Brandenburg: „Der IM berichtete auftragsgemäß“
Seit 1991 leugnet Gerlinde Stobrawa, IM der Stasi gewesen sein. Neue Akten sprechen eine andere Sprache
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Potsdam -Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) hatte eigentlich was Schöneres vor: Er bereitete sich am Donnerstagabend gerade auf den Gang zur Bambi-Verleihung in Potsdam vor, als seine neue rot-rote Regierung in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Der nächste Stasi-Fall beim neuen Koalitionspartner, der Linken, wurde bekannt: Eine der ranghöchsten Vertreterinnen des Landes Brandenburgs, die Vize-Präsidentin des Landtages, Gerlinde Stobrawa (Linke), soll Partei, Parlament und Öffentlichkeit seit 1991 über ihre Kontakte zum DDR-Geheimdienst MfS angelogen haben. Zwei Stunden lang ließ Platzeck am späten Nachmittag nichts von sich hören. Dann, kurz bevor er am roten Bambi-Teppich in Babelsberg mit schnöden Stasi-Fragen überfallen werden konnte, ließ er eine dünne Erklärung zur Causa-Stobrawa verbreiten: Er verwies auf die Stasi-Überprüfung Stobrawas 1991, bei der eine Landtagskommission keine Empfehlung zur Mandatsniederlegung ausgesprochen hatte. Für ihn, so der Regierungschef, sei bisher „nicht erkennbar, ob es Erkenntnisse gibt, die 1991 nicht in die Bewertung einfließen konnten.“
Dabei ist fast alles neu, was seit gestern auf dem Tisch liegt: Die Akten, die die Stasi-Unterlagenbehörde auf Antrag diverser Medien frei gab, lagen 1991 als Stobrawa in Brandenburg ihren Persil-Schein bekam, noch nicht vor, wurden erst später in Opferakten und anderen Stasi-Beständen gefunden. Nach den, den PNN vorliegenden Akten hat das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR Gerlinde Stobrawa als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) geführt und auch als solche behandelt. Das geht aus den Unterlagen des MfS zu IM „Marisa“ und aus den Akten einer sogenannte „Operativen Personenkontrolle“ (OPK) hervor. Eine Verpflichtungserklärung ist zwar nicht zu finden, ob es sie je gegeben hat, lässt sich auch nicht feststellen – Linke-Landeschef Thomas Nord deutete gestern aber an, dass es eine gegeben haben könnte. Öffentlich hatte Stobrawa das bisher stehts bestritten. Dabei hat die Akte von IM „Marisa“ offenbar bis in den Herbst 1989 hinein, also bis zur friedlichen Revolution auf dem Schreibtisch des Führungsoffiziers in Frankfurt gelegen haben und dann eiligst vernichtet worden sein. Jedenfalls gibt es zu IM „Marisa“ von der Täterakte nur einen angerissenen Aktendeckel sowie Schnipsel eines Umschlags. Laut dem sogenannten Vorgangsheft II des Führungsoffiziers – also dem bereits zweiten Heft, das zu dem Fall angelegt worden war – war die Akte zu „Marisa“ bis zum Schluss in Bearbeitung, der letzte Vermerk stammt vom August 1989.
Auf zwei damals beim MfS üblichen Registerkarten ist Gerlinde Stobrawa erstmals am 21. September 1987 mit Namen und Geburtsdatum sowie Geburtsort als Vorgang aufgenommen worden. Damals war sie gerade von der Bezirks-FDJ-Chefin zum für Jugend und Sport zuständigen Mitglied des Rates des Bezirkes Frankfurt aufgestiegen.
