Brandenburg: Der Alb-Traum
Ein „Friedensessen“ aus Bio-Linsen sollte Berliner und Schwaben wieder versöhnen. Aber können Hülsenfrüchte wirklich deeskalierend wirken?
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Berlin - Möglicherweise war das Ereignis nicht bedeutend genug, um den Spätzle-Krieg zwischen Berlin und Schwaben endgültig zu beenden. Und ein richtiges Friedensessen setzt natürlich auch voraus, dass einflussreiche Persönlichkeiten beider Seiten anwesend sind, die anschließend verkünden, es sei nun ab sofort genug mit Hass und Gewalt. Aber man wird abwarten müssen, denn immerhin wurde nun eine Saat gesetzt, was durchaus wörtlich zu nehmen ist, denn jetzt hat die kleine, unscheinbare Alblinse die Aufgabe, die beiden inkompatiblen Volksstämme auf Berliner Boden reif zu machen für ein friedliches Zusammenleben.
Wolfgang Thierse, dem man den Rang des obersten Schwabenhassers angedichtet hat, war zumindest eingeladen. Er steht immerhin für seine Kritik, die er einst in einem Zeitungsinterview geäußerte hatte: Manchem Zuwanderer aus der Alb fehle es an Anpassungsvermögen. Doch da sind auch jene, die sich im Schutze der Dunkelheit über die Provinzler mit dem breiten Zungenschlag lustig machen, die beispielsweise eine Statue von Käthe Kollwitz in Prenzlauer Berg mit Spätzle beworfen haben und wohl lieber in der Anonymität des Kiezes verharren.
Wie also ist das mit der Alblinse? Sie ist eine ganz und gar unscheinbare Pflanze, die sich von den vielen gewöhnlichen Linsen dadurch unterscheidet, dass sie eigentlich schon ausgestorben war, zumindest aber als verschollen galt und nur noch in den Erinnerungen alter Schwaben existierte. Ein deutscher Biobauer entdeckte sie 2006 in einer russischen Saatgutbank, brachte sie zurück in ihre Heimatregion, 2010 wurde die erste nennenswerte Ernte eingebracht, organisierte von der eigens gegründeten Öko- Erzeugergemeinschaft „Alb-Leisa“. Und auf verschlungenen Wegen schaffte es die an sich komplett unpolitische Pflanze dann auch nach Berlin, und zwar indem sie von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft auf dem „Weltacker“ an der Havel in Kladow angebaut wurde.
Von dort bis zum sanft anarchischen Kreuzberger Prinzessinnengarten war es für die neue alte Linse nur noch ein Katzensprung, kein Wunder, dass dort nun auch das rasch zum „Friedensessen“ deklarierte Treffen stattfinden musste. Die Kladower Ernte wurde hingeschafft, und wer nun glaubte, es müsse nur noch gegessen werden, vorzugsweise mit Spätzle, der hatte sich getäuscht: Erst einmal mussten die Pflanzen überhaupt gedroschen werden, eine Tätigkeit, die in den Kochbüchern der Gegenwart nicht mehr erwähnt wird.
Einweichen ist überflüssig, man kann sie einfach weichkochen, und auch ein paar Schwaben und Schwäbinnen mit Erfahrung im Spätzleschaben hatten sich gemeldet, denn in derlei bodenständigen Slow-Food-Milieus kommt natürlich Tütenessen überhaupt nicht in die Tüte.
Was wird bleiben? Nehmen wir mal an, dass die Aktion unter den gegnerischen Parteien zumindest Verständnis für die Unterschiede zwischen den Volksstämmen weckt, die in Berlin unvorbereitet aufeinandertreffen. Wenn also Käthe Kollwitz demnächst mit Linsen beworfen wird, dann wäre das zumindest ein Schritt auf dem richtigen Weg.
Bernd Matthies
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