Brandenburg: Der „Kanzler-Liebling“ emanzipiert sich
Regierungschef Platzeck muss um seine Wiederwahl bangen – mit Kritik an Gerhard Schröder hält er sich nicht mehr zurück
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Regierungschef Platzeck muss um seine Wiederwahl bangen – mit Kritik an Gerhard Schröder hält er sich nicht mehr zurück Von Michael Mara Potsdam - Lange hat sich Matthias Platzeck zurückgehalten. Lange kam kein kritisches Wort über die Politik von Kanzler Gerhard Schröder über die Lippen des brandenburgischen Ministerpräsidenten. Doch seit einigen Wochen geht Platzeck, über dessen politische Zukunft die Landtagswahl am 19. September entscheidet, auf Distanz zum Kanzler. Auf dem jüngsten SPD-Parteitag in Brandenburg (Havel) mahnte er den Ehrengast eindringlich, bei seinen Reformen mehr Sensibilität für den Osten zu zeigen: „Hier droht etwas ins Rutschen zu geraten“, rief er Schröder zu. Der zeigte in der ersten Reihe keine Reaktion. Kaum ein Tag vergeht, an dem Platzeck nicht in einem Interview Verständnis für die Protestbewegung im Osten gegen Hartz IV äußert, die Ausdruck eines tieferen Konflikts sei. „Die Ostdeutschen fühlen sich als Bürger zweiter Klasse“. Worte, die Schröder wohl nicht versteht: Er musste sich aus einfachen Verhältnissen hocharbeiten und kann der Ost-Jammerei nicht viel abgewinnen. Auch dass Schröder PDS und CDU vorwarf, eine „neue Volksfront“ zu bilden, stieß bei Platzeck sofort auf Kritik: Der Begriff sei „unglücklich“, denn im Osten sei der Begriff durch den Spanienkrieg und den Kampf gegen den Faschismus positiv besetzt. In Platzecks Staatskanzlei hieß es: Hätte der Kanzler von „Nationaler Front“ gesprochen, hätte ihn jeder im Osten verstanden. Neu ist, wie klar Platzeck seine Kritik am Kanzler formuliert. Viele Jahre galt er als dessen besonderer Liebling. Schröder wollte den einstigen Potsdamer Oberbürgermeister schon nach seinem Sieg bei der Bundestagswahl 1998 in sein Kabinett holen. Schröders Begehrlichkeiten waren wohl auch ein Grund dafür, dass der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe im Sommer 2002 überraschend seinen Platz für Platzeck räumte. Er wollte seinen „Kronprinzen“ rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2002 „für Brandenburg sichern“. Manche meinen, dass Platzecks Kritik am Kanzler allein wahltaktisch motiviert sei: In vier Wochen ist Landtagswahl. Die PDS könnte stärkste politische Kraft im Land werden. Platzeck, auch SPD-Landeschef, hätte dann nur die Möglichkeit, eine „Koalition der Verlierer“ mit der CDU zu bilden. Vorausgesetzt, die SPD käme auf den zweiten Platz. Würde sie hinter der CDU auf den dritten Rang abrutschen, wäre sein Abschied aus der Brandenburger Politik unvermeidlich. Es geht für Platzeck also um alles oder nichts. So wird Platzecks Verhalten natürlich auch von der Landtagswahl beeinflusst. Der Regierungschef hat sich lange für Schröders Arbeits- und Sozialreformen eingesetzt. Noch im Dezember letzten Jahres stimmte er im Vermittlungsausschuss des Bundesrates Hartz IV zu. Auch jetzt lehnt er die Reformen nicht ab, will jedoch die Negativwirkungen für den Osten abmildern. Hat er damals den sozialen und psychologischen Sprengstoff für den Osten unterschätzt? Es sieht so aus. Wie explosiv die von der PDS noch angeheizte Stimmung im Land ist, bekommt er bei seinen Wahlkampfreisen jeden Tag zu spüren. Der einstige Kanzler-Liebling drängt Schröder deshalb, ein besseres Gespür für den Osten zu entwickeln, wo der Rückhalt der SPD rasant schwindet. „Jedes falsche Wort Schröders treibt der PDS sofort neue Wähler zu“, heißt es im Umfeld Platzecks. Der Dissens ist unübersehbar. So rügte ein enttäuschter Platzeck am Rande des SPD-Parteitages: Wäre Schröder in seiner Rede auf die Stimmung im Osten eingegangen, „hätte ich es nicht tun müssen“. Kein Wunder, dass die märkische SPD keinen Wert auf weitere gemeinsame Auftritte Platzecks mit Schröder auf öffentlichen Wahlkundgebungen legt. Stattdessen versucht Platzeck die Rolle der „Stimme des Ostens“ zu übernehmen – was ihn weiter vom Kanzler entfernt.
Michael Mara
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