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Brandenburg: Die stillen Helden von Berlin

Die Wilmersdorferin Lisa Holländer rettete die Jüdin Inge Deutschkron vor den Nazis. Sie und die anderen Helfer bleiben unvergessen

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Berlin, das war Inge Deutschkrons Heimat bis 1946. Und ist es Jahrzehnte später wieder geworden. Doch wäre der Schriftstellerin und Autorin im Dritten Reich nicht eine Wilmersdorferin begegnet, sie würde heute wohl kaum einige Straßen entfernt von dem Haus leben, in dem sie gemeinsam mit ihrer Mutter versteckt wurde. Vielleicht würde sie überhaupt nicht mehr leben. Denn als Jüdin wurde sie, wie Tausende andere Menschen, von den Nationalsozialisten verfolgt.

Die Wilmersdorferin, die einen großen Anteil an Inge und Ella Deutschkrons Überleben hat, hieß Lisa Holländer, war damals Mitte fünfzig und trug blonde Locken. Ohne das geringste Zögern nahm die Witwe Mutter und Tochter im Sommer 1943 in ihrer Wohnung auf. Dabei waren die beiden Frauen untergetauchte Jüdinnen, die sich den Deportationen, die ab Oktober 1941 in Berlin begannen, durch Flucht entzogen. Der Vater war noch 1939 mit einem teuren Visum nach England geflüchtet. Frau und Tochter mussten zurückbleiben. Seit Januar 1943 lebten sie unter falschen Namen, übernachteten bei verschiedenen Helfern. Zu denen gehört auch Lisa Holländer. Mit dem Verstecken sogenannter „U-Boote“, wie die Untergetauchten damals genannt wurden, riskierten alle Helfer ihr Leben.

70 Jahre, nachdem sie bei Lisa Holländer Unterschlupf fand, steht Inge Deutschkron in diesen Tagen erneut im Rosenhof, einem vierstöckigen Mehrfamilienhaus in der Sächsischen Straße 26 in Wilmersdorf. Vom Rosenarrangement in der Mitte des Hofes, der dem Haus den Namen gab, ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Inge Deutschkron sieht sich auf dem Gelände um und bemerkt: „Früher war das Haus gepflegter.“ Sie schaut auf die Eingangstür, neben der heute eine Gedenktafel an die Helferin erinnert, und blickt nach oben in den ersten Stock, wo sie sich einst vor den Nazis versteckte. Die Erinnerungen an Lisa Holländer werden lebendig: „Sie war eine sehr gütige Frau, die selbst viel im Leben durchgemacht hat“, beschreibt Deutschkron ihre Helferin: „Sie war eine unglaubliche Frau“ – und: „Tante Lisa sagte einmal zu uns, ‚Ich kenne keine Angst’“.

Dann erzählt sie, was sie über ihre Retterin weiß: Lisa Holländer, am Heiligabend 1890 geboren, hatte einen jüdischen Ehemann. Paul Holländer heiratet sie, obwohl sie ein uneheliches Kind hat – keine Selbstverständlichkeit zur damaligen Zeit. Im November 1938 wird der Exportkaufmann in ein KZ verschleppt. Eines Tages bekommt Lisa Holländer nur eine blutbefleckte Hose zugeschickt und die Auskunft, ihr Mann sei an Herzversagen gestorben. Dieser Verlust, der Mord an ihrem Mann, bestimmte von nun an ihr Handeln, meint Inge Deutschkron.

In der Wilmersdorfer Wohnung leben die drei Frauen über mehrere Monate wie in einer Wohngemeinschaft beisammen. Inge nennt Lisa Holländer bald Tante Lisa. „Ich habe mich dort wahnsinnig wohlgefühlt“, erinnert sie sich. Fast hätten sie und ihre Mutter ein normales Leben geführt. Beide arbeiteten unter dem falschen, arischen Namen „Richter“ und trugen so zum Unterhalt bei.

„Tante Lisa teilte alles mit uns“, sagt Deutschkron. „Und das in Zeiten, in denen alles Mangelware war.“ Doch ihre Wohltätigkeit hatte auch Grenzen – nämlich wenn die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt klingelte, um Spenden zu sammeln. „Tante Lisa schmiss ihnen energisch die Tür vor der Nase zu“, erinnert sich Deutschkron. Auch die Bitte ihrer Mutter, lieber den Anschein zu wahren, lehnt sie ab. „Die kriegen von mir keinen Pfennig und damit basta.“

Das Zusammenleben der drei Frauen endete abrupt. „Wir hätten dort noch länger bleiben können, wäre da nicht die Nacht des 30. Januar 1944 gewesen“, sagt Deutschkron. In dieser Nacht gleicht die Sächsische Straße einem Flammenmeer, eine der von den Alliierten abgeworfenen Brandbomben hat auch das Haus Nummer 26 getroffen. Im Nieselregen stehen die drei Frauen auf der Straße, müssen mit ansehen, wie ihre Bleibe zerstört wird. Doch statt Verzweiflung packt Inge Deutschkron Tatendrang, sie schleppt zusammen mit einem Hitlerjungen Möbel aus dem brennenden Haus. „Es war natürlich völlig irre, etwas retten zu wollen“, meint Inge Deutschkron: „Tante Lisa hatte völlig recht, wir wussten gar nicht, wohin mit den Möbeln.“ Am nächsten Morgen bringt der Schwager von Lisa Holländer die drei Frauen nach Potsdam. Ein alter Ziegenstall wird für die Deutschkrons ihr neues Quartier. Oft besucht sie dort Lisa Holländer, die anderswo unterkommt, die beiden aber weiter unterstützt.

Ohne Lisa Holländer, so steht fest, hätten Inge Deutschkron und ihre Mutter das Dritte Reich nicht überlebt. Sie ist eine von vielen stillen Helden, durch die in Berlin insgesamt 1700 Untergetauchte den Holocaust überlebten; in ganz Deutschland waren es etwa 5000. Die Freundschaft zu ihrer Retterin besteht für die Deutschkrons natürlich auch nach dem Kriegsende fort.

Im Jahr 1971 wird Holländer von der jüdischen Gedenkstätte in Yad Vashem in Israel als Gerechte unter den Völkern geehrt. Sie stirbt im Alter von 90 Jahren in Berlin. Seit November 2005 ziert eine Gedenktafel das ehemalige Wohnhaus von Lisa Holländer. Auf der weißen Porzellantafel ist in blauer Schrift zu lesen: „Sie riskierte ihr Leben, um eine Jüdin und deren Tochter vor der Deportation und Ermordung durch die Nationalsozialisten zu bewahren.“ Vielleicht, sagt Inge Deutschkron, fand Lisa Holländer in der Hilfe für die beiden Frauen Trost. Ihren jüdischen Ehemann hatte sie nicht vor dem Tod bewahren können, dafür aber Inge und Ella Deutschkron. Es war ein stiller Akt der Menschlichkeit.

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