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Brandenburg: Die Polizei holt Verstärkung
Innenminister Schröter will ausscheidende Feldjäger für die Sicherheitsbehörden gewinnen. Es gibt sonst nicht genug Nachwuchskräfte. Ab Herbst will die Koalition die Personalplanung überarbeiten
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Potsdam - Es ist ein bitteres Eingeständnis und gibt den Kritikern recht – auch wenn Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) das so deutlich nicht sagt. Er will jetzt die Stellenzahl bei der Polizei deutlich nach oben korrigieren – und kassiert damit nicht nur alle Einsparziele der Polizeireform aus dem Jahr 2011, sondern räumt zugleich das ganze Scheitern der Reform ein.
Nach dem Evaluationsbericht zur Reform, den Schröter am Mittwoch vorlegte, sind künftig 8216 Stellen nötig, damit Brandenburgs Polizei ihre Aufgaben erfüllen kann. Mit Eröffnung des Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld sind den Angaben zufolge 8300 Stellen nötig. Aktuell sind es noch knapp 8100 Stellen. Geplant hatte Rot-Rot bisher mit 7800 Stellen bis zum Jahr 2020. Die Strukturen von vier Direktionen und den Inspektionen und Revieren habe sich jedoch bewährt, sagte Schröter.
Schröter will mit den Ergebnissen nun bei der rot-roten Koalition aus SPD und Linke für die Personalaufstockung werben. Er rechnet aber nicht mit einfachen Verhandlungen, auch wenn die Linke, die die Reform von 2011 zwar mitgetragen, im Landtag aber stets Bedenken geäußert hatte, Schröter am Mittwoch Unterstützung zusicherte. Ebenso die SPD-Fraktion, sie sprach von einer zusätzlich notwendigen Anhebung der Polizeistärke. Die Koalition will ab Herbst die Personalplanung für das Land überarbeiten. Dabei zeichnen sich bereits jetzt Konflikte wegen der begrenzten Finanzmittel ab. Sowohl bei den Lehrern, Erziehern, aber auch bei der Justiz und nun bei der Polizei sind Korrekturen nach oben notwendig. Fraglich ist, welche Ressorts sich am Ende durchsetzen.
Im Zuge der Evaluation hatten die Fachleute gravierende Lücken und Mängel in der Polizeiarbeit festgestellt. Schon die erste, für die Präsentation am Mittwoch aber geglättete Version des Evaluationsberichts zur Polizeireform vom März war deutlich: Demnach herrschen teils verheerende Zustände in Brandenburgs Polizei. Bei der Reform 2011 setzten die Verantwortlichen unrealistische Grundannahmen für die Berechnung des Personalbedarfs durch. Die Reformpläne bestanden den Realitätstest nicht: Es gibt mehr Kriminalität, als die Polizei mit ihrer Stellenzahl bekämpfen könnte.
Schröter sieht sich daher gezwungen, in zahlreichen Bereichen nachzusteuern. Wie gravierend die Lage ist, lässt sich an der vom Ministerium vorgelegten Liste ablesen: Aufgestockt werden soll der Streifendienst, auch die Kriminalpolizei, die Kriminaltechnik, die Fahnder und die Spezialeinheiten sollen gestärkt werden. Besonders der Staatsschutz soll angesichts der rasant wachsenden Zahlen bei politisch motivierter Kriminalität von rechts und angesichts vermehrter Auseinandersetzungen um die steigenden Flüchtlingszahlen aufgestockt werden. Bei den Experten für Internetkriminalität will Schröter ebenfalls nachsteuern, ebenso bei den Ermittlern gegen die anhaltend hohe Grenzkriminalität, gegen das organisierte Verbrechen und Korruption. Nachgebessert werden muss auch bei den Einsatzkommandos und den Überwachungseinheiten und ihrer überalterten Technik. Selbst die Fährtenspürhunde werden auf Schröters Liste genannt, weil sie nicht rund um die Uhr und überall im Land verfügbar sind. Das einst durch die Polizeireform entmachtete und zu einer Fachdirektion degradierte Landeskriminalamt (LKA) soll wieder mehr Einfluss bekommen und wie in anderen Bundesländern eine eigenständige Dienststelle mit Richtlinienkompetenz werden. Nach der Affäre um die geschönte und von Schröter kassierte Kriminalstatistik kontrolliert nun das LKA die korrekte Erfassung der Straftaten.
Wegen der steigenden Zahl von Diebstählen, wegen Grenzkriminalität und Autoklau musste die Landesregierung bereits gegensteuern. Von den einst 8900, aktuell noch knapp 8100 Beamten sollten bis zum Jahr 2020 nur 7000 übrig bleiben. Der Personalabbau wurde deshalb von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), als er Innenminister war, 2013 abgebremst, Rot-Rot einigte sich dann bei der Neuauflage der Koalition im Herbst 2014 auf eine Mindestzahl von 7800 Stellen. Aber auch das wird nicht reichen, wie aus dem Evaluationsbericht hervorgeht. Dass mit sinkender Einwohnerzahl auch die Kriminalität sinken und die Zahl der Einsätze abnehmen würde, wie es einst Ex-Innenminister Rainer Speer (SPD) propagierte, hat sich als falsch erwiesen.
Selbst wenn Schröter die neue Stellenzahl in der Koalition durchsetzen sollte, muss er kurzfristig einen Personalrückgang bewältigen. Nach Darstellung der Gewerkschaften sinkt die Zahl der Beamten in den nächsten Jahren auf 7600. Grund sind die Pensionierungswellen, zahlreiche Beamte scheiden altersbedingt aus dem Dienst aus. Allerdings kann das Ministerium die Berechnungen und Szenarien der Gewerkschaften nicht vollends nachvollziehen. Zwar entstehen durch die Pensionierungen Lücken, doch die fielen nicht so groß aus wie von den Gewerkschaften dargestellt, hieß es.
Die jährlich bis zu 300 Absolventen der Polizeifachhochschule in Oranienburg reichen jedoch nicht aus, um die Altersabgänge aufzufangen. Notfalls müsse bei der Absolventenzahl nachgesteuert werden, heißt es aus dem Ministerium. Zudem könnten ältere Beamten auf Wunsch auch länger arbeiten. Außerdem will Schröter Feldjäger der Bundeswehr, die als Zeitsoldaten dienen und über eine Polizeiausbildung verfügen, vermehrt in Brandenburgs Polizei übernehmen. In diesem Jahr fangen bereits 25 von 60 Bewerbern an. Durch die Nähe zur Julius-Leber-Kaserne in Berlin, wo Feldjäger stationiert sind, hofft Schröter auf noch deutlich mehr Ex-Soldaten. Auch andere Quereinsteiger wie IT-Spezialisten und Chemiker werden gesucht.
Die Gewerkschaft der Polizei und der Bund Deutscher Kriminalbeamter werten die nun vorgeschlagenen 8300 Stellen als Mindestvariante, um in der jetzigen Struktur in den nächsten Jahren „einigermaßen vernünftig arbeiten“ zu können. Der Innenexperte der CDU-Landtagsfraktion, Björn Lakenmacher, sagte, der Evaluationsbericht belege das Scheitern der Polizeireform. Die Korrektur „des radikalen Schrumpfkurses“ werde Jahre in Anspruch nehmen. Die Grünen- Innenexpertin Ursula Nonnemacher sagte: „Im Ergebnis zeigt die Evaluierung, dass an der Polizeistrukturreform weiter herumgedoktert werden muss.“ Die „Megabaustelle Polizeireform“ bleibe dem Innenminister erhalten. Alte Fehler seien wiederholt worden: „Statt den tatsächlichen Personalbedarf aufgabenkritisch zu klären, hat Rot-Rot der Polizeistrukturreform immer politische Zahlen zugrunde gelegt“, so Nonnemacher. Es sei höchst widersprüchlich, dass sich die Struktur bewährt haben soll, aber in nahezu allen Bereich nachgebessert werden muss.
nbsp;Alexander Fröhlich
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