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Die Warte der Wasseraufbereitung im Kernkraftwerk Rheinsberg.

© dpa/Jens Kalaene

„Das verkompliziert den Rückbau“: Das lange Ende des AKW Rheinsberg in Brandenburg

Einst als Prestigeobjekt gefeiert, befindet sich das Kernkraftwerk in Rheinsberg seit etwa 30 Jahren im Rückbau. Erst 2040 soll hier der letzte Stein abgetragen sein. Warum dauert das so lang?

Von Wilhelm Pischke, dpa

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Es war einst der ganze Stolz des Arbeiter- und Bauernstaates und auf dem damaligen Zehn-Mark-Schein verewigt: Das Kernkraftwerk Rheinsberg ist heute ein Relikt aus DDR-Zeiten und wirkt seit seiner Abschaltung 1990 wie ein Fremdkörper am Rande der Mecklenburgischen Seenplatte im dichten Laubwald. Fünf Jahre nach der Abschaltung begann der Rückbau.

Heute bietet das Kernkraftwerk etwa 150 Beschäftigten einen Arbeitsplatz und ist noch immer einer der größten Arbeitgeber rund um Rheinsberg im Norden Brandenburgs. Der Parkplatz vor dem Werk mitten im Wald ist unter der Woche rappelvoll. Zu Spitzenzeiten arbeiteten rund 650 Menschen in dem Kraftwerk.

Rheinsberg florierte

In Rheinsberg (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) entstanden nach der Inbetriebnahme 1966 eigens Siedlungen, um die Arbeiter unterzubringen. Die Stadt am Grienericksee boomte. Es wurden neue Sport- und Kulturvereine gegründet und sogar ein Kino entstand. Die Kneipendichte nahm zu.

Mit der Wende, neuen Reglementierungen und einer ohnehin auslaufenden Betriebszeit fand sich kein neuer Betreiber, sodass das Werk letztlich stillgelegt wurde. Auch Sicherheitsbedenken spielten eine Rolle.

Das Verwaltungsgebäude auf dem Gelände vom Kernkraftwerk Rheinsberg der EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH.

© dpa/Jens Kalaene

Seitdem wird in mühsamer Kleinstarbeit und unter Berücksichtigung von strengen Regelungen im Bereich Strahlenschutz das Kraftwerk zurückgebaut. Frühestens im Jahr 2040 soll an der Stelle des Kraftwerks nur noch grüne Wiese zu sehen sein, wie eine Sprecherin des Entsorgungswerks für Nuklearanlagen GmbH (EWN) erklärte. Das EWN aus Rubenow nahe Greifswald ist Betreiber des Kernkraftwerks.

Die Warte für die dosimetrische Überwachung im Kernkraftwerk Rheinsberg.

© dpa/Jens Kalaene

Ein Rundgang durch das Werk bietet heute interessante Einblicke und ist bei Voranmeldung für Besucherinnen und Besucher offen. In dem abgelegenen Ort scheint die Welt seit der Wende stehen geblieben zu sein: Von der ergrauten Wandfarbe, den schweren Bürotüren mit Lederverkleidung bis zu den klobigen technischen Einrichtungen, die wie Filmkulissen wirken. In der Betriebskantine gibt es an diesem Tag ein typisches Ost-Essen: Nudeln mit Jägerschnitzel. Die Bockwurst mit Brötchen kostet weniger als zwei Euro.

Menschen in der Region klagen über langwierigen Rückbau

Viele Menschen in der Region beklagen, der Rückbau dauere zu lange. Die avisierte Zeit des Rückbaus wird mit 2040 die eigentliche Betriebszeit deutlich übersteigen. Es könne doch nicht sein, dass seit der Wende jährlich Millionensummen in das Kernkraftwerk flössen und äußerlich kaum etwas passiere, heißt es etwa, wenn man mit Rheinsbergern spricht.

„Wir sind doch keine Frittenbude“, widerspricht ein Arbeiter des Werks darauf angesprochen. Die letzten Brennelemente wurden bereits 2001 mittels Castortransport im Zwischenlager Lubmin eingelagert. Auch der Reaktor nahm 2007 diese Reise auf sich. In dem Zwischenlager verbleibt das Material, bis ein Atom-Endlager gefunden ist. Nach 2017 begann die langwierige und kleinteilige Arbeit, wie die EWN-Sprecherin erklärte.

Im Maschinenhaus im Kernkraftwerk Rheinsberg stehen gelbe Gebinde und blaue Container, die mit leicht oder mittel radioaktivem Abfall gefüllt sind.

