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Brandenburg: Die Spitze des Müllbergs
Die Grünen-Fraktion im Landtag schätzt Kosten wegen illegaler Mülldeponien höher als angenommen
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Potsdam - Die Grünen-Fraktion im Landtag Brandenburg befürchtet, dass das Ausmaß der illegalen Müllverklappung in Brandenburg noch weitaus größer ist als bislang bekannt. Der Grund: Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) musste – obwohl er das Thema zuvor zur Chefsache erklärt hatte – in Reaktion auf Berichte der PNN und des Recherchezentrums Correctiv die Zahl der illegalen Müllhalden im Land nach oben korrigieren. Bis vor Kurzem operierte der Minister selbst mit noch völlig überholten Zahlen. Jüngst korrigierte er wie berichtet die Zahl der amtlich erfassten illegalen Mülldeponien deutlich nach oben. Statt der bisher offiziell bekannten 108 schwarzen Müllhalden sind es 148, wie Vogelsänger im Umweltausschuss des Landtags einräumen musste.
Das wirft aus Sicht des umweltpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion, Benjamin Raschke, weitere Fragen nach den Kosten für die Beräumung der Deponien auf. „Das dicke Ende kommt erst noch“, sagte Raschke. Denn Vogelsänger hatte die Kosten für die Beräumung illegaler Deponien Anfang April zunächst auf 160 Millionen Euro veranschlagt. Später korrigierte er sich und erklärte, diese Summe gelte nur für die 45 Deponien, für die das Land zuständig sei.
Nachdem er nun einräumen musste, dass es in Zuständigkeit des Landes, konkret des Landesbergamtes und des Landesumweltamtes, weitere 40 illegale Deponien gibt, stellt sich für Raschke die Kostenfrage noch einmal neu. Die nach Recherchen von Correctiv und PNN mindestens auf mehr als 300 Millionen Euro taxierten Kosten, also das Doppelte der bislang von Vogelsänger verbreiteten Summe, „sind da offenkundig nicht weit hergeholt“, sagte Raschke. Vermutlich seien es aber noch weitaus mehr.
Beräumt sind bislang zudem die wenigsten Anlagen. Von den bislang bekannten 65 Anlagen in Verantwortung des Landesumweltamtes sind bislang nur elf beräumt, zehn befinden sich in Beräumung. Keine Kenntnisse hat das Land, wie es bei den 63 illegalen Müllhalden aussieht, für die die Landkreise zuständig sind. Offen ist auch, ob die Landkreise deren Beräumung überhaupt finanziell stemmen können.
Dem Land liegen obendrein keinerlei Informationen vor, ob von den Lagern in Kreishand eine Umweltgefährdung ausgeht. Nicht einmal bei den illegalen Mülllöchern in Landesverantwortung gibt es dazu einen ausreichenden Überblick, wie aus einer Antwort des Umweltministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion hervorgeht.
Besonders erschreckend: Die 21 illegalen Müllhalden, die bereits zurückgebaut wurden oder im Rückbau waren, sind vom Landesumweltamt nicht erneut von Experten der Behörde begangen worden. Selbst bei den zuletzt in den Jahren 2013 und 2014 kontrollierten 35 illegalen Mülllöchern, in denen nicht zugelassener Abfall verklappt wurde, waren die Kontrollen eher lax. Seither geschah offenbar nichts weiter. Auch bei den bereits drei Jahre zurückliegenden Kontrollen fanden nur eine „Inaugenscheinnahme“ und eine Bestandsaufnahme statt – Proben wurden aber nicht genommen.
Es liegen auch nur teilweise amtliche Gefährdungseinschätzungen vor. Ob Risiken für das Grundwasser bestehen oder ob es durch chemische Reaktionen durch Luftkontakt des Mülls zu extremer Wärmebildung kommen kann und damit zu Feuergefahr. Ob Giftstoffe wie Pestizide oder Medikamente in den Halden abgekippt wurden, hat das Landesumweltamt für keine der 35 Halden überprüft.
Dennoch behauptet das Ministerium: „Es kann daher mit hoher Sicherheit eingeschätzt werden, dass in den Lagern keine Abfälle vorhanden sind, von denen eine Gefährdung für die Schutzgüter“ – also Luft, Boden, Wasser – ausgeht. Dabei beruft sich das Ministerium auf die Überwachung von Müllhalden, als sie noch in Betrieb waren. Dass dabei aber auch die Behörden oft genug getäuscht wurden, davon steht kein Wort in der Antwort des Ministeriums. Er teilt vielmehr mit: „Letzte Sicherheit im Einzelfall kann nur durch vollständige Aufnahme, zum Beispiel im Rahmen eines Rückbaus, des jeweiligen Lagers erbracht werden.“ Dabei war genau das das Problem in Brandenburg: Der Einzelfall ist längst die Regel geworden.
Der Grünen-Abgeordnete wirft Vogelsänger deshalb Blauäugigkeit vor. „Offenbar hat der Minister keinen Überblick darüber, wie viele illegale Deponien es in Brandenburg überhaupt gibt und was dort lagert“, so Raschke. Wenn 148 Deponien von insgesamt 1086 im Land illegal seien, dann sei das eine erschreckend hohe Zahl. Fast 14 Prozent sind demnach gesetzeswidrige Müllhalden. Wenn das Umweltamt die Deponien auch nur in Augenschein nehme, sei die Gefahr auch nicht abzuschätzen. „Jeder weiß, dass man eine Probe nehmen muss“, so Raschke.
Grund für die Situation ist laut Raschke Personalmangel. Bei vier Mitarbeitern im Landesumweltamt, die für die Kontrolle der Deponien zuständig seien, könne auch nicht mehr erwartet werden. „Wenn die Behörde nicht weiß, was in den Deponien liegt, besteht natürlich auch keine Gefahr im Verzug“, sagt der Grünen-Politiker. „Minister Vogelsänger hat auch kein Geld und kein Konzept, wie er mit den illegalen Deponien umgehen soll. Kann er auch nicht, wenn er nicht weiß, welcher Müll dort liegt.“ Das Vorgehen des Landes sei angesichts der großen kriminellen Energien von Betreibern unerlaubter Halden grob fahrlässig. Da bleibe nur die Hoffnung, dass nichts wirkliches Schlimmes in den illegale Deponien lagere. Alexander Fröhlich
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