Brandenburg: Das Weiße Haus von Ost-Berlin
Wie DDR-Bürger die Bundesbotschaft stürmten
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Berlin - Der Reflex funktioniert bei Franz Bertele noch. Sagt man „Botschaft“, wenn das Gespräch auf seine alte Arbeitsstätte in Berlin kommt, verbessert der 83-Jährige: „Ständige Vertretung“. Früher war das wichtig – vor allem für Bertele. Im Wendejahr 1989 war der Diplomat Bonns wichtigster Mann im anderen Deutschland. Offizieller Titel: „Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR“. „Bei“ der DDR, nicht „in“. Jeder Anschein sollte vermieden werden, die DDR werde als Staat anerkannt.
Vor 25 Jahren, am 8. August 1989, hielt sich Bertele am falschen Platz auf – nicht in der Hannoverschen Straße 28-30 in Berlin-Mitte, sondern im Urlaub in Norwegen. Ohne Handy und Internet erfuhr er anderthalb Tage später, dass die „StäV“ wegen Überfüllung dicht gemacht worden war. Er reiste sofort zurück.
In dem schlichten Bürohaus hatten nach und nach 131 DDR-Bürger Zuflucht gesucht, um ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Mehr ging nicht. Das „Weiße Haus“, wie es im Volksmund genannt wurde, war damals die erste westdeutsche Vertretung, die schließen musste – noch vor den Botschaften in Budapest, Prag und Warschau. Verglichen mit den Tausenden Flüchtlingen dort war es in der Hannoverschen Straße „noch fast idyllisch“, erinnert sich Bertele. Probleme gab es trotzdem.
„Wir haben die Leute in einem Gartenpavillon untergebracht, der für Besuchergruppen vorgesehen war.“ Matratzen lagen auf dem Boden, das Essen wurde in West-Berlin besorgt, auch neue Kleidung. Die Küche übernahm einer der „Zuflüchtigen“, ein Koch. Zum Zeitvertrieb gab es Englisch-Kurse und Skat-Unterricht.
Bertele weiß noch, wie die Ungewissheit an den Nerven nagte. „Die Atmosphäre war gespannt. Allen war klar, dass die Stasi in der Gruppe vertreten war.“ Knapp einen Monat dauerte es, bis die Lösung stand: Die Fluchtwilligen mussten die Hannoversche Straße verlassen, in ihre Heimatorte zurückkehren und einen offiziellen Ausreiseantrag stellen. Im Gegenzug wurde ihnen Straffreiheit und anwaltliche Beratung zugesichert. Praktisch bedeutete das die baldige Ausreise.
Am Nachmittag des 8. September 1989 war das Gartenhaus der „StäV“ wieder leer. Für Besucher blieb die Vertretung geschlossen – offiziell wegen Renovierungsarbeiten. „Wenn wir das Rollgitter hochgemacht hätten, wären wir innerhalb von einer Stunde wieder voll gewesen.“
Am 2. Oktober 1990, einen Tag vor der Vereinigung, schloss die Vertretung nach 16 Jahren ihre Pforten. Bertele schraubte das Amtsschild selber ab. Das Haus in der Hannoverschen Straße gehört heute zum Bildungsministerium. Auf Anmeldung kann man sich durch die denkmalgeschützten Räume führen lassen. Christoph Sator/dpa
Christoph Sator, dpa
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