Airport in die Verlängerung: „Das System als Ganzes funktioniert nicht“
Das Debakel um den Willy-Brandt-Flughafen in Schönefeld sorgt nun für Erschütterungen in Brandenburgs Politik. Im Landtag hat am Mittwoch die Debatte um Verantwortung, nötige Konsequenzen und Schadensbegrenzung begonnen, die sich weiter zuspitzen wird.
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Potsdam -Denn nach PNN-Recherchen drohen am BER nun auch die 2,4-Milliarden-Kosten aus dem Ruder zu laufen, so dass finanzielle Folgelasten für den Landeshaushalt nicht ausgeschlossen sind. Und zwar nicht nur wegen der Verschiebung, der fälligen Schadenersatzzahlungen an Airlines, Händler und Logistikunternehmen. So wird nach PNN-Recherchen der Flughafen auch knapp 300 Millionen Euro mehr als bislang geplant für Schallschutz ausgeben müssen, da das brandenburgische Verkehrsministerium den jüngsten Flughafen-Antrag auf Änderung des Planfeststellungsbeschlusses zu den Schallschutz-Standards am Tage in 14 000 Wohnungen der Umgebung voraussichtlich ablehnen wird. Eine bislang avisierte Eröffnung im August 2012 gilt als unrealistisch. Hinzu kommt, dass nach der Inbetriebnahme bald Kapazitätsengpässe bei der Abfertigung der rund 25 Millionen Passagiere, da der Terminal nicht ausreicht. Als ob das Fiasko nicht schon groß genug wäre, wächst dem Vernehmen nach in der Regierung die Sorge, dass sich im Jahr 2013 der Bund womöglich aus dem Gemeinschaftsprojekt mit den Ländern Berlin und Brandenburg zurückziehen könnte. Es gibt eine Ausstiegsklausel. Besonders die CDU-Opposition schießt sich nun auf Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ein.
Vor allem sprach sich die CDU-Oppositionsführerin Saskia Ludwig am Mittwoch erneut dafür aus, jetzt umgehend mit Planungen eines „weiteren Flughafenstandortes“ zu beginnen - da entgegen allen Dementis sonst in Schönefeld doch eine dritte Startbahn drohe. „Alle weiteren Investitionen für Kapazitätserweiterungen müssen umgehend gestoppt werden“, sagte Ludwig. Es zeige sich, dass den Aussagen Platzecks „nicht mehr Glauben geschenkt werden kann“. Er habe seine Funktion als Aufsichtsrat „nicht ausreichend wahrgenommen oder die Bürger und das Parlament mit grandioser Ahnungslosigkeit und Leichtsinnigkeit hinters Licht geführt.“ Die Union stellte der Regierung ein Ultimatum, bis nächsten Montag umfassend über die Hintergründe der Verschiebung, wovon der Antrag auf eine Sondersitzung des Landtages abhängig gemacht wird. Außerdem forderte der brandenburgische CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen ein Eingreifen des Rechnungshofes und einen Untersuchungsausschuss, beides allerdings nur in Brandenburg, obwohl der Bund und Berlin Miteigentümer des Flughafens sind. „Das Management scheint mit dem Projekt genauso überfordert wie der politisch besetzte Aufsichtsrat mit seiner Kontrollfunktion“, erklärte Koeppen.