Ende März 1988 wurde Im „Marisa“ von ihrem Führungsoffizier zum IMS, also als Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit, registriert. Im Januar 1989 wurde sie IME, das sind besonders geschulte IM, die laut Stasi-Richtlinie „zur Lösung spezieller politisch-operativer Aufgaben“ eingesetzt werden. Marisa wurde für die Hauptabteilung XX/2 geführt, die für die Überwachung von Staatsapparat, Kultur, Kirche und Untergrundkräften verantwortlich war. Stobrawas Tätigkeit für das MfS geht zudem aus Akten über einen damaligen Kollegen der Linke-Politikerin im Rat des Bezirkes Frankfurt hervor. Der Kollege, „leitender Staatsfunkftionär“, war als „politisch indifferent“ aufgefallen, das MfS setzte eine „Operative Personenkontrolle“ (OPK) unter dem Decknamen „Stellvertreter“ an. Derlei ist eine Vorkontrolle auf unterer Stufe bevor ein Operativer Vorgang“ (OV) aufgenommen wird. Laut Maßnahmeplan vom Juni 1988 galt der Einsatz des IMS „Marisa“ der „Aufklärung der tatsächlichen politischen Grundhaltungen und des Persönlichkeitsbildes“ und der „Dokumentierung negativer Einflussnahme“ auf Mitarbeiter ihrer Abteilung im Rat des Bezirkes. Zudem war über „Marisa“ „der private Umgangskreis“ der Zielperson „zu personifizieren und zu überprüfen“. In einem schriftlichen Bericht des Operativen Mitarbeiters, Stasi-Oberleutnant Stolzman, zu den von IM „Marisa“ gesammelten Informationen heißt es zur Haltung des Kollegen: „Der Parteisekretär des Rates des Bezirkes ist ein ,Arsch’“, der Parteigruppenorganisator ein „dummes Schwein“, und bei Parteiversammlungen „totaler Ruß“, bei denen nie etwas herauskomme. Zudem gab IM „Marisa“ Einschätzungen zu ihrem Kollegen: Dieser sei überheblich und „sehr stark materiell interessiert“, dessen politische Grundhaltung sei „äußerst zweifelhaft“ und er verweigerte die Ausbildung in der Kampfgruppenhundertschaft. In diesem Bericht sowie zwei Abschriften von IM „Marisa“ auf Tonband gesprochenen Berichten vermerkte Oberleutnant Stolzmann stets: „Der IM berichtete auftragsgemäß“. Das MfS schloss den Vorgang über die Zielperson von IM „Marisa“ mit Erfolg ab. Im Abschlussbericht vom April 1989 heißt es: „Durch den zielgerichteten und offensiven Einsatz des IME „Marisa“ konnte erreicht werden, dass der (...) sowohl in seiner beruflichen Funktion als auch als Mitglied der SED eine positive Entwicklung nahm.“ Soll heißen: Der kritische Genosse war im Wendejahr mit Druck noch einmal auf Linie gebracht worden.
Erst am Dienstag hatte die Linke den Abgeordneten Gerd-Rüdiger Hoffmann zum Mandatsverzicht aufgefordert, weil dieser – anders als Fraktionschefin Kerstin Kaiser, Parteichef Thomas Nord sowie die Abgeordneten Hans-Jürgen Scharfenberg und Axel Henschke – seine frühere Stasi-Mitarbeit als IM „Schwalbe“ von 1970 bis 1975 vor der Landtagswahl verheimlicht und damit gegen einen Offenlegungsbeschluss seiner Partei aus dem Jahr 1991 verstoßen hat. Hoffmanns Anwalt Peter-Michael Diestel, der nach 1990 CDU-Fraktionschef im Brandenburger Landtag war, hatte der Linke-Führung wegen des Kurses gegenüber Hoffmann in den PNN vorgeworfen: „Die Stasi jagt die Stasi – das ist ein Witz.“ Diestel war damals persönlich Mitglied der Landtags-Ehrenkommission zur Stasi-Überprüfung. Über die Causa Stobrawa sagt er aus der Erinnerung: „Ich weiß, dass es ein minderschwerer Fall war.“ Die neuen Akten kannte Diestel da noch nicht. axf/thm/pet
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