© dpa/Jens Kalaene

In Lubmin wird der Atom-Müll aus Rheinsberg nur zwischengelagert. Aktuell prüft die Bundesgesellschaft für Endlagerung mit Sicherheitsuntersuchungen, welche Gebiete in Deutschland günstige geologische Bedingungen für die unterirdische Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle bieten.

Kleinteilige Arbeitsschritte

Beim Bau des Werks machten sich die Betreiber kaum Gedanken über den Rückbau. Das rächt sich nun. Alle Gebäudestrukturen müssten auf radioaktive Kontamination untersucht und anschließend „dekontaminiert“ werden, sagte die Sprecherin. Anschließend werde die Inneneinrichtung so zerlegt, dass sie in spezielle Einlagerungsbehälter passe.

Blick durch eine Bleiglasscheibe in den Reaktorsaal vom Kernkraftwerk Rheinsberg, aus dem 2001 die Brennelemente und 2007 das Reaktordruckgefäß entfernt wurden.

© dpa/Jens Kalaene

Eine Tür unter den gegebenen strahlenschutzrechtlichen Regelungen zu zerlegen, dauere mitunter einen Monat. Bei über 300 Räumen lässt sich anhand dessen der Aufwand allein für diesen Arbeitsschritt erahnen.

Alle Baumaterialien, die hier ausgebaut werden, müssen vom Strahlenschutz gemessen werden.

Sprecherin des Entsorgungswerks für Nuklearanlagen GmbH

„Alle Baumaterialien, die hier ausgebaut werden, müssen vom Strahlenschutz gemessen werden. Das kommt alles in Fässer, die ihrerseits noch mal auf Kontamination getestet werden“, führte die Sprecherin des EWN aus. So soll sichergestellt werden, dass nicht nur der Inhalt, sondern auch das Fass auf radioaktive Strahlung gemessen wird.

Weitere Verzögerungen bringen bauliche Überraschungen mit sich. Die Baupläne aus den 1960ern stimmten häufig nicht mit der Realität überein, sagte die Sprecherin. Leitungen verliefen im Beton nicht immer da, wo sie sollten. Und das komme erst beim Aufstemmen zum Vorschein. „Das zieht immer wieder Verzögerungen nach sich und verkompliziert den Rückbau.“

Der Rückbau einer kerntechnischen Anlage ist eine sehr komplexe Angelegenheit.

Sprecherin des Entsorgungswerks für Nuklearanlagen GmbH

Klassischer Abriss bisher nicht in Sicht

Erst nach dem Abbruch aller kontaminierten Gebäudestrukturen und der Entlassung des Geländes des Kraftwerks aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes könnten die restlichen Gebäude und Infrastruktureinrichtungen konventionell und vergleichsweise zügig abgerissen werden, ergänzte die Sprecherin. „Der Rückbau einer kerntechnischen Anlage ist eine sehr komplexe Angelegenheit.“

Der Eingang zum Gelände vom Kernkraftwerk Rheinsberg der EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH.

© dpa/Jens Kalaene

Wie schätzen Bund und Land den langwierigen Rückbau ein? Auf eine Anfrage verwies das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter auf das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in Berlin. Die Behörde verwies ihrerseits auf das Brandenburger Gesundheitsministerium in Potsdam.

Das Gesundheitsressort, das als atomrechtliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde den Rückbau überwacht, äußerte sich zum Rückbau des Kernkraftwerks nicht. Es sei nicht die Aufgabe des Ministeriums, das zu bewerten, sagte ein Sprecher. Das Ministerium habe als Kontrollinstanz „hinsichtlich der Projektlaufzeit kein Mitbestimmungsrecht“. Laut des EWN kommen Vertreter des Ministeriums in regelmäßigen Abständen für Kontrollen in das Kernkraftwerk.

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Hunderte Millionen Euro bisher in Arbeiten gesteckt

Der Rückbau verschlingt Jahr für Jahr eine achtstellige Euro-Summe. „Die jährlichen Kosten belaufen sich auf circa 30 Millionen Euro“, sagte die Sprecherin des EWN. Das Geld kommt aus Steuermitteln. Nach 1990 seien bereits rund 700 Millionen Euro in das Kernkraftwerk geflossen.

Bei der Frage, ob der Rückbau 2040 mit Sicherheit abgeschlossen ist, legte sich die Sprecherin nicht fest. Ein früheres Konzept sah das Ende der wesentlichen Rückbaumaßnahmen schon für 2014 vor. (dpa)

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