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Brandenburg: Die Therapie beginnt mit Kulturschock

Der Bauernhof, eine „Insel“ für straffällige Jugendliche in der Uckermark, wird fünf Jahre alt

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Der Bauernhof, eine „Insel“ für straffällige Jugendliche in der Uckermark, wird fünf Jahre alt Von Juliane Sommer