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Wild aus Brandenburg: Der Wald ruft

Hirsch, Reh, Mufflon: Das Berliner Umland ist ein Paradies für Jäger – und eigentlich auch für Gourmets. Doch nur wenige Köche nehmen diese Spezialitäten auf die Karte.

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Herbst? Wild. Das ist nun mal so in Mitteleuropa. Denn wenn die kühlen Tage kommen, wächst der Appetit auf herzhafte Fleischgerichte, die mit einem ebenso herzhaften Rotwein zusammengehen. Und da auch spätestens Anfang September die Schonzeiten für jagdbares Großwild enden, steht dem Genuss wenig im Weg – zumal in Berlin, das ja mit den Brandenburger Wäldern einen gut gefüllten Tierpark besitzt.

Es gibt dort von allem reichlich, speziell von den sogar ganzjährig verfügbaren Wildschweinen. Feiner schmecken allerdings Rot- und Damwild, und der Rehrücken gilt als das edelste und teuerste Stück schlechthin, jedenfalls, wenn wir von Wildvögeln absehen, die in Brandenburg aber nicht das Hauptthema sind.

Viel Wild in Brandenburg

Dass Wildfleisch polarisiert, hat faktische und küchenhistorische Gründe: Es zieht all jene Esser an, die den kräftigen, animalischen Eigengeschmack lieben, und es stößt jene ab, die ihn hassen und möglicherweise den sehr dunklen Fleischsaft mit Blut gleichsetzen. Aber viel daran ist Vorurteil, weil der angeblich typische Geschmack früherer Küchengenerationen oft das Ergebnis unzureichender Kühlmöglichkeiten war und von der Not zur Tugend stilisiert wurde. Heute würde kaum noch jemand einen Fasan zubereiten, der vorher so lange in der Küche aufgehängt war, bis er vom Haken fiel. Nicht umsonst greifen viele Köche auf das betont milde Hirschfleisch von neuseeländischen Farmen zurück.

Aber bleiben wir in der Region: Hier hinken Nachfrage und Interesse der Köche immer noch weit hinter dem Angebot her. Und das ist riesig: Im Jagdjahr 2014/15 wurden in Brandenburg knapp 166 000 Stück Wildschweine, Rot-, Dam- und Rehwild geschossen, vier Prozent mehr als in der Vorsaison, rund 12 000 Brandenburger haben einen Jagdschein.

Wohin damit? Der für die Wildvermarktung zuständige Mann des Templiner Forstamtes klagte vor einigen Jahren sogar, die Berliner verschmähten Wild aus dem Umland geradezu. Der Satz fiel 2009 anlässlich der Eröffnung des Wildverkaufs in Templin, von dem längst keine Rede mehr ist.

In ausgewählten Fleischereien auf Bestellung

Das Hauptproblem sind die fehlenden, EU-zertifizierten Zerlegebetriebe, der Wildverkauf in Fleischerläden ist streng reglementiert, und die wenigsten Förstereien dürfen Wild in küchentauglichen Portionen verkaufen. Das meiste Fleisch wird von spezialisierten Händlern wie Guido Richard in Fürstenberg direkt oder über den Großhandel in die Profiküchen geleitet. Hobbyköche bekommen es selten und selbst in ausgewählten Fleischereien nur auf Vorbestellung.

Eine große Ausnahme ist der Kreuzberger Laden von Gustav Meyer, der selbst viel jagt und deshalb vor einigen Jahren auf die Idee kam, es persönlich, vernünftig portioniert und eingeschweißt, zu den Berliner Kunden zu bringen. Im Sommer handelt er mit Natursteinen, im Winter mit Wild, wovon er die ganze Saison eine große Auswahl parat hält – nur so lässt sich ein solches Geschäftsmodell aufbauen und finanzieren. Aber das ist ein Einzelfall. Generell fehlt es an Möglichkeiten, den Kunden das Fleisch nahezubringen. Hinzu kommt, dass die jahrhundertelange Tradition der Wildküche in der Region spätestens in der DDR unterbrochen wurde. Frank Schreiber, der Meisterkoch aus Finsterwalde, ist in dieser Zeit im privaten Gasthaus der Familie aufgewachsen – und hat Wild praktisch nie zu sehen bekommen. Denn Privatleute durften nicht jagen, und was die Förster erlegten, verschwand im devisenträchtigen Außenhandel, sofern es nicht tiefgekühlt wurde, um die Strecke von Honeckers Diplomatenjagden optisch üppiger zu gestalten.

Neue Rezeptideen fehlen

Das ist lange her. Regionales Wild passt eigentlich perfekt in das Konzept der viel beschworenen Nova-Regio-Küche, die Herkunft und Saison über alles setzt. Allerdings fehlt es derzeit an überzeugenden neuen Rezeptideen, die über die französisch fundierten Basisrezepte der Wildküche hinausgingen. Das Fleisch ausgelöst und rosa gebraten, dazu eine Jus aus den Knochen, Gemüse mit süßer oder herber Tendenz wie Rot- oder Rosenkohl sowie eine Sättigungsbeilage aus Kartoffeln oder Nudeln – das ist üblich selbst bei Spitzenköchen, die ihre ganze Kreativität in die Vorspeisen stecken und später im Menü Wild oder anderes rotes Fleisch anscheinend nur auftischen, damit der Sommelier noch einen Rotwein aufmachen kann.

Viele gute Köche haben sich in den letzten Jahrzehnten weitgehend darauf konzentriert, diese Gerichte handwerklich zu verbessern, was nicht immer wirklich eine Verbesserung war. Rehrückenfilets aus Niedertemperaturgarung sind mit ihrer weichen, leberartigen Konsistenz ein kulinarisches Missverständnis. Unterhalb der Gourmet-Ebene bis in die Kantinen wird gern Geschmortes angeboten, daran hat sich wenig geändert. Ein Gipfel der Berliner Wildküche ist zweifellos die – eigentlich ganz konventionelle – „Rehbolognese“, die Hendrik Otto im „Lorenz Adlon Esszimmer“ serviert, ein überaus würziges Ragout mit Knöpfle.

Wildschwein in mehreren Varianten, Mufflon, Hirsch und Fasan

Spezielle „Wildrestaurants“ gibt es in Brandenburg nicht. Generell gilt die Regel, dass die besten Köche auch die besten Wildgerichte zubereiten. Deshalb muss man Chefs wie Frank Schreiber oder Holger Mootz nicht lange bitten: Kaum ist der Sommer zu Ende, bauen sie solche Fleischgänge in ihre Menüs ein. Bei Schreiber ist es etwa ein Rehrücken mit Haselnüssen, Wacholdersauce, Mokkaschaum und Spitzkohl, den er in kleinen, gut abgestimmten Portionen reicht. Und richtig in die Vollen geht Mootz, der in der Motzener „Residenz“ nicht nur ein Wild-Menü mit Taube, Hase und Hirsch anbietet, sondern das Thema auch à la carte mit Schwung bearbeitet: Wildschwein in mehreren Varianten, Mufflon, Hirsch und Fasan. Glanzpunkt für alle, die sich sonst nichts gönnen, ist der eher klassische Rehrücken mit Trüffeln und Steinpilzen, während wagemutige Gäste eher den lackierten Hirschrücken mit Feigen, Pistazien, Sanddorn-Linsen und Beten ausprobieren werden. Das alles kommt zumindest zum Teil von Jägern aus der Umgebung. Wer in der Körziner „Landlust“ die geschmorte Rotwildzunge oder den Fläminger Hirschkalbsrücken bestellt, kann sogar voraussetzen, dass die Stücke von Gastgeber Stefan Laun persönlich im Wald beschafft worden sind.

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