Brandenburg: Die Gefühle der Zeugen
Im Betrugsprozess gegen den Linke-Politiker Peer Jürgens ist die Beweislast weiterhin äußerst dünn
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Potsdam - Im Betrugsprozess gegen den früheren Landtagsabgeordneten Peer Jürgens (Linke) musste die Staatsanwaltschaft vor dem Amtsgericht Potsdam einen herben Rückschlag einstecken. Das Gericht wertet Beweise aus den Durchsuchungen der Wohnungen von Jürgens in Potsdam und Beeskow (Oder-Spree) vorerst nicht aus, wie Jürgens’ Verteidiger gegenüber den PNN erklärte. Grund für das Vorgehen des Schöffengerichts ist ein Beschluss des Landgerichts, das 2014 die Razzia für rechtswidrig erklärt hatte.
Das Amtsgericht hat am Donnerstag zwei für den zweiten Verhandlungstag geladene Zeugen wieder ausgeladen. Es handelt sich um einen Kriminalbeamten, der die Durchsuchungen 2014 vornahm, und einen Zeugen der Razzia, einen früheren Wahlkreismitarbeiter von Jürgens. Wegen des eindeutigen Beschlusses des Landgerichts lassen sich die bei den Durchsuchungen gewonnenen Erkenntnisse wohl nicht verwerten.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Potsdam lautet auf gewerbsmäßigen Betrug und Wahlfälschung bei der Kreistagswahl in Oder-Spree im Jahr 2014. Das Potsdamer Schöffengericht hat 34 Zeugen für die fünf Verhandlungstage geladen. Jürgens soll seit 2004 und über zehn Jahre lang in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter und Kreischef der Linken in Oder-Spree durch falsche Angaben zu seinem Hauptwohnsitz knapp 87 000 Euro zu Unrecht vom Landtag kassiert haben – aus Steuergeld. Es geht um 69 700 Euro Fahrtkosten durch falsche Angaben zu seinem Wohnort und 17 000 Euro an Zuschüssen für einen Zweitwohnsitz in Potsdam, nebenbei aber auch noch um Wahlfälschung bei der Kommunalwahl 2014 für den Kreistag Oder-Spree. Statt in Erkner und Beeskow soll der „Genosse“ anfangs in Berlin-Friedenau, seit 2006 in Potsdam gewohnt haben, ab 2009 in einer Eigentumswohnung in Babelsberg, die er nicht meldete. 2014 kam er nicht mehr in den Landtag, er ist in der Linksfraktion seither als Referent angestellt.
Vom Gesamtschaden hat Jürgens bislang 7400 Euro an den Landtag zurückgezahlt. Es handelt sich um den Mietzuschuss für die Zweitwohnung von 2009 bis Anfang 2012. Jürgens bezog das Geld für eine Wohnung, aus der er 2009 in eine Eigentumswohnung gezogen war. Nach dem zweiten Verhandlungstag vor Gericht ist auch nur dieser Fall klar durch Zeugenaussagen belegt und nachweisbar. Alle anderen Vorwürfe konnten durch die Aussagen der Zeugen bislang nicht nachgewiesen werden. Am Donnerstag gehörte Zeugen, einst Jürgens’ Nachbarn aus Beeskow und Erkner, konnten sich nur an wenige Begegnungen mit Jürgens erinnern. Aber auch an die Vernehmung der Polizei: Die wollte wissen, ob Jürgens nach ihrem Eindruck wirklich dort gewohnt habe. „Ich will festhalten, dass Zeugen nicht nur nach Fakten, sondern auch nach ihrem Gefühl befragt wurden – was wenig beweiskräftig ist“, sagte Jürgens’ Verteidiger Norman Lenz.
Erste Ermittlungen waren 2012 eingestellt und nach der Beschwerde der Grünen-Politikerin Sabine Niels 2014 wieder aufgenommen worden. Sie ist am Dienstag als Zeugin geladen. Im Juni 2014 durchsuchten Polizisten Jürgens’ Wohnungen in Potsdam und Beeskow. Letztere war 33 Quadratmeter groß und spärlich eingerichtet, es gab eine Zeitschaltuhr für die Beleuchtung. Die Ermittler vermuten, dass Jürgens vortäuschen wollte, dass er in der Wohnung war. Doch derlei Erkenntnisse sind offenbar schwer verwertbar. Jürgens hatte Beschwerde gegen die Razzia eingelegt. Das Landgericht Potsdam hatte im September 2014 entschieden, dass die Durchsuchung rechtswidrig und unverhältnismäßig war – weil die Rechte des Parlaments berührt waren.
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