Brandenburg: Die Aura vom Himalaya am Brandenburger Tor
15 000 Menschen kamen gestern, um den Dalai Lama live zu erleben
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Berlin - Folk-Musik schallte aus den Lautsprechern. Schon lange vor dem Auftritt des Dalai Lama auf der West-Seite des Brandenburger Tors hatten sich etwa 15 000 Menschen, viele mit der tibetischen Fahne, versammelt. „Wir sind gespannt, was seine Heiligkeit uns zu sagen hat“ sagt Andreas Quandt. Er ist aus Lüdenscheidt angereist. Seine Frau, Exil-Tibeterin, lebte im indischen Exil. Einige empören sich über die Aufschrift auf einem Pappkarton, dessen Botschaft sie missdeuten: „Freiheit auch für Chinesen“. In die Luft hält ihn Wolfgang Kersting, der sich in ein selbstgemachtes Mönchsgewand gehüllt hat. „Wir vergessen zu schnell, dass auch in China die Menschen unterdrückt werden.“ Lahmo Schreiber, eine aus Tibet stammende Berlinerin, zündet mit ihrer Familie ein Bünden Räucherstäbchen an. Mit dem Duft von Heilkräutern aus dem Himalaya wollen sie den Religionsführer begrüßen.
Dessen Auftritt verzögerte sich. Angekündigt war „Seine Heiligkeit“ für 16 Uhr 30. Der Schauspieler Ralf Bauer hatte die Grußbotschaft des Regierenden Bürgermeisters verlesen. Der Regierende ließ mitteilen, der Senat und er persönlich unterstützten den Dalai Lama in dem Bestreben nach größtmöglicher Autonomie der Tibeter. Bauer forderte den SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Beck und Außenminister Frank Walter Steinmeier auf, den Dalai Lama zu treffen.
Als Bauer die Namen der beiden SPD-Größen nannte, gab es Pfiffe aus dem Publikum. Der Chef der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Friedbert Pflüger, sagte bei einem Kurzauftritt am Tor, der Dalai Lama brauche ein Zeichen der Stadt Berlin, die so lang um ihre Freiheit gerungen habe.
Derweil setzt sich der bundespolitische Streit über den Umgang mit dem Dalai Lama setzte sich auf der Berliner Ebene fort: Wowereit hatte den Mann aus Tibet nur schriftlich begrüßt – die Chefinnen und Chefs der Jamaika-Opposition waren umso stolzer, den Religionsführer persönlich zu treffen. Ein paar Minuten hatte der Dalai Lama für Pflüger, die Grünen-Landeschefin Irma Franke- Dressler und den FDP-Fraktionsvorsitzenden Martin Lindner. Die Geste zähle, sagte Pflüger nach dem Treffen.
Die Grünen-Politikerin Franke-Dressler erfuhr zu ihrer Freude, dass der Dalai Lama, wenn überhaupt, nur den Grünen beitreten würde, wie sie sagte. Denn nach Ansicht des Religionsführers wollen die Grünen wie die Glaubensbrüder des Dalai Lama die Schöpfung bewahren. FDP-Fraktionschef Lindner schimpfte über die zerstrittene SPD mitsamt Wowereit. Die SPD hätte früher viel für die Menschrechte übrig gehabt – jetzt reiche es gerade für ein Grußwort.
Der Dalai Lama war am Montag um 9 Uhr auf dem Flughafen Tempelhof gelandet, wie in der Vergangenheit übernachtet er im Hotel Adlon am Pariser Platz, also in Sichtweite der Bühne am Brandenburger Tor. Die Polizei setzte gestern 600 Beamte ein, um Straßen zu sperren und die Demonstranten auseinanderzuhalten. Die Sicherheit des Friedensnobelpreisträgers wurde von Personenschützern des Landeskriminalamtes gewährleistet. Er trägt wegen der aktuellen Tibet-Krise die Gefährdungsstufe 3, dies ist die niedrigste Kategorie. Konkrete Hinweise auf eine Bedrohung gebe es nicht, sagte Polizeieinsatzleiter Michael Krömer. Wegen der vielen Schaulustigen ging die Polizei jedoch recht rigide bei den Sperrungen vor. Als der Friedensnobelpreisträger um 14.28 Uhr das Adlon verließ und zum Reichstag gefahren wurde, kam leichter Beifall auf. Freundlich winkte der Dalai Lama hinter den schusssicheren Scheiben der schwarzen Limousine. Auch vor dem Adlon wehten Dutzende tibetische Flaggen. Auf einem Plakat wurden „Merkel, Köhler und Steinmeier“ ein „windelweicher Charakter“ vorgeworfen – aus Verärgerung, dass kein deutscher Spitzenpolitiker den Tibeter empfangen hat.
Schon mittags hatten sich vor der Tribüne die ersten Tibeter eingefunden. Die Bühne war zuvor von Sprengstoffexperten der Polizei kontrolliert worden. Im Regierungsviertel war wegen der Straßensperrungen für Autofahrer kaum ein Durchkommen.
Vor dem Reichstag waren die Fahnen rot, die Polizei hatte dort eine Gegendemonstration zugelassen, einige Dutzend Chinesen kamen. Organisator Jia Zhiping nannte den Dalai Lama einen „Lügner“, der lediglich seine alte Macht zurückerlangen wolle. Allerdings waren gestern weit weniger Chinesen auf der Straße als im April, als 3000 Menschen bei einer straff organisierten Pro-China-Demo durch Mitte teilgenommen hatten.
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