Regierungssprecher Thomas Braune warf der Union „billige Polemik“ vor. „Oder hat Frau Dr. Ludwig keine Ahnung davon, dass im Aufsichtsrat neben dem brandenburgischen Ministerpräsidenten 14 weitere honorige Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wie etwa Staatssekretär Rainer Bomba (CSU) und Senator Frank Henkel (CDU)“ seien, erklärte Braune. Es sei „aktenkundig, dass sich der Aufsichtsrat in jeder Sitzung über den Projektfortschritt und die Risikolage hat berichten lassen.“ Alle Ampeln hätten auf Eröffnung am 3. Juni gestanden. Im Ergebnis habe „für den Aufsichtsrat auch keine Notwendigkeit zu außerordentlichen Intervention bestanden.“ Die Forderungen nach Ausbaustopp und Planungen eines Zweit-Standortes nannte Braune angesichts der Kosten „tollkühne Träume“. Indirekt deutete Braune an, dass Platzeck womöglich eine Regierungserklärung zum Flughafen abgeben wird. Der Ministerpräsident werde „wie stets bei brisanten und die Öffentlichkeit stark bewegenden Fragen den Landtag in adäquater Form informieren“. Die Linke-Fraktion verwies auf Aussagen des Bundes-Aufsichtsratsmitglieds Bomba vom Mittwoch im Bundestag, wonach der Aufsichtsrat seiner Kontrollpflicht „voll umfänglich“ nachgekommen sei.
Das allerdings steht im Widerspruch zur Massivität der Probleme, die im Wirtschaftsausschuss des Landtages von Wirtschaftsminister Ralf Christoffers – Mitglied im BER-Aufsichtsrat und Chef des Projektausschusses – eingestanden wurden. Christoffers ließ Zweifel anklingen, dass der BER im August starten kann, dies sei „ambitioniert“. Bis Montag sei man davon ausgegangen, dass Teilsysteme nicht funktionieren. „Jetzt hat sich herausgestellt: Das System als Ganzes funktioniert nicht“, sagte Christoffers. Er wies Vorwürfe der Opposition zurück, die Kontrollpflicht als Aufsichtsrat nicht ausreichend wahrgenommen zu haben. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel, der CDU-Abgeordnete Dierk Homeyer und FDP-Landeschef Gregor Beyer erinnerten daran, dass bei der ersten Verschiebung der Eröffnung im Jahr 2010 die Brandenburger Aufsichtsratsvertreter eine strengere Kontrolle des BER versprochen hätten. Die habe es auch gegeben, versicherte Christoffers. Die Prüfintensität sei „deutlich ausgeweitet“ worden. „Eine lange Leine hat es nicht gegeben.“ Zugleich verwies Christoffers darauf, dass „Aufsichtsräte keine Bauleiter“ sind. Über die dramatische Entwicklung sei der Aufsichtsrat nicht von der Geschäftsführung informiert worden. Er scheue sich nicht davor, selbst politische Verantwortung zu übernehmen. Brandenburgs Wirtschaftsminister sprach sich gleichwohl dagegen aus, die Flughafen-Geschäftsführung jetzt zu feuern. Natürlich stelle sich die Frage der Verantwortung, auch der politischen. Doch jetzt müsse es Vorrang haben, dass der Flughafen in Betrieb gehen kann. „Die Einsetzung einer neuen Mannschaft wird nicht zu einer Beschleunigung führen.“ Personelle Konsequenzen seien aber denkbar, etwa im Bereich der Projektsteuerung. Auch Linke-Abgeordneter Axel Henschke erklärte, es sei „schwierig, im laufenden Verfahren die Pferde zu wechseln “. Grünen–Fraktionschef Vogel erinnerte an frühere Aussagen des Flughafenchefs Rainer Schwarz, wonach nach Fertigstellung der reinen Gebäude und Anlagen es bei einem Flughafen „sechs Monate Vorlauf“ geben müsse, um alles einzuspielen. Wenn das so ist, wäre eine Eröffnung erst im nächsten Jahr nicht ausgeschlossen.
Der aus der SPD-Landtagsfraktion ausgetretene Abgeordnete Christoph Schulze prophezeit seiner Partei infolge des gesamten Flughafen-Fiaskos ein Debakel bei der nächsten Landtagswahl. Angesichts des „Missmanagements in der Kernzone des Reaktors“, müsse man fragen, wie groß es erst in den Randzonen sei, sagte Schulze. Er zog Parallelen zum politischen Erdrutsch im Umfeld des größten deutschen Airports: „Hessen und Frankfurt am Main lassen grüßen.“
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