Von Susann Fischer und Peter Tiede: Der Absturz des Strippenziehers der SPD
Mit Rainer Speer tritt einer der originellsten Landespolitiker Deutschlands ab
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Potsdam - Er war der wichtigste Strippenzieher der Brandenburger SPD, er hat aus dem DDR-Bürgerbewegten Matthias Platzeck den SPD-Landeschef und Ministerpräsidenten gemacht. 20 Jahre lang hat Rainer Speer die Geschicke der märkischen SPD maßgeblich mitbestimmt. Jetzt ist die politische Karriere des 51-Jährigen zu Ende, dessen Lebensstil in Potsdam bekannt ist: Der Mann mit Nickelbrille und Dreitagebart ist kein Kostverächter. Der Wein-, Lamm- und Frauenfreund arbeitete gern aus einem Lokal heraus mit Laptop.
Die politische Karriere des gelernten Schlossers beginnt mit der Revolution in der DDR. Der Mann, einst wegen charakterlicher und politischer Defizite von der Offiziershochschule der DDR Armee NVA geflogen, baut die SPD in Potsdam auf und wird 1990 Abteilungsleiter in der Staatskanzlei des ersten Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD). Speer, der nach seinem Abgang von der Offiziershochschule einen FDJ-Jugendklub in Potsdam leitete und später auch freiberuflich in Potsdam Möbel restaurierte, steigt dann 1994 zum Staatssekretär unter dem Umweltminister Platzeck auf.
Eine „Einarbeitung“ in den Politik- und Beamtenbetrieb in Brandenburgs Partnerland Nordrhein-Westfalen verweigert Speer. Auch Stolpe wollte, dass er das Handwerk direkt in Potsdam im laufenden Betrieb lernt. Die damaligen West-Beamten in Potsdam – alle mit ordentlicher Laufbahnkarriere – sind entsetzt: So einen wie Speer kannten sie nicht im Politikbetrieb im Zentrum der Macht – kein Stallgeruch, keine Verwaltungserfahrung, begrenzte Manieren. Der Poltergeist als Quereinsteiger – Speer bekam diese Haltung ihm gegenüber direkt zu spüren. Er machte sich das Bild schnell zu eigenen, fing damit zu spielen an und Leute auch bewusst mit seiner Art zu verschrecken.
Im Umweltressort seines Freundes Matthias Platzeck hatte er damit viel zu tun. Bewusst legte er sich immer wieder mit den Umweltschützern an – die nannte er mal halb öffentlich „Fröschezähler“ und „Baumklammer“. Speer hielt Platzeck den Rücken frei, rettete Mitte der 1990er Jahre wohl auch Platzecks Karriere. Damals drohte Platzeck von diversen Affären um zu groß gebaute Kläranlagen in Brandenburg hinweggespült zu werden. An Platzeck blieb von der Milliarden-Affäre, in die hohe Beamte verwickelt waren, nichts hängen – auch wegen Speers Künsten als Krisenmanager.
Stolpe holt ihn nach dem Regierungswechsel zur Rot-Schwarz 1999 zurück in die Staatskanzlei – als deren Chef. 2002 organisiert Speer den Wechsel von Stolpe zu Platzeck als Ministerpräsident – diese Aktion hinter Stolpes Rücken und mit Platzecks Wissen nennt er „Machtwechsel“, geschrieben und gespeichert auf seinem ständigen Begleiter: dem Laptop.
Nach der Wahl 2004 setzt Platzeck seinen Freund Speer als Finanzminister ein. Speer organisiert das unbequeme Sparen, bringt den Landeshaushalt auf Zukunftskurs. Nach dem Regierungswechsel zu Rot-Rot 2009 braucht Platzeck seinen Mann fürs Grobe als Innenminister, Speer soll wegen sinkender Landeseinnahmen eine Polizeireform organisieren. Gegen alle Widerstände im Land und in der eigenen Partei macht Speer auch dies – auf seine Art: von oben herab. Speer bewegt sich inzwischen als hätte er in Drachenblut gebadet. Doch Ende Oktober 2009 passiert das, was einem Speicherer und E-Mailer wie Speer nicht passieren darf: Sein Laptop geht verloren – ob geklaut oder nur vergessen, ist unklar. Der Rechner war Speers Lindenblatt beim Bad im Drachenblut. Der Mann, der sich für unstürzbar hielt, musste erkennen, dass seine Panzerung eine Lücke hatte: Auf dem Rechner liegen Gigabytes an Daten – privater und dienstlicher Natur. Der Rechner wird geplündert, ein Teil der Daten landet Monate später bei Medien.
Speer, mit ersten Daten von Journalisten konfrontiert, versucht noch, den Diebstahl für sich zu nutzen: Er erklärt, die Daten könnten gefälscht sein. Er versucht den Eindruck zu erwecken, auch Berichte des Stern und der PNN über undurchsichtige Immobiliendeals mit den Kasernen in Potsdam-Krampnitz seien auch dieser angeblich vergifteten Quelle gespeist – was nachweislich falsch war. Flankierend zu einem Prozess, den Speer gegen den Springer-Konzern anzettelt, um Veröffentlichungen über die Unterhaltsaffäre zu verhindern, fängt die Partei an, aus dem ganz dicken Rohr zu schießen: SPD-Generalsekretär Klaus Ness sieht eine finstere Medienverschwörung gegen Rot-Rot in Brandenburg – Ness schreibt in einer Erklärung von „Krieg“. Und auch Platzeck lässt erkennen, dass er die Ansicht teilt.
Speer hat da alle längst belogen. Als die Affäre um die uneheliche Tochter, für die die Staatskasse statt Speer den Unterhalt beglich, auch öffentlich wurde, verbreitete Kreise der Staatskanzlei gar, da sei nichts dran. Speer, der Kavalier, wolle die labile Frau nur schützen. Fest steht: Mit seinem sinnlosen Kampf gegen die Veröffentlichung seiner Fehler hat er die Mutter der von ihm verleugneten und um ihren rechtmäßigen Kindesunterhalt betrogenen Tochter so tief in seine Lügen verstrickt, dass gegen die Frau wegen falscher Schutzbehauptungen für Speer ermittelt wird.
Doch all die Intrigen, die im Hintergrund zur Speer-Rettung gesponnen wurden, konnten letztlich den Absturz eines der unkonventionellsten und an guten Tagen auch originellsten Landespolitiker Deutschlands nicht verhindern. Speer, der Strippenzieher, hatte sich in seinem Netz aus Lügen hoffnungslos verstrickt – hatte in seinem ganz eigenen Krisenmanagement versagt. Nach seinem politischen Aus will er im Jahr 2011 nun einen Neuanfang suchen. Er hofft, dass es für ihn und seine Familie ein besseres Jahr wird als 2010. Speer, verheiratet und aus der Ehe Vater zweier ehelicher Töchter, hat sich, wie er selbst sagt, bei denen die er mit seinen Fehlern enttäuscht hat. Wie man hört, erwägt er eines seiner Hobbys nun zum Beruf zu machen: Er könne sich vorstellen, so heißt es, in Potsdam eine Kneipe aufzumachen.
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