter solchen Bedingungen groß werden lassen.“ Breidbach macht sich keine Illusionen. Die Politik, sagt er, wird sich nicht umstimmen lassen.
Aber zumindest an diesem Tag haben die BBI-Kritiker das Schlusswort.
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