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Wegweiser für Rechtsfragen. Auf einem Potsdamer Hinterhof geht es zur Kanzlei von Jörg-Klaus B.

© Klaer

Brandenburg: Der Firmenbestatter

Mammutprozess um Insolvenz und Wiederauferstehung einer Luckenwalder Firma vor dem Abschluss / Eltern von CDU-Politikerin Reiche angeklagt

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Potsdam - Es ist ein Mammutprozess vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam, in dem es auch um eine prominente Politikerin geht. Seit September 2009 und mehr als 50 Verhandlungstagen saßen sechs Personen und bis zu neun Verteidiger auf der Anklagebank. Nun steht das Verfahren um Insolvenzverschleppung, Unterschlagung, Bankrott, Untreue und Anstiftung zu diesen Straftaten vor dem Abschluss. Am Mittwoch hielt Oberstaatsanwalt Jürgen Flügel, Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität in der Potsdamer Staatsanwaltschaft, sein Plädoyer in dem Verfahren, in dem es um die Traditionsfirma Hesco Kunststofferzeugnisse Helmut Schulze & Co. GmbH in Luckenwalde (Teltow-Fläming) geht. Die beiden Angeklagten Birgit und Klaus Reiche machten das Unternehmen im Jahr 2003 dicht, die 62 Beschäftigten wurden gefeuert. Unter neuem Namen machte die Firma zwei Monate später weiter, diesmal aber nur mit 35 Beschäftigten. Reiches sind nicht irgendwer, es sind die Eltern der Brandenburger CDU-Politikerin, Bundestagsabgeordneten und parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Katherina Reiche.

Oberstaatsanwalt Flügel spricht von illegaler Firmenbestattung. Hesco beliefert die Telekommunikationsbranche, etwa zur Jahrtausendwende bekommt es die Krise der New Economy zu spüren. Aufträge bleiben aus, die Lohnkosten sind höher als die Einnahmen. Die Reiches wollen Mitarbeiter entlassen, aber der Betriebsrat wehrt sich vehement – was sein gutes Recht ist. Später und auch im Prozess bemühen die Verteidiger die Legende, die IG Metall habe im Betriebsrat Druck gemacht, weil auch die CDU-Politikerin Katherina Reiche Anteile an der Familienfirma hält. Weitere Gesellschafter sind Birgitt Reiche, die zu dieser Zeit Geschäftsführerin ist, deren Mutter Käthe Schulze, Ehemann Klaus Reiche und Sohn Felix Reiche. Die Reiches geraten schließlich an den Potsdamer Anwalt Jörg-Klaus B. (48), er weiß, wie man Firmen bestattet. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wäre ohne ihn die Anklagebank am Landgericht Potsdam heute leer.

Im Mai 2003 bekommt Birgit Reiche alle Geschäftsanteile. Der mitangeklagte Maurer Henry J. wird Geschäftsführer, der laut Staatsanwaltschaft nur dazu da ist, Unterschriften zu leisten und zu Notarterminen zu gehen. J. entlässt alle Hesco-Mitarbeiter, der Firmensitz wird nach Horla in Sachsen-Anhalt verlegt, das Betriebsvermögen an ein neues Unternehmen der Reiches übertragen. Übrig bleibt eine Briefkastenfirma, die Insolvenz wird verschleppt, um die Spuren zu verwischen. Hesco aber machte als neue Firma wenig später unter leicht geändertem Namen in Luckenwalde einfach weiter - mit den alten Maschinen und nur noch 35 Beschäftigten. Ein Stellen- und Schuldenabbau über illegale Umwege.

Nach derselben Masche ist der Potsdamer Anwalt B. auch bei anderen Firmen vorgegangen, auch wegen dieser Fälle ist er angeklagt. Die Unternehmen gerieten in Geldnot, J. wurde als Geschäftsführer bestellt, übrig blieb eine leere Hülle. Firma bestattet. In einigen Fällen lehnten die Gerichte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. In dem Prozess sind auch zwei Geschäftsfrauen angeklagt, deren Möbelgeschäft in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) 2003 ebenfalls Insolvenz anmeldete. Aber sie sind nur Randfiguren. Die zentrale Figur bei allem ist Anwalt B. Der Insolvenzverwalter von Hesco sprach als Zeuge vor Gericht von „gewerblicher Firmenbestattung“. Alle zwei Wochen wurde die Post von bis zu acht Briefkastenfirmen in Horla nach Potsdam gebracht – in die Kanzlei von B.

Oberstaatsanwalt Flügel forderte für B. für die Anstiftung zu allen Straftaten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und ein Berufsverbot von drei Jahren, das sofort mit der Urteilsverkündung wirksam werden soll. Es bestehe Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Rechtssystem, sagte Flügel. Er habe das hohe Ansehen des Berufsstandes beschädigt, seine Befugnisse und sein Wissen als Rechtsorgan ausgenutzt. Für den Maurer J., der für B. stets den Geschäftsführer der zu bestattenden Firmen mimte, plädierte der Oberstaatsanwalt auf eine Haftstrafe von 14 Monaten, die für zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Zudem soll J. 5000 Euro an die Landeskasse zahlen.

Für Birgit und Klaus Reiche forderte Flügel eine Geldstrafe von jeweils 16 000 Euro. Sie hätten hohe kriminelle Energie bewiesen und aus eigensüchtigen Motiven zur Sicherung ihres Eigentums die Belange der Mitarbeiter und deren Familien missachtet. Nach all dem „Mediendruck“ hätten sie sich zudem bemüht, den Schaden zu heilen. Sie zahlten Schulden, fanden entlassen Mitarbeiter ab.

Auch für Katherina Reiche könnte der Fall noch Folgen haben. Der Hesco-Insolvenzverwalter verklagte zivilrechtlich alle ehemaligen Gesellschafter wegen der Firmenbestattung. Dafür dürfte der Ausgang des Strafprozesses maßgeblich sein.

Und noch etwas in Sachen Anwälte: Vor zwei Jahren erst bestätigte das Potsdamer Landgericht ein Urteil gegen Jörg-Klaus B., weil er 2006 unerlaubt Kopien von Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft an Geschäftspartner einer Person faxte, gegen die ermittelt wurde. Auch sein Anwalt im Hesco-Verfahren, der Potsdamer Veikko B., ist der Justiz wohlbekannt. Ihm droht aktuell der Verlust seiner Zulassung, wegen einer vor Jahren schon erfolgten Verurteilung wegen Parteiverrats mitten in einem Strafverfahren. Mitten im aktuellen Hesco-Prozess war er vor dem Verhandlungssaal verhaftet worden, um ihn in Dresden auf die Anklagebank zu zwingen. Im November 2010 wurde er dort wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er zwei Fotografen tätlich hinderte, einen Mandanten zu fotografieren. (mit HK)

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