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Der Schein trügt. Die Stadtoberhäupter der kreisfreien Städte sind unglücklich über die Ministerpläne, auch wenn es hier anders aussieht. Das Plakat wird gehalten vom Frankfurter Oberbürgermeister Wilke und seiner Amtskollegin aus Brandenburg/Havel, Tiemann.

© dpa

Brandenburg: Die Basis ist nicht begeistert

Trotz Irritationen um ein internes Gutachten der Landesregierung gibt der Innenausschuss grünes Licht für den abschließenden Beschluss im Landtag. Der Widerstand bleibt groß

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Potsdam - Die umstrittene Kreisreform der Brandenburger Landesregierung hat nach einem Jahr erbitterter Debatte die erste Hürde genommen. Im Innenausschuss des Landtages stimmte die rot-rote Regierungsmehrheit für die Reform, mit der die Zahl der 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte auf maximal zehn Regionalverwaltungen reduziert werden soll. Die Opposition von CDU, AfD und BVB/Freie Wähler stimmten dagegen, die Abgeordnete der Grünen enthielt sich. Die Schluss-Abstimmung läuft in zwei Wochen im Plenum des Landtags.

Die CDU-Opposition scheiterte im Innenausschuss mit dem Versuch, die Reform in letzter Minute weiter aufzuschieben. Der CDU-Kommunalexperte Sven Petke berief sich dabei auf ein 83-seitiges Papier aus dem Innenministerium, das am Vortag aufgetaucht war. Es handelt sich um eine „Verfassungsrechtliche Bewertung des Leitbildentwurfs für die Verwaltungsstrukturreform 2019“.

Darin hatte das Kommunalreferat des Innenministeriums massive verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Reform formuliert. „Das Leitbild ist grundlegend neu zu gestalten. Ein Neustart sollte deutlich zum Ausdruck gebracht werden“, heißt es in dem Papier. „Das eigentliche Leitbild im rechtlichen Sinne umfasst lediglich zwei Seiten zur Kreisneugliederung und eine halbe Seite zur Einkreisung kreisfreier Städte.“ Die Oberbürgermeister der von Einkreisung bedrohten Städte Frankfurt (Oder), Brandenburg, Cottbus sowie der Städte- und Gemeindebund verlangten deshalb einen Stopp der Reform, mindestens ein Moratorium.

Für Petke war das interne Gutachten, das die Landtagsabgeordneten zwei Stunden vor Beginn der Innenausschusssitzung erreichte, Anlass genug, um einen Verfahrensstopp zu fordern. „Wir können heute nicht seriös über die Reform abstimmen, bevor wir dieses Papier nicht genau durchgelesen haben“, sagte Petke. Wenn Rot-Rot sich über die Bedenken einfach hinwegsetze, „dann degradieren sie den Ausschuss und das Landtagsplenum zu einer Schaufensterveranstaltung“, erklärt er. Dann gehe es nicht darum, in der Sache zu überzeugen, sondern einfach den Koalitionsvertrag durchzusetzen.

Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) entgegnete, er selbst habe das Papier im Februar erarbeiten lassen, damit die Kreisreform auch vor dem Verfassungsgericht Bestand hat. „Es gab den Auftrag an die Abteilung, mit extremer Schärfe jede einzelne Formulierung des Leitbilds für die Reform auf den Prüfstand zu stellen“, sagte Schröter. „Es war nicht der gewöhnliche Weg, aber für mich der einfachste, weil ich mir aus vielen Meinungen eine eigene bilden konnte.“

In dem nun vorliegenden Entwurf der Koalitionsfraktionen sei die Kritik aus seinem Haus aufgenommen und an den „wesentlichen verfassungsrechtlichen Stellen Veränderungen vorgenommen“ worden. Auch Vertreter der rot-roten Regierungsfraktionen und der Grünen lehnten eine Verschiebung der Beschlussfassung über die Reform ab.

Die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher wehrte sich vor allem gegen Petkes Aussage, es sei nicht sicher, ob die Prognosen zur sinkenden Bevölkerungszahl als wichtigster Grund für die Reform stimmten. Dazu gebe es seit Jahren belastbare Demografietrends, sagte Nonnemacher. „Wir hatten hier zum Teil schon Klima-Leugner unter uns, jetzt auch noch Demografie-Leugner“, sagte sie. „Ich schäme mich langsam, Teil dieser Opposition zu sein.“

Wegen des prognostizierten Bevölkerungsrückgangs und der hohen Verschuldung der kreisfreien Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) will die Landesregierung die Zahl der 14 Landkreise von 2019 an auf maximal 9 reduzieren. Nur die Landeshauptstadt Potsdam soll kreisfrei bleiben. Alle Landräte haben sich gegen Zusammenlegungen mit anderen Landkreisen ausgesprochen. Die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte Brandenburg/Havel, Frankfurt (Oder) und Cottbus laufen dagegen Sturm.

Die Stadtoberhäupter demonstrierten am Donnerstag zum wiederholten Mal vor dem Landtag gegen die Reform. „Die Bevölkerung ist dagegen, die Landräte sind dagegen, wir sind dagegen und sogar die Experten im Innenministerium sind dagegen – außer der Landesregierung sind alle gegen diese Reform“, sagte Frankfurts Oberbürgermeister Martin Wilke (parteilos). Rot-Rot bleibe zudem den Nachweis schuldig, dass durch die Verwaltungsreform Kosten gespart würden. „Ich gehe bis zum Letzten“, sagte der Oberbürgermeister von Cottbus, Holger Kelch (CDU). „Wir bereiten uns notfalls auf eine Verfassungsklage vor. Es geht hier nicht nur um Finanzen zur Abmilderung des Verlustes der Kreisfreiheit, sondern es geht aus Sicht der Stadt Cottbus um ihr Selbstbestimmungsrecht.“ Der Bürgermeister von Beeskow, Frank Steffen (SPD), warnte vor Millionenverlusten für bisherige Kreisstädte, die bei Kreisfusionen ihren Status verlieren, und vor steigenden Kreisumlagen. Für die im Land regierende SPD, die die Gebietsreform zu ihrem Kernthema für die Wahlperiode bis 2019 gemacht hat, politisch brisant ist noch eine andere Aussage des SPD-Bürgermeisters aus Oder-Spree. „An der Basis der SPD ist niemand davon begeistert.“

Selbst die Nachjustierungen, die Rot-Rot im Ausschuss mit zehn Beschlüssen – meist mit Hilfe der Grünen – vornahm, konnten die Kritiker nicht besänftigen. Petke erklärte, problematisch seien etwa Zusagen, Frankfurt (Oder) bei seinen maroden Straßenbahnen oder Cottbus bei der Finanzierung der Kultur unter die Arme zu greifen, nur um den Widerstand gegen die Reform zu brechen. Dabei handle es ich um Probleme, die seit Jahren mitgeschleppt würden. „Die Quittung für solch ein Verhalten, wenn man täuscht und trickst, kommt an anderer Stelle“, sagte Petke.

Innenminister Schröter sah sich dagegen für die entscheidende Abstimmung im Landtagsplenum gestärkt – obwohl dort auch Kritiker aus den kreisfreien Städten in den Reihen der Regierungsfraktionen sitzen. „Wir werden auch im Landtagsplenum eine Mehrheit bekommen“, zeigte er sich überzeugt. „Und möglicherweise werden sich dort nicht alle Abgeordneten der Grünen enthalten“, fügte er hoffnungsvoll hinzu.

Die Grünen stehen grundsätzlich zur Reform, kritisieren aber einzelne Bestimmungen. Konkret geht es etwa um Pläne, die Zuständigkeit für Natur-, Umwelt-, Denkmalschutz und die Heimaufsicht vom Land auf die Kreise zu übertragen. In anderen Bundesländern zeige sich dabei in den Kommunen gerade in sensiblen Bereichen ein „Absinken im fachlichen Niveau“.

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