Brandenburg: Die Angst kommt lange vor dem Bagger
Die Landesregierung dementiert, dass 23 Orte der Braunkohle weichen sollen. Doch die Sorge bleibt
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Welzow - „Das ist ja wohl das Dümmste, was ich je gehört habe.“ Detlef Pusch, amtierender Bürgermeister von Welzow, war genauso empört wie die meisten seiner Amtskollegen in der Lausitz. Am Donnerstag dieser Woche hatte die Nachricht, dass „weitere 23 Dörfer in der Region dem Braunkohletagebau zum Opfer fallen sollen“, bei vielen Einwohnern Aufregung ausgelöst. „Wer will schon in einem Dorf leben, dass nur noch ein paar Jahre steht“, sagte ein Frau in Neupetershain, dem Nachbarort von Welzow.
Die Landesregierung bemühte sich dann auch schnell um Klarstellung der Fakten. „Wir haben stets gesagt, dass wir weiter auch auf Braunkohle setzen“, sagte der Sprecher des Wirtschaftsministeriums, Steffen Kammradt. Zu einer langfristigen Energiestrategie gehöre auch eine Rohstoff-Bestandsanalyse, wie viel Braunkohle überhaupt noch da sei. Dazu sei eine Studie in Auftrag gegeben worden. Man wisse nun, wo Braunkohlefelder liegen.
„Das heißt aber nicht, dass die Dörfer darüber umgesiedelt werden“, sagte Kammradt: „Es heißt nicht einmal, dass die Braunkohle dort überhaupt gefördert wird. Zum einen hängt die Entscheidung dafür nicht von der Landesregierung ab, sondern vom Energiekonzern Vattenfall. Zum anderen reden wir hier über einen Zeitraum nach 2050. Und wer weiß schon, wie dann die Energiesituation und -politik hierzulande, in Deutschland und in der Welt sein wird.“
Der Leiter des Landesbergbauamtes, Klaus Freytag, bezeichnete die Meldung, wonach 23 Dörfer verschwinden sollen, als reine Spekulation. „Da könnte man genau so gut prophezeien, dass Berlin umgesiedelt wird“, sagte er: „Unter der Hauptstadt liegt nämlich auch jede Menge Braunkohle.“ Absurd sei die Behauptung, dass die Einwohner von Neu-Horno, die nach langem Widerstand erst kürzlich ihr altes Heimatdorf räumen mussten, nach 2050 erneut umziehen müssten: „Da werden sinnlos Ängste geschürt.“
Tatsächlich haben die Braunkohlebagger in der Lausitz vielen Menschen die Heimat genommen und tiefe Wunden in der Landschaft hinterlassen. Die Renaturierung – aus den ehemaligen Tagebauen entsteht momentan die größte künstliche Seenplatte Europas – ist teuer und aufwändig. Andererseits kommt Braunkohle im Gegensatz zur Steinkohle ohne Subventionen aus. In Brandenburg lagern noch 80 Milliarden Tonnen. Die Landesregierung fördert seit Jahren Bestrebungen, um so rasch wie möglich zu einer kohlendioxidarmen oder gar -freien Braunkohleverstromung zu kommen.
Die noch genutzten Tagebaue in Brandenburg werden bei gleichbleibenden Fördermengen noch bis zum Jahr 2030 Kohle liefern. Außerdem hat Vattenfall nach eigenen Angaben bereits zwei bis drei weitere Tagebaue in Planung, die allerdings seit längerem bekannt sind. Ein Vattenfall-Sprecher sagte, man könne heute noch nicht absehen, was in dreißig, vierzig Jahren unternehmerisch sinnvoll sei. Und Dörfer würden ohnehin nur im äußersten Notfall und – im Unterschied zu DDR-Zeiten – mit angemessenen Entschädigungen umgesiedelt.
Braunkohlegegner sind angesichts der Tatsache, dass die Tagebaue möglicherweise noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts weiter betrieben werden, entsetzt. Sie verweisen auf die immense Umweltbelastung. Andere argumentieren, dass die Kohle langfristig Arbeitsplätze schaffe – auch wegen der nachfolgenden umfangreichen Renaturierung.
Viele Menschen der möglicherweise betroffenen Dörfer sind trotz der Klarstellungsversuche der Landesregierung verunsichert. „Dort wird niemand mehr investieren, niemand mehr ein Haus bauen“, sagte ein ehemaliges Mitglied des brandenburgischen Braunkohleausschusses: „Damit hat man einer ganzen Region den Todesstoß versetzt.“
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