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Endlich da. Wer zum Hautarzt will, braucht Zeit und Geduld.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Brandenburg: Der Arztbesuch wird zum Tagestrip

Mithilfe von Geld und neuen Hochschulen soll der Ärztemangel in Brandenburg gelindert werden. Das Land braucht allerdings einen langen Atem – Erfolge erst in etwa zwölf Jahren

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Potsdam - Wer ein Reich von mehr als 2000 Quadratkilometern abdecken muss, kann nicht auch noch nebenbei Fragen von Reportern beantworten. „Keine Zeit!“, lässt deshalb Dr. Michael Sinner über eine Arzthelferin ausrichten – zu vollgepackt ist der Terminplan zu Beginn des zweiten Quartals nach Ostern. Sinner ist der einzige Hautarzt in der Prignitz. Wer etwa aus Lenzen (Elbe) im Westen der Prignitz zu seiner Praxis in Pritzwalk fahren möchte, der ist gut 60 Kilometer unterwegs. Ein Arztbesuch entwickelt sich so schnell zum Tagestrip.

Das Problem des Ärztemangels ist in der Prignitz wie im gesamten Bundesland nicht unbekannt. Seit Jahren ist Brandenburg bundesweites Schlusslicht bei der Ärztedichte. Daran änderte auch nichts, dass im Land laut Landesärztekammer im vergangenen Jahr mit 12 286 Ärzten rund 2,5 Prozent mehr Mediziner gemeldet waren als 2011. Das Problem: Junge Ärzte gehen immer häufiger in die größeren Städte oder in die Forschung.

„In der Summe gibt es zwar mehr Ärzte, aber in einigen Regionen deutlich weniger als vor fünf Jahren“, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KV), Ralf Herre. „Wir haben in der Fläche eine extrem angespannte Situation, in der es alles andere als gut aussieht.“ Händeringend würden Hausärzte in den Regionen Spree-Neiße, Uckermark und Teltow-Fläming gesucht. Derzeit fehlen laut Herre landesweit rund 120 Allgemeinmediziner. Außerdem brauche es mindestens acht bis zehn Fachärzte zusätzlich - darunter vier Hautärzte -, um Einzelkämpfer wie Sinner zu entlasten.

Damit künftig mehr Fachärzte in der Mark praktizieren, stürzen sich Institutionen und Verbände nun auf die, die das Land langfristig retten könnten: die Jungen. Zwei Hochschulen wollen schon bald junge Mediziner ausbilden – ein Novum. Bislang ist Brandenburg das einzige Flächenland ohne medizinische Fakultät.

Fraglich ist, ob zumindest eine der beiden Hochschulen den geplanten Eröffnungstermin in diesem Herbst einhalten kann. Die Initiatoren der neuen Medizinischen Hochschule Theodor Fontane in Neuruppin müssen auf Anraten des Wissenschaftsrates in Köln ihr Konzept überarbeiten. Das Ziel ist nun eine Gründung bis zum Sommersemester 2014.

Laut Professor Dieter Nürnberg von den Ruppiner Kliniken, die die neue Hochschule gemeinsam mit dem Städtischen Krankenhaus Brandenburg/Havel ins Leben rufen wollen, hätten sich bereits mehr als 150 junge Menschen auf die 45 Studienplätze beworben, die es offiziell noch gar nicht gibt. Die hohen Studienkosten – rund 80 000 Euro, von denen ein Student jährlich 7000 Euro übernehmen soll – stehen dem Wunsch des Nachwuchses offenbar nicht im Weg.

Deutschlandweit wird seit Jahren um Plätze an einer medizinischen Fakultät gerungen. Als Ausschlusskriterien sollen an der Hochschule keine Notendurchschnitte gelten, sondern „die Motivation, praktisch in Brandenburg tätig sein zu wollen und die Begeisterung für die Medizin“, sagt Nürnberg. Nach dem Studium sollen die Absolventen in Brandenburg gehalten werden. Nürnberg sagt: „Junge Ärzte würden sich durch die Ausbildung mit dem Land Brandenburg verbunden fühlen.“ Den geplanten Start zum Wintersemester 2013/14 musste auch der Initiator der European University of Health, der Verbund christlicher Kliniken, verschieben. Langfristige Privatinvestoren fehlen bislang, sagt Johannes Albes vom Bernauer Herzzentrum, das zum Verbund gehört.

Auch der Standort ist wieder unklar: Nachdem die Initiatoren zunächst mit Frankfurt (Oder) geliebäugelt hatten, ist der Sitz laut Albes nun wieder ungewiss.

Albes ist überzeugt, dass eine akademische Ausbildung durch die European University of Health den Ärztemangel zumindest lindern kann: Immerhin 50 frische Mediziner könnten pro Jahr die private Hochschule verlassen. „Das sind keine Welten, aber besser als nichts.“ KV-Sprecher Herre geht davon aus, dass durch die beiden Hochschulen keine kurzfristigen Erfolge zu erzielen sind. Wirkung würden sie erst nach elf bis zwölf Jahren zeigen – so lange dauert die Facharztausbildung in der Regel. „Bis dahin braucht man einen langen Atem. Es ist ein langer Weg, den auch Brandenburg gehen muss“, so Herre.

Die KV will den Nachwuchs bis dahin durch finanzielle Unterstützung für Praktika sowie eine Vereinfachung der Ausbildung ins Land locken. So sollen Weiterbildungszentren einzelne Stationen der Arztausbildung organisieren, die Studenten laut KV häufig nur schwer reibungslos aneinanderreihen können. Angehende Mediziner aus Brandenburg, die etwa nach Dresden, Leipzig oder München gegangen sind, sollen zurückgewonnen werden.

Nach zwei Wochen findet Hautarzt Michael Sinner doch noch kurz die Zeit, um Auskunft über seine Arbeit zu geben. „Arbeitslos wird man hier nicht“, scherzt er. Überfordert sei er nicht mit der Situation, die Tage in Pritzwalk seien allerdings extrem ausgelastet. Die Wartezeit bei Sinner beträgt gut drei Monate.

Steffen Trumpf

Steffen Trumpf

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