zum Hauptinhalt
Schreckliche Bilder. Der Reisebus aus Polen steht am 26. September 2010 nach einem schweren Unfall hinter einer Brücke des Autobahnkreuzes Schönefeld auf dem Berliner Ring unweit der brandenburgischen Ortschaft Rangsdorf.

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: Die Anklage lautet: Fahrlässige Tötung Heute beginnt der Prozess nach dem Reisebusunglück bei Schönefeld

Potsdam - Für Grzegorz Jarosz ist der 26. September 2010 ein Schicksalstag.

Stand:

Potsdam - Für Grzegorz Jarosz ist der 26. September 2010 ein Schicksalstag. Der 41-Jährige lenkt den polnischen Reisebus mit 48 Insassen, als dieser auf der A 10 bei Schönefeld nahe Berlin gegen einen Brückenpfeiler knallt. 14 Menschen sterben an der Unfallstelle oder später im Krankenhaus, 35 werden verletzt. Es ist das schreckliche Ende einer Spanien-Reise von Mitarbeitern des Forstamtes im nordwestpolnischen Zlocieniec und ihren Angehörigen. Für den Busfahrer bedeutet es zunächst auch das Ende seines Berufs: Trotz Operationen bangt Jarosz bis heute um sein Augenlicht. Zum Busfahren reicht die Sehkraft bislang nicht.

Am heutigen Freitag beginnt vor dem Landgericht Potsdam der Prozess gegen die Frau, die das Unglück ausgelöst haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft der 38-Jährigen aus Berlin fahrlässige Tötung in 14 Fällen vor. Durch einen Fahrfehler soll die Mitarbeiterin der Berliner Polizeiverwaltung den Unfall ausgelöst haben. Sie selbst wurde damals verletzt. Nach Angaben ihres Anwalts Carsten R. Hoenig leidet sie bis heute unter den Folgen des Unfalls und ist in medizinisch-psychologischer Behandlung.

„Mein Mandant hegt keinen Groll gegen die Frau“, betont Rechtsanwalt Radoslaw Niecko. Er vertritt Busfahrer Jarosz, der in dem Verfahren als Nebenkläger auftritt. „Mein Mandant braucht den Prozess nicht zur Aufarbeitung der Geschichte.“ Doch bei einem Unfall – insbesondere bei einem mit dramatischen Folgen wie in diesem Fall – geht es auch um Haftungsfragen. Um Zahlungen, die Versicherungen zu leisten haben. „Ich muss die Interessen meines Mandanten wahren“, erklärt Niecko. Vorsorglich, betont der Jurist. Bislang verhalte sich die Versicherung der Autofahrerin kulant.

Nach Angaben ihres Verteidigers will die 38-Jährige vor Gericht aussagen – soweit ihr dies möglich ist. Aufgrund einer sogenannten retrograden Amnesie (Gedächtnisverlust) könne sie sich nicht an den Unfallhergang erinnern, sagt Hoenig der Nachrichtenagentur dpa. Seine Mandantin bedauere das Geschehene. „Die Situation ist für sie nicht einfach. Aber sie wird die notwendige Kraft aufbringen, das Verfahren bis zum Abschluss zu bewältigen“, betont Hoenig.

Laut Gutachten, auf das die Staatsanwaltschaft ihre Anklage stützt, hat die Berlinerin einen Fahrfehler begangen: Sie soll Witterung und Straßenverhältnisse nicht ausreichend beachtet haben. Darum stieß sie mit dem Bus zusammen – und dieser knallte gegen einen Brückenpfeiler.

Klaus Scholz gehört zu denen, die damals schnell am Unglücksort waren. Er ist Seelsorger im Kreis Dahme-Spreewald – und musste an jenem Sonntag für die Überlebenden und die Helfer da sein. Der 69-Jährige hat viel Leid erlebt, oft Trost gespendet – doch dieses Unglück berührt ihn besonders. Er spricht von „Bildern des Grauens“ und einem Ereignis, das auch gestandenen Rettungskräften an die Substanz gegangen sei: Tote, Schwerverletzte, schockierte Überlebende, Decken, heiße Getränke, Hände, die sich tröstend auf Schultern legen.

Mit Tränen in den Augen spricht Scholz auch von Dankbarkeit. Der Seelsorger gehörte zu der rund zehnköpfigen Delegation aus Brandenburg, die zum Jahrestag an einer Gedenkfeier in Zlocieniec teilgenommen hat. „Wir haben nur das getan, was unsere Pflicht war. Aber die Menschen dort haben uns wie Helden gefeiert“, berichtet er mit brüchiger Stimme.

Scholz will zum Prozess nach Potsdam fahren – auch um Betroffene wiederzusehen. Nach Angaben des Landgerichts sind zunächst fünf Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte am 1. Juni gesprochen werden. Weil viele Medienvertreter und Zuschauer auch aus Polen erwartet werden, soll der Prozess in den Räumlichkeiten des Verfassungsgerichts stattfinden. Elf Zeugen und drei Sachverständige seien geladen, berichtet Gerichtssprecher Frank Tiemann.

Neben Busfahrer Jarosz sind zwei weitere Nebenkläger zugelassen – junge Polen, die bei dem Unglück ihre Eltern verloren haben. Jarosz wird zugleich als Zeuge aussagen. Seine Vernehmung ist nach Angaben von Sprecher Tiemann bereits am ersten Prozesstag geplant. Dann wird er voraussichtlich auch berichten, wie es um seine Gesundheit steht. Vergangene Woche hatte er erneut einen Termin beim Augenarzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })