Brandenburg: Demonstriertes Unverständnis
Die Autonome Antifa marschierte in Teltow-Seehof gegen Antisemitismus
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Die Autonome Antifa marschierte in Teltow-Seehof gegen Antisemitismus Von Peter Könnicke Teltow. Argwöhnisch betrachten die Seehofer, was da auf sie zukommt: 50 junge Leute mit Basecaps, Turnschuhen und roten Fahnen. „Solidarität mit Israel“ steht auf einem Transparent. Es ist ein frühlingshafter Samstagabend, Seehof ist in ein kräftiges Grün getaucht, die Straßen sind leer. Um den „Dorffrieden“ zu stören, will die Autonome Antifa durch den Ortsteil marschieren, weil hier, so meinen die jungen Demonstranten, der „Antisemitismus“ hinter den Fenstern lebe. Wo ließe sich trefflicher „Solidarität mit Israel“ bekunden, als an einem Ort, an dem es einen Konflikt zwischen Deutschen und Juden gibt? Seit die Erben der jüdischen Sabersky-Familie die Rückgabe ihres Eigentums verlangen, das sie unter dem Druck der NS-Herrschaft verkauft oder verloren haben, wird sich gestritten: Die heutigen Haus- und Grundstückseigentümer verweisen auf ihren rechtsmäßigen Erwerb. Die Ämter, die offene Vermögensfragen zu klären haben, bezweifeln die Gültigkeit aller Ansprüche auf die einst 1000 Parzellen. Und selbst in den Instanzen deutscher Gerichte ist man sich nicht einig, ob die jüdischen Erben Recht haben. Die einfache Formel der Autonomen hingegen: „Wer Unrecht infrage stellt, ist Antisemit.“ Als Ende des vergangenen Jahres das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein exemplarisches Urteil fasste, dass zwei ehemalige Sabersky-Grundstücke den Erben zurückzugeben sind, bereitete die ungewisse Zukunft um Haus und Hof nicht wenigen Seehofern schlaflose Nächte. Als die autonomen Antifaschisten in der Vorwoche ihre Demonstration ankündigten, um den „Antisemiten auf die Pelle zu rücken“, schlief Ingrid Gerhardt wieder schlecht. „Wir sind doch unbescholtene Bürger,“ sagt Gerhardt, die nach der Wende nach Seehof zog und Anfang diesen Jahres in einem Brief an die Erben schrieb: „Was ihrer Familie und der ganzen jüdischen Bevölkerung angetan wurde, ist nicht entschuldbar, es ist auch heute, nach so vielen Jahren nicht zu begreifen.“ Dass der Reflex, Haus und Hof zu behalten, mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, macht nicht wenige Seehofer betroffen. „Viele waren selbst Verfolgte der Nazis“, sagt Jürgen Schmelz (41). Angehörige seiner eigenen Familie saßen im KZ. Das habe zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit dem Schicksal der jüdischen Sabersky-Familie geführt. In den 90er Jahren zitierten diverse Zeitungen und auch der SPIEGEL die Vorsitzende der Seehofer Bürgerinitiative: „Hier geht es nicht um Juden, sondern um Geld“. Es sind diese Äußerungen, die die Antifa Teltow als passenden Ort für ihre provokanten Parolen erkennen ließ. Dass sich die Sabersky-Erben schützend vor die Seehofer stellten und die pauschalen Angriffe kritisierten, konnte nicht verhindern, dass einem ganzen Ortsteil fehlendes Unrechtsbewusstsein und „Gedächtnisverlust“ vorgeworfen wurde. Ganz Seehof wurde in einem linksautonomen Gesinnungsmix zu einer Siedlung „ehrenwerter DDR-Bürger“ zusammengerührt, „die sich Scheiße gefühlt haben müssen, als die Mauer fiel“ und Boden käuflich sowie Restitution möglich wurde. „Das ist ein wenig krass“, räumte ein Demonstrant leise ein, „aber Provokation muss sein.“ „Provokation muss sein“ Einige Seehofer fühlten sich provoziert. Dass die Demonstranten mit Sprüchen wie „Ins Arbeitslager mit euch“ begleitet wurden, verdeutlicht der Sprecherin der Autonomen Antifa, Christina DeClerq, ein „rassistisches und antisemitisches Weltbild“. Die meisten Seehofer schüttelten den Kopf über „so viel Kenntnislosigkeit“. Die Geschichte um Teltow-Seehof sei viel zu komplex und verzwickt, um sie mit einer Solidaritätsbekundung zu Israel zu beschreiben oder gar zu lösen. Für Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) bedeutete die Demonstration die Aufforderung an alle Beteiligten – Erben, Anwälte, Gerichte, Ämter und Seehofer –, die Frage um die Zukunft des Ortsteils endlich zu klären. Die Antifa demonstrierte ihr Unverständnis, dass die Seehofer nicht bereit seien, dafür ihren Anteil zu leisten und mit Vergleichszahlung „deutsche Geschichte wieder gut zu machen“. Für zahlreiche Seehofer war die Aktion hingegen demonstriertes Unverständnis der Seehofer Geschichte.
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