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Brandenburg: Die Brezel kommt aus Prötzel

Entdeckung eines Regionalhistorikers erbringt den Beweis

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Entdeckung eines Regionalhistorikers erbringt den Beweis Von Steffi Prutean und Heidi Ossenberg Prötzel/Ulm. Ihre Qualitätszeichen sind: dicker Bauch und dünne Ärmchen. Frisch und salzig muss sie sein und ordentlich mit Butter bestrichen. So liebt der gemeine Schwabe seine Brezel – und das „seine“ nimmt er durchaus wörtlich. Denn dass die Brezel eine Erfindung der Schwaben ist, ist für die meisten Menschen in Süddeutschland so klar wie die Tatsache, dass die Nürnberger Bratwurst aus Nürnberg stammt. Nun aber hat der Regionalhistoriker Dieter Noeske aus Luckenwalde in Brandenburg eine für Schwaben schier unglaubliche Entdeckung gemacht: Das Aushängeschild des schwäbischen Handwerkbäckers soll aus dem brandenburgischen Dorf Prötzel nordöstlich von Berlin stammen. „Das müssen die Brandenburger erst einmal beweisen“, gibt sich Frank Sautter, Geschäftsführer der Bäckerinnung Alb-Neckar-Fils in Stuttgart, kämpferisch. Noeske glaubt, den Beweis erbringen zu können. „Prötzel hieß Pretzel“, sagt er. So stehe es im Landbuch Kaiser Karl IV. von 1375. Und da „Pretzel“ aus dem Slawischen stamme, wurde es „Precel“ geschrieben. Ein Blick ins polnisch-deutsche Wörterbuch brachte Noeske die Entdeckung: Das deutsche Wort Brezel wird mit „Precel“ übersetzt. „Also muss es in Prötzel vor der slawischen Siedlungsperiode, die etwa im Jahre 600 unserer Zeitrechnung begann, auch Brezeln gegeben haben“, schlussfolgert Noeske. Damit nicht genug: Noch vor der slawischen Siedlungsperiode lebten in der Gegend Germanen vom Stamme der Semnonen. Diese wanderten vom Oderland ins Schwäbische - und nahmen laut Noeske „natürlich ihre heimischen Gewohnheiten mit, auch das Rezept für die haltbaren Brezeln.“ Möglicherweise traf die Brezel aus Prötzel im Süden auf Brezeln, die dort bereits seit der Römerzeit gebacken wurden, räumt der Regionalhistoriker ein. Ein Brezel-Streit findet Noeske daher unnötig. Das meint auch Andrea Fadani vom Museums für Brotkultur in Ulm. Er freut sich darüber, dass die Brezel nun auch kulturgeschichtlich in aller Munde ist - muss aber sowohl Schwaben als auch Brandenburgern alle Illusionen rauben. „Einen Erfinder der Brezel gibt es nach unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht.“ Auch Fadani bestätigt: Das Gebäck kannten bereits die Römer - sie buken ein Ringbrot, das die Urchristen dann als Abendmahlsbrot verwendeten und im 9. Jahrhundert zur Brezel umformten. Über die Klöster, in denen sie vor allem als Fastenspeise diente, verbreitete sich die Brezel im Mittelalter über ganz Europa. Seit der Entstehung der Zünfte im 11. Jahrhundert ziert die Brezel das Wappen der Bäcker - auch das für Fadani ein Zeichen dafür, dass die Brezeln nicht etwa ein in Schwaben erfundenes Gebäck sein kann. Der Name der Brezel, deren Form zwei übereinander geschlagenen Armen ähnelt, wird aus dem lateinischen „bracchium“ (Arm) hergeleitet. Daraus wiederum leiten sich die althochdeutschen Bezeichnungen „prezita“ und deren Nebenformen „brezitella“ und „brezin“ ab, aus denen schließlich das heutige Wort Brezel wurde. „Für uns bleibt es ein regionales Produkt“, betont Backexperte Sautter. Die Einwohner des 1600 Seelen-Ortes Prötzel reagieren zurückhaltend auf die Brezel-Theorie des Heimatforschers. „Die Brezel kommt in der Ortschronik nicht vor“, bescheinigt Marina Dreßler vom Amt Barnim. Der Gastronom Karsten Szeguhn überlegt, ob mit der neuesten Entdeckung vielleicht ein Geschäft zu machen wäre Zu seinem Hotel gehört ein altes Backhaus mit Steinbackofen. Warum sollten dort nicht auch mal Brezeln gebacken werden?

Steffi Prutean, Heidi Ossenberg

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