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Brandenburg: Die Mauer fällt nicht

400 Demonstranten verhindern den Abriss an der East-Side-Gallery – zumindest vorerst. Senat und Investor sehen die Schuld beim Bezirk, der sich nicht äußert. Die politische Empörung ist nun groß

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Berlin - Fürs Erste hat die Revolution gesiegt. Die Abrissarbeiten an der East-Side-Gallery konnten am Freitag aufgehalten werden. Etwa 400 Leute strömten nach Polizeiangaben am Morgen zur Mühlenstraße. Neben vielen Aktivisten waren der Verein „East Side Gallery e.V.“ und die Initiative „Mediaspree versenken“ dabei. Denn unangekündigt hatten die Bauarbeiter um 7 Uhr früh angefangen, einen Teil der Mauer abzureißen – bis Passanten sie entdeckten und ihr Ruf nach Protest sich über soziale Netzwerke verbreitete. Damit eine 19 Meter weite Lücke in die Mauer geschlagen werden kann, sollen drei Bilder in 21 Teile zerschnitten und dann versetzt werden. Das erste Betonstück wurde um 8.26 Uhr entfernt – abgetrennt und mit einem Kran weggeschafft. Zersägt – für immer.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages für die Mauer protestiere“, sagte eine ältere Dame. Zusammen mit anderen sprengte sie um 9.45 Uhr die Absperrung und lief zur Mauer, bevor das zweite Stück weggetragen werden konnte. „Ich schäme mich heute, Berliner zu sein!“, sagte Robert Muschinski von „Mediaspree versenken“. Ähnlich enttäuscht äußerte sich der Künstler Petrov Ahner. „Hier wird eine Grenze überschritten. Kein Mensch darf Luxuswohnungen im ehemaligen Todesstreifen bauen.“ Hier würden gerade Fehler begangen, die niemand rückgängig machen könne.

Die Polizei ließ die Blockade vorerst zu. Gegen 11 Uhr rückte Verstärkung an, sodass 100 Polizisten im Einsatz waren. Der Einsatzleiter wollte die Blockade zunächst räumen, kurze Zeit später wurde dann aber über Lautsprecher der Baustopp verkündetet. „Wir erachten eine Zwangsräumung nach Gesprächen mit dem Bauherrn als nicht verhältnismäßig“, sagte Polizeisprecherin Gina Meißner vor Ort. Der Bauherr kündigte in dieser Zeitung an, die Arbeiten voraussichtlich am Montag fortsetzen zu wollen.

Die Fraktionschefin der Grünen Antje Kapek gibt dem Senat die Schuld für den Abrissarbeiten: „Es ist peinlich, wie Wowereit, Müller und Nußbaum jetzt versuchen, die Schuld auf den Bezirk abzuwälzen.“ Das Grundstück, auf dem Investor CIC wie berichtet einen Wohnturm errichten will, sei „1992 von der SPD verkauft“ worden, so Kapek. Der Senat ignoriere „die internationale historische, kulturelle und touristische Bedeutung des Kunst- und Gedenkorts“ und weigere sich seit Jahren, für den Erhalt und die Sicherung der Mauergalerie zu sorgen.

Einen unverzüglichen Stopp der Abrissarbeiten forderte auch der Fraktionschef der CDU Florian Graf. Es sei empörend, mit welchem Übereifer Teile der Mauer für einen Hochhausneubau abgetragen werden. Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken Katrin Lompscher sagte: „Spätestens mit dem 2006 von Rot-Rot beschlossenen Konzept zum Mauergedenken ist die Bedeutung der East-Side-Gallery politisch anerkannt und ihre Erhaltung Ziel der Stadt.“ Der Senat sei in der Pflicht, „ein historisches Symbol und touristisches Highlight der Stadt zu bewahren“. Bauherr Maik Uwe Hinkel ist am Telefon hörbar verstört. Er habe nicht geahnt, „was da losgeht“ – und gibt dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Bürgermeister Franz Schulz die Verantwortung. Schulz habe von ihm den Abriss verlangt. Denn der Bezirk brauche die 19 Meter breite Öffnung, um die zurzeit unterbrochene Brommystraße wiederherzustellen und um einen Fluchtweg für Parkbesucher zu schaffen. Die Zufahrt zu Hinkels Neubau allein wäre nicht so breit ausgefallen. Laut Hinkel sei die Umsetzung am 18. Januar mit beiden Bezirken, mit Aktivisten und Vertretern des Landes im „Stadtforum“ diskutiert worden. Dies bestätigte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU, Stefan Evers, der aber hinzufügte: „Bezirk und Investor waren sich offenkundig der Dimension ihres Handelns nicht bewusst.“ Vor zwei Wochen soll Schulz dann den städtebaulichen Vertrag unterzeichnet haben, der Hinkels Firma zur Öffnung der Mauer verpflichtet.

Schulz hatte das Projekt in der „Tageszeitung“ als „meistgehasstes Projekt des Bezirks“ bezeichnet – was Hinkel sich nur als Wahlkampfmanöver erklären kann. Sein Vertrauen in den Bezirk sei erschüttert. Hinkel bestritt, dass ihm Ersatzgrundstücke angeboten worden seien. Dass er Gesprächsangebote abgelehnt haben soll, nannte er „eine Lüge“. Gegen den Klubsprecher Sascha Disselkamp, der ihm im Internet und in einer Mail mit „Heil Hinkel“ diffamiert hatte, schickte er seine Anwälte los. Klubsprecher Disselkamp soll sich entschuldigt, Schulz sich von dessen Aussagen distanziert haben.

Dass Schulz und auch kein anderer Verantwortlicher aus der Bezirksverwaltung Friedrichshain-Kreuzbergs während des Abrisses vertreten war, nannte sogar die Polizei am Freitag erschütternd. Zumal deshalb niemand die Fragen von protestierenden Bürgern beantworten konnte, warum ein Baudenkmal einfach so weggerissen werden darf. Bezirksbürgermeister Schulz beantwortete mehrere Anfragen dieser Zeitung nicht. Kreuzbergs Berliner Bundestagsabgeordneter Hans-Christian Ströbele sagte, er unterstütze „die Proteste gegen die Versetzung von Teilen der East-Side-Gallery“. Er lehne ein Vorgehen ab, „das Tatsachen schaffe und Meinungen ignoriere“.

Auch der Berliner Senat ist irritiert. „Die Baupläne hat der Bezirk 2005 festgelegt, und die gelten“, sagte Petra Rohland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Vorbehalte der Denkmalschutzbehörde gegen den Mauerabbruch seien zurückgestellt worden, zugunsten der Wiederherstellung von Brommybrücke und der Baulanderschließung. Dies erfolge auf Wunsch des Bezirks. Der Senat sei nicht treibende Kraft. Weitere Anträge eines anderen Investors für zusätzliche Öffnungen der East-Side-Gallery seien von Senat und Bezirk abgelehnt worden. Dagegen klage der Investor.

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