Brandenburg: Der Aufklärer
Wie Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske das Unmögliche versucht: den Ostdeutschen die Vorzüge von Hartz IV zu erklären
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Wie Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske das Unmögliche versucht: den Ostdeutschen die Vorzüge von Hartz IV zu erklären Ziesar - Keine Reaktion, keine Regung, obwohl die Wahrheit so brutal, so schonungslos ist, die Günter Baaske ihnen geradeheraus in die müden, oft faltenreichen Gesichter sagt. Etwas verloren sitzen zwölf Männer und Frauen vor ihm im großen Saal am Burghof von Ziesar, einer Kleinstadt am westlichen Ende des Landes, zumeist Mittfünfziger, alle seit Jahren arbeitslos. „Ich weiß, dass Sie sich nichts sehnlicher wünschen als Arbeit“, hat der aus Potsdam angereiste Minister ihnen eröffnet. „Aber selbst wenn doch noch ein Investor kommen sollte, der hier eine neue Fabrik baut, selbst dann werden die über 55jährigen dort keinen neuen Job finden.“ Nein, man dürfe „sich nicht länger in die Taschen lügen“. Und trotzdem, so hat Günter Baaske sofort hinzugefügt, „werden wir die Älteren nicht auf der Strecke lassen.“ So wirbt Brandenburgs Arbeits- und Sozialminister in diesen Tagen und Wochen für Hartz IV, die so gründlich missverstandene Reform, die so viele Ostdeutsche auf die Straße treibt, Ängste und Unsicherheit auslöst, und die der SPD bei der Landtagswahl „das Genick brechen könnte“, wie er selbst ahnungsvoll prophezeite. Um die drohende Niederlage doch noch zu verhindern, ist Baaske nun fast täglich im Lande unterwegs. Der Minister, früher Sozialdezernent im Landkreis Potsdam-Mittelmark, ist neben Regierungschef Matthias Platzeck der wichtigste Wahlkämpfer der SPD. Und inzwischen auch de facto die Nummer 2 in der Partei, obwohl er keinen der Stellvertreter-Posten innehat. Doch wenn die SPD bei der Landtagswahl hinter PDS und CDU abstürzen und damit Matthias Platzeck verlieren sollte, dann wäre es wohl Baaske, der die SPD als Vize-Regierungschef in eine Koalition mit der Union führen müsste. Aber über solche Spekulationen, längst Thema unter den Genossen, mag er natürlich nicht reden. Der 45jährige „tingelt“ lieber durchs Land, um die Stimmung doch noch zu drehen, was ein verdammt mühseliges Unterfangen ist. Denn die Resonanz bei den Veranstaltungen ist, obwohl es rund 250000 Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger im Lande gibt, bislang oft gering. Allerdings macht Baaske eine erstaunliche Erfahrung. Während die Stimmung auf SPD-Wahlkundgebungen immer aufgeheizter wird, schlägt ihm keine Feindseligkeit, kein Volkszorn entgegen. Auch die PDS hält sich zurück, offenbar aus Sorge vor dem fakten- und argumentationsstarken Minister. Freilich, Baaske geht auch meist in die Offensive, kritisiert Clement, Kanzler Gerhard Schröder: „Es ist viel schief gegangen, ob mit der unsäglichen Buschzulage oder den Kindersparbüchern.“ Doch sei-ne Zuhörer wollen ohnehin oft keinen Frust ablassen, sondern einfach wissen, was ab 1.Januar überwiesen wird. Und dann steht Baaske vorn, wie Pfarrer, Sozialarbeiter und Volkshochschullehrer in einem, und rechnet jedem höchstpersönlich das neue Arbeitslosengeld II aus. Er beruhigt, dass Autos nicht verkauft werden müssen, kein Umzug in Plattenbauwohnungen drohe, er erklärt, dass unter Umständen auch Hypothekenzinsen übernommen werden. „Zum Beispiel: Ein Single, Otto Normalverbraucher, bekommt ab Januar 321 Euro, plus 320 Euro Mietzuschuss – macht 651 Euro“, erklärt Baaske – und nennt Vergleichszahlen: Bisher bekommen 125000 Langzeitarbeitslose im Land weniger als 600 Euro, die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe betrage bislang sogar nur 475 Euro. Und dann könne künftig jeder sogar zum neuen Arbeitslosengeld etwas dazu verdienen, in Parks, in Altenpflege oder Krankenhäusern – mit den 1- oder 2-Euro-Jobs. „Das ist der öffentliche Beschäftigungssektor, den die PDS immer wollte.“ Sicher, es gebe auch Verlierer bei dieser Reform, räumt Baaske ein. Aber für viele gebe es eben keinerlei Verschlechterungen, oft sogar Verbesserungen. Von „Armut per Gesetz“, wie die PDS suggeriere, könne jedenfalls keine Rede sein. Auch an diesem Abend in Ziesar kommt die Botschaft an, zumal keiner im Saal ist, der ab 1. Januar weniger in der Tasche haben wird. Überhaupt habe er bei allen Veranstaltungen „nur eine Hand voll solcher Fälle“ gehabt, sagt Baaske. Umso verwerflicher finde er die Kampagne der PDS. So geht auch Lutz Israel, 55 Jahre, Diplomlandwirt und seit 5 Jahren arbeitslos, etwas beruhigter nach Hause. Ja, erzählt Israel, er wolle sich sogar möglichst schon in der Silvesternacht bei der Arbeitsagentur anstellen, um einen der neuen 1-Euro-Jobs abzubekommen. „Hauptsache, etwas tun. Notfalls lasse ich mich auch als Lagerarbeiter vermitteln.“ Auch Gerd-Rainer Gärtner, ein gelernter Werkzeugmacher, seit 14 Jahren ohne Job, fand den Hartz-Berater Baaske sehr hilfreich. „Der erste Schrecken ist genommen“, sagt er. „Wir werden 100 Euro mehr haben.“ Allerdings, etwas „Skepsis bleibt trotzdem noch.“ Und die werde sich wohl erst legen, wenn der „amtliche Bescheid schwarz auf Weiß da ist“. Und dies, das weiß auch Günter Baaske, wird leider erst nach dem 19. September sein. Thorsten Metzner
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