Brandenburg: Derbes Brandenburg
Wie es zum Mord von Potzlow kam: Regisseur Andres Veiel sucht in einem Theaterspiel nach Antworten
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Wie es zum Mord von Potzlow kam: Regisseur Andres Veiel sucht in einem Theaterspiel nach Antworten Berlin – Der Mord ist immer gegenwärtig, in Potzlow in der Uckermark. Ein Gedenkstein vor der Kirchenmauer erinnert jeden Tag daran. „Marinus Schöberl“ steht darauf, ermordet am 13. Juli 2002, 16 Jahre alt. Mehr sichtbare Hinweise gibt es in dem 500-Seelen-Dorf im Norden Brandenburgs nicht. Doch vielleicht wird in Berlin bald über Potzlow geredet - oder in Basel. In beiden Städten inszeniert der Dokumentarfilmer Andres Veiel („Die Spielwütigen“, „Black Box BRD“) im April ein Theaterstück über eine Tat, die bundesweit Entsetzen auslöste. Sein Stück ist keine Fiktion: Es beruht auf Gesprächen in Potzlow – zwei Jahre nach dem Mord. Die Mörder Marinus Schöberls waren zwei junge Männer mit rechtsradikaler Vergangenheit. Ein Brüderpaar, das einen Kumpel tötete, der HipHoper-Hosen trug und sich die Haare blond färbte. Sie ermordeten ihn so grausam wie es eine Szene des Kinofilms „American History X“ zeigt. Es gab Zeugen und Mitwisser, und dennoch blieb die Tat fünf Monate lang unentdeckt. „Der Kick“ wird das Zwei-Personen-Stück heißen, das Veiel nun für das Maxim-Gorki-Theater und das Theater Basel geschrieben hat und in Szene setzt. Am 24. April ist Premiere in Berlin. Spielstätte ist ein Gewerbehof nicht weit vom Alexanderplatz. Veiel hat die Uckermark gekannt, bevor dieser Mord geschah. Er liebt die reizvolle Landschaft mit ihren sanften Hügeln und Seen. Er hat auch Potzlow gekannt, ein hübsches Dorf am Oberuckersee mit einer pittoresken Feldsteinkirche, um die sich gepflegte Häuschen ducken. Vielleicht hat ihn der Mord deshalb nicht mehr losgelassen. Warum ausgerechnet hier? Heute kommt es Veiel vor, als sei er auf der Suche nach Antworten in ein fernes, unbekanntes Land aufgebrochen. „Dieses Dorf hat fünf Monate lang mit der Ahnung von einem Mord gelebt“, sagt er. So ähnlich stand es in den Zeitungen, bevor die Mörder zu 8 und 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Doch Veiel weiß es jetzt aus erster Hand, trotz des anfänglichen Misstrauens und der Widerstände in Potzlow. Für sein Stück hat er mit den Verurteilten im Gefängnis gesprochen, mit ihren Eltern, mit Freunden der Täter und des Opfers und auch mit Anwälten. Was er in Potzlow vorfand, nennt Veiel nun eine „seelisch-moralische Versteppung“. Er berichtet von einem Dorf, in dem Kinder und Erwachsene in getrennten Welten leben, niemand Regeln setzt und niemand Normen vermittelt. Er hat eine kleine Welt vorgefunden, durch die sich seit mehr als 60 Jahren ein endloser Fluss von Gewalt zieht. Gewalt in vielen Biografien, in allen Generationen. „Das sind tradierte Traumata“, urteilt der Regisseur. Seit dem Mord an Marinus ist noch ein großes Trauma dazugekommen. Veiels Theaterstück basiert auf seinen Gesprächsprotokollen. Die derbe Sprache eines brandenburgischen Dorfes wird lebendig, sie gibt Ton und Stimmung der Monologe vor. Die Theaterszenen mögen dem Zuschauer eine leise Ahnung davon vermitteln, wie es zum Mord von Potzlow kommen konnte. Das Stück ist ein Denkanstoß. Hinter „Der Kick“ steht eine Antriebskraft, die auch Veiels Dokumentarfilme auszeichnet: die Faszination für Authentizität und eine sehr behutsame Suche nach Motiven für das Handeln. Es sind verschiedene Perspektiven, Annäherungen an etwas, für das es keine Erklärungen zu geben scheint. Doch hinter allem bleibt die Frage, die auch der Gedenkstein nicht beantworten kann: Aus welchem Grund musste Marinus Schöberl mit 16 sterben? Selbst seine Mörder, so wirkt es in Veiels Stück, wissen das bis heute nicht.
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