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Von Alexander Fröhlich: Die Eltern nannten ihn immer Versager, dann tötete er sie Angeklagter fühlte sich unter ständigem Erfolgsdruck – eines Tages „hat es Klick gemacht“

Potsdam/Rathenow - „Versager“ hatten die Eltern immer wieder zu ihm gesagt. Am Ende hielt es René S.

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Potsdam/Rathenow - „Versager“ hatten die Eltern immer wieder zu ihm gesagt. Am Ende hielt es René S. nicht mehr aus. Er tötete sie und zerstückelte die Leichen. Seit gestrigem Dienstag muss sich der 28-Jährige aus Rathenow (Havelland) wegen des Doppelmordes vor dem Landgericht Potsdam verantworten.

René S., ein hagerer, junger Mann mit blassem Gesicht, wirkt fast befreit, als sich der Vorsitzender Richter Frank Tiemann über mehrere Stunden nach den Hintergründen der Tat erkundigt. Und die sind überaus tragisch. Alles beginnt mit seiner Geburt, S. kommt mit einem Klumpfuß zur Welt, die Operation läuft schief, der Junge ist zu 50 Prozent behindert, die Mutter gibt ihre Arbeit auf und betreut ihren Sohn im eigenen Haus. „Dass es eine Parallelwelt gibt da draußen, habe ich erst später gemerkt.“

S. erzählt ruhig, nüchtern von seinen Eltern, die ihn seit der Kindheit von der Außenwelt abschotten und ihn täglich mit dem Auto zur Schule fahren. S. ist ein guter Schüler, Freunde hat er nicht. Als sein Notendurchschnitt in der fünften Klasse von 1,2 auf 1, 5 sinkt, muss er zuhause bei der Mutter nachsitzen. „Sie hat alles nachkontrolliert.“ Nach dem Abitur will er eigentlich Medizin studieren, am liebsten Chirurgie, „vielleicht weil ich als Kind so viel mit Ärzten zu tun hatte“. Die Eltern waren dagegen, Mediziner müssten viel stehen, dass würde ihn überlasten – wegen des Klumpfußes. Nur ihnen zuliebe studiert S. ab 2001 in Potsdam, weil es so gut per Bahn von Rathenow aus zu erreichen ist. Wegzuziehen, daran denkt er nicht.

Die Eltern begleiten ihn beim ersten Mal zur Universität. Besonders die Mutter legt wert auf einen „ehrbaren, angesehenen, sicheren Beruf" für ihren Sohn. Sie selbst, eine studierte Chemikerin, war über Jahre arbeitslos oder in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt. Der Vater war Kesselbauer, verlor nach der Wende einen Baumarkt-Job, das war 1995, im März, April. S. kann sich da gut erinnern, er nimmt so etwas sehr genau.

Im Jura-Studium fehlt ihm das, einem Fach, wo vieles eine Frage der Auslegung ist. Er hat es lieber eindeutig, klar, konkret, wie bei Informatik. Schnell „widert“ S. das Studium an, aber „was man anfängt, das muss man auch zu Ende bringen“, so hat er es in seinem Elternhaus gelernt. Ende 2008 merkt S., dass es nicht mehr weiter geht, er quält sich, lügt seine Eltern an, er habe das erste Staatsexamen bestanden. Da spricht die Mutter schon über eine Doktorarbeit. S. lehnt das für sich ab, eine Woche spricht sie nicht mit ihm. Überhaupt wird wenig geredet in der Familie, die Eltern „leben nebeneinander her“, die Mutter gibt den Ton an, der Vater „trottet hinterher“, „hat sich rausgehalten", Freunde gibt es kaum. Staatsanwalt Gerd Heininger nennt das „familiäre Vereinsamung“.

S. sieht keinen Sinn mehr in dem Studium, ist verzweifelt, versucht an einem Novembertag 2009 in der Universität sich die Pulsadern aufzuschneiden – er überlebt und bricht das Studium ab. Es ist der erste Versuch des Aufbegehrens gegen die übermächtigen Eltern, wie er sagt. Auch jetzt noch herrscht Schweigen in der Familie. Weihnachten, Silvester, Ostern und Geburtstag fallen aus, der Mutter ist nicht nach feiern. Stattdessen wirft sie ihrem Sohn Versagen vor. Der Vater spricht vom Großvater, der sich im Krieg wenigstens „richtig erschossen hat, das hat bei mir nicht geklappt“.

Aber S. schöpft Hoffnung, es ist eine Stellenanzeige für eine Ausbildung zum Finanzwirt, damit auch für einen Weg raus aus dem Elternhaus. Er bewirbt sich, zwei Versuche scheitern. Beim dritten fährt S. nach Hamburg zum Bewerbungsgespräch, die Eltern halten nichts davon.

Es ist der 9. Juni 2010. Am Morgen „ist es übergelaufen, es hat Klick gemacht“, wie S. sagt. Der Vater hält ihm vor, nur für ihn so früh aufstehen zu müssen, um ihn zum Zug zu fahren, und dass die Bewerbung sinnlos sei. Im Keller des Hauses sticht S. mehrmals mit einem Küchenmesser auf den Vater ein. Auch die Mutter macht ihm, noch im Bett liegend, Vorwürfe. Er könne sich die Fahrt sparen, das sei Geldverschwendung, weglaufen bringe nichts. S. nimmt einen Hammer und drischt auf den Kopf der Frau ein. „Ich konnte es einfach nicht mehr hören, die Platte ging immer wieder los. Wie bei einem Kassettenrekorder musste ich die Stopptaste drücken.“ Er fährt noch nach Hamburg, hat ein gutes Gefühl. Einen Tag später, zurück in Rathenow, bekommt er aus Hamburg eine Absage.

In den nächsten Wochen zersägt er wie im Rausch die Leichen seiner Eltern mit einer Kettensäge, kleidet akkurat die Räume mit Folie aus. Die Leiche der Vaters verbrennt er Stück für Stück im Heizungsofen, aber nur nachts, damit die Nachbarn nichts merken, Die Asche bewahrt er in einem Karton auf. Die Körperteile der Mutter versteckt er in Fässern in einem Schuppen. Sechs Wochen später, am 13. Juli, kommt die Polizei, alarmiert von besorgten Nachbarn. Beamte durchkämmen Haus und Grundstück, bemerken den Leichengeruch und finden die Körperreste.

„Richtig ruhig bin ich erst im Gefängnis geworden“, sagt der 28-Jährige. Er habe das zerstört, „was mir wichtig war“. Vor Gericht spricht er von „Mutti“ und „Vati“. Nur wenn es um das Blut geht, die Details, wie er die Leichen zerstückelt hat, zieht sich S. ganz in sich zurück, wendet sich ab, schließt verkrampft die Augen. „Ich kann das nicht mehr ab“, sagt er.

Die Verhandlung wird nächste Woche Donnerstag fortgesetzt, das Urteil wird für Mitte Februar erwartet.

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