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Brandenburg: Der Späher

Ein wegen Terrorverdachts angeklagter Syrer hat Anschlagsziele in Berlin ausgekundschaftet

Von Frank Jansen

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Der junge Syrer schaute sich klassische Sehenswürdigkeiten in Berlin an – aber offenbar nicht als Tourist. Shaas Al-M., erst 19 Jahre alt, soll Anfang des Jahres das Brandenburger Tor, das Gebiet um den Reichstag sowie den Alexanderplatz ausgekundschaftet haben. Die drei Orte werden in einem jetzt bekannt gewordenen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) von Anfang Oktober zur Fortsetzung der Untersuchungshaft des Syrers genannt. Sein Erkundungsdrang in Berlin wird in dem Papier mit der Absicht erklärt, das Wissen der Terrormiliz IS „über potenzielle Anschlagsziele in Deutschland zu verbessern“. Damit wird ein Bericht dieser Zeitung von Ende Oktober bestätigt, in dem Sicherheitskreise bereits das Brandenburger Tor und den Reichstag als mögliche Angriffsziele genannt hatten, die Shaas Al-M. ausgespäht haben soll. Die Geschichte scheint ein weiterer Beleg für die anhaltend hohe Terrorgefahr in Berlin zu sein.

Der als Flüchtling nach Deutschland gekommene Al-M. soll seine Erkenntnisse, wie viele Personen und Reisebusse sich zu welcher Zeit am Alexanderplatz, Brandenburger Tor und Reichstag befanden, im Februar einem Kontaktmann des IS mitgeteilt haben. Auf dem Smartphone von Al-M. entdeckten die Ermittler Fotos, die ihn am Alex und am Brandenburger Tor zeigen. Ein arabischer Zeuge hatte den Sicherheitsbehörden berichtet, Al-M. habe die Aufnahmen gemacht, um den IS zu informieren.

Im März wurde der Syrer in Brandenburg, wo er untergebracht war, festgenommen. Die Bundesanwaltschaft erhob Mitte Oktober Anklage gegen Shaas Al.-M. Ihm wird vor allem die Mitgliedschaft in der ausländischen Terrorvereinigung „Islamischer Staat“ vorgeworfen.

Der Fall ist vermutlich wieder ein Hinweis auf Pläne des IS, die Hauptstadt und hier speziell symbolträchtige Orte zu attackieren. Shaas Al-M. ist nicht der einzige Terrorverdächtige, der damit in Verbindung gebracht wird. Im Februar hob die Polizei in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine Zelle algerischer IS-Anhänger aus, die mutmaßlich den Checkpoint Charlie angreifen wollte. Anfang Oktober nahm die Polizei in Leipzig den von Landsleuten überwältigten Syrer Jaber Albakr fest, der im Auftrag der Terrormiliz den Flughafen Tegel ausspioniert haben soll. Albakr, der sich in der Untersuchungshaft erhängte, soll zudem von einem Imam in Berlin radikalisiert worden sein. Und erst vor einer Woche schnappte die Polizei in Berlin den mutmaßlichen IS-Mann Ashraf Al-T., der nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz einen Angriff plante.

„Ein Anschlag in Berlin wäre für den IS ein großer Erfolg“, heißt es in den Sicherheitsbehörden. Die Terrormiliz nehme westliche Hauptstädte ins Visier, weil sie sich von solchen Angriffen eine besondere Schockwirkung verspreche. Als Beispiele für diese Strategie werden die schweren Anschläge in Paris am 13. November 2015 und in Brüssel am 22. März genannt. In der französischen Hauptstadt töteten Selbstmordattentäter 130 Menschen, in der belgischen Metropole verloren 35 Opfer ihr Leben. Die Attacken lösten weltweit Entsetzen aus.

Die Geschichte von Shaas Al-M. wirkt auch tragisch, weil die Terrormiliz den jungen Mann offenbar schon früh manipulierte. Laut Bundesanwaltschaft wurde Shaas Al-M. vor drei Jahren, da war er gerade 16, in seinem Heimatdorf vom Imam der örtlichen Moschee für die Organisation geworben, die sich damals ISIS nannte. Eine militärische und religiöse Ausbildung soll Al-M. jedoch abgebrochen haben. Dennoch beteiligte er sich nach Erkenntnissen der Ermittler an der Belagerung der von Truppen des Assad-Regimes gehaltenen Stadt Deir Ezzor. Außerdem soll Al-M. Lebensmittel für IS-Kämpfer beschafft haben.

Im August 2015 kam Al-M. mit einem Schwager nach Deutschland. Von hier aus soll Al-M. mit einem Smartphone weiter Kontakt zur Terrormiliz gehalten haben. Bei seiner Festnahme im März stellte die Polizei vier Mobiltelefone, vier SIM-Karten und zwei Micro-SD-Speicherkarten sicher – mit Zehntausenden Nachrichten, Fotos und Videos. Obwohl die Auswertung schwierig war, ist die Bundesanwaltschaft dennoch sicher, Al-M. habe nicht nur Ziele in Berlin für Anschläge ausgespäht, sondern sich auch als Kontaktmann für Angriffe zur Verfügung gestellt – und sich bereit erklärt, selbst eine Tat zu verüben. Frank Jansen

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