Brandenburg: Das tote Baby in der Plastiktüte
Mutter gesteht Tötung ihres Jungen vor Gericht / Gedanken an Schwangerschaft verdrängt
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Potsdam/Nauen - An die Tat selbst kann sich Anne G. angeblich nicht erinnern. Sie weiß noch, dass sie sich am Nachmittag des 14. Dezember mit heftigen Wehen ins Badezimmer im Haus ihrer Eltern in Nauen schleppte. Dort habe sie sich auf die Toilette gesetzt und einen lebensfähigen Jungen zur Welt gebracht, gesteht die 22-Jährige am Donnerstag mit leiser Stimme vor dem Potsdamer Landgericht. Die junge Frau mit dem Zopf und dem türkisfarbenen Shirt steht wegen Totschlags vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen, ihr Baby nach der Geburt erstickt zu haben.
Anne G. sagt am zweiten Prozesstag, sie habe den Säugling in ein Handtuch eingewickelt. Ihr sei furchtbar kalt gewesen, mehr wisse sie nicht mehr. „Irgendwann saß ich unten in der Wohnstube, alleine.“ Sie habe aus der Küche eine gelbe Plastiktüte geholt, das Baby darin verpackt und im Schrank versteckt.
In den Tagen nach der Tat sei sie nervös gewesen und habe schlecht geschlafen, sagt die Frau. Die Erinnerung habe sie verdrängt und sich mit ihrem dreijährigen Sohn Dean abgelenkt. Kurz vor Silvester habe sie dann die Tüte aus dem Schrank geholt, sei über den Zaun auf das angrenzende Grundstück mit einem leerstehenden Haus geklettert und habe das tote Baby in einer Scheune abgelegt.
Der Eigentümer Reinhard K. machte den grausigen Fund am 5. Februar durch Zufall, als er Baumaterialien abholen wollte. Die Tüte habe direkt neben dem Eingang des Kellers gestanden. „Es sah so aus, als ob jemand gerade vom Einkaufen gekommen sei“, erinnert sich K. als Zeuge vor Gericht. Wegen des starken Verwesungsgeruchs habe er gedacht, in dem Plastiksack liege eine tote Katze. Als er sah, dass es sich um eine Babyleiche handelte, alarmierte er die Polizei.
Die Beamten klingelten daraufhin auch am Nachbarhaus. Anne G. war gerade mit ihrem Sohn unterwegs. Die Mutter richtete ihr aus, dass die Polizisten wiederkommen und eine Speichelprobe nehmen wollten. „Ich habe angefangen, am ganzen Körper zu zittern“, berichtet die Angeklagte. Sie habe nichts sagen können, sondern nur noch geheult. Auf dem Revier habe sie alles gestanden. Während sie spricht, knetet die 22-Jährige das Taschentuch in ihrer Hand und wischt sich die Tränen aus den Augen.
Als der Richter sie nach ihrer Vergangenheit fragt, erzählt Anne G., dass sie trotz Pille im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal schwanger geworden sei. Mit den Eltern – der Vater ist Dachdecker, die heute arbeitslose Mutter war damals in einer Spielothek tätig – habe es heftigen Streit gegeben. Der Vater sei „ausgerastet“, als er erfahren habe, dass es für eine Abtreibung zu spät war. Zudem habe sie ihr Chef unter Druck gesetzt, ihre Ausbildung zur Zahnarzthelferin abzubrechen.
Anne G. mietete mit ihrem Freund eine Wohnung, trennte sich jedoch bald wieder von ihm, weil er trank. Als Sohn Dean sechs Monate alt war, zog die junge Mutter zurück zu ihren Eltern. Anne G. war frisch verliebt, als sie wenige Monate später erneut schwanger wurde. „Ich war geschockt, dass ich wieder schwanger war - trotz Verhütung“, berichtet die Angeklagte. Sie habe niemandem davon erzählt, weil sie nicht erneut für Streit und Enttäuschung sorgen wollte. Auch habe sie Angst gehabt, mit zwei Kindern keine Chance mehr auf einen Ausbildungsplatz zu haben. Sie habe keinen Ausweg gesehen, sagt Anne G. Sie sei überzeugt gewesen, dass es zu spät für eine Abtreibung sei. „Ich habe über Adoption nachgedacht“, sagt sie. „Doch das hätte nicht funktioniert. Alle hätten so lange auf mich eingeredet, bis ich meine Entscheidung geändert hätte.“ Und den Gedanken an eine anonyme Geburt habe sie fallengelassen, weil sie nicht heimlich einige Tage hätte verschwinden können. Da sie keine Lösung sah, verdrängte Anne G. den Gedanken an die Geburt – bis zuletzt. Sie habe aber nie vorgehabt, ihr Kind umzubringen, betont die Angeklagte. „Was ich getan habe, verzeihe ich mir selber nicht.“ Das Urteil wird für den 4. September erwartet. Kathrin Hedtke
Kathrin Hedtke
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