Brandenburg: „Die Leute sind sauer“
Parteienforscher: SPD konnte Wählerpotential nicht mobilisieren / Rechtsextreme profitierten nicht von „Frust“
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Parteienforscher: SPD konnte Wählerpotential nicht mobilisieren / Rechtsextreme profitierten nicht von „Frust“ Von Michael Mara Potsdam. Tendenziell haben die bürgerlichen Parteien bei der Landtagswahl in elf Monaten die besseren Karten, für die SPD wird es sehr schwierig werden. Diese These vertritt der renommierte Berliner Parteienforscher Richard Stöss nach Vorliegen des amtlichen Endergebnisses der Kreistags- und Stadtverordneten-Wahlen in Brandenburg: Danach ist die Union um 6,4 auf 27,81 Prozent geklettert, während die bisher die Kreisebene beherrschende SPD um 15,4 auf 23,55 Punkte absackte und die PDS mit 21,3 Punkten gegenüber der letzten Kommunalwahl praktisch stagnierte. Die 1994 aus dem Landtag geflogene FDP verbesserte sich auf 6,3 Prozent, liegt also über der 5-Prozent-Hürde, die unabhängigen Wählergruppen kletterten sogar auf knapp 17 Prozent und damit um fast das Doppelte. Stöss erklärte die Niederlage der SPD bei den Kommunalwahlen vor allem damit, dass sie ihr Wählerpotenzial aufgrund der extrem schlechten Stimmungslage „nicht mobilisieren konnte“. Die SPD-Wähler seien zu Hause geblieben. Zwar hätten alle etablierten Parteien wegen der Politikverdrossenheit Schwierigkeiten, die Wähler an die Urnen zu holen, erst recht bei Kommunalwahlen. „Die Leute sind sauer und schieben das auf die Demokratie.“ Doch seien die Stimmenverluste bei den Sozialdemokraten dramatisch. Gegenüber der letzten Kommunalwahl verloren sie nach offiziellen Angaben des Landeswahlleiters 1,063 Millionen Stimmen (für die Kreistage können maximal drei abgegeben werden). Nennenswerte Verluste gab es auch bei der PDS mit 365 000 und selbst beim Wahlsieger CDU mit 178 000 Stimmen, wobei freilich berücksichtigt werden muss, dass die Beteiligung an der Kommunalwahl 1998 wegen der parallelen Bundestagswahl mit 77,89 Prozent gegenüber jetzt 45,9 wesentlich höher war. Zwar gibt es bisher keine Untersuchungen über Wählerwanderungen, doch glaubt der Forscher nicht, dass SPD-Wähler in Größenordnungen zur CDU gewechselt sind. „Die SPD-Wähler sind zu Hause geblieben.“ Ähnlich sehen es die beiden Parteien selbst: „Die Wanderungen zur CDU sind nicht relevant“, so SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness. „Es sind SPD-Wähler zur CDU gewechselt“, sagt deren Generalsekretär Thomas Lunacek, aber auch er räumt ein: „Leider nicht in der erhofften Zahl.“ Da sich das allgemeine Stimmungsbild bis zur Landtagswahl nicht grundsätzlich ändern wird, rechnet Stöss damit, dass vor allem die SPD erneut große Mobilisierungsschwierigkeiten haben wird: „Sie wird ihren Anhängern nicht sagen können, schaut her, unsere harte Sparpolitik zahlt sich aus.“ Die rot-grünen Reformen könnten in so kurzer Zeit nicht greifen. Auch SPD-Landeschef und Ministerpräsident Matthias Platzeck selbst spricht von einer mehrjährigen Konsolidierungsphase. Andererseits muss laut Stöss damit gerechnet werden, dass die Stimmen der unabhängigen Wählergruppen bei der Landtagswahl eher der CDU und FDP zugute kommen werden als der SPD. Denn es handele sich nach den Erfahrungen eher um bürgerliche Wähler. Stöss ist sich auch nicht sicher, ob das „Personenduell Platzeck-Schönbohm“ so greifen wird, wie es sich die SPD erhofft. Zwar bekommt Platzeck in allen Umfragen deutlich bessere Noten als sein Herausforderer, CDU-Landeschef Jörg Schönbohm. Auch würde er aus einer Direktwahl als klarer Sieger hervorgehen, jedenfalls nach den letzten Umfragen. Doch inzwischen ist die Unzufriedenheit mit der rot-grünen Reformpolitik so groß, dass sie alles überschattet. Für Stöss steht jedenfalls fest: „Die SPD muss sich etwas einfallen lassen.“ Überraschend ist für den Parteienforscher, dass die Rechtsextremen von „dem großen Frust im Land“ zumindest bei den Kommunalwahlen nicht profitieren. In der Regel führe er dazu, dass sie gewählt würden und Auftrieb bekämen. NPD und DVU hätten im Wahlkampf aktive Werbung betrieben, aber trotzdem nur vereinzelt Sitze gewonnen. Auch dies zeige: „Der große Frust hat sich in der Wahlenthaltung niedergeschlagen.“ Dennoch, so Stöss, sei der rechtsextreme Bodensatz da und dürfe auch mit Blick auf die Landtagswahlen nicht unterschätzt werden. Die demokratischen Parteien müssten mehr tun, um beim Wähler wieder Vertrauen zu gewinnen.
Michael Mara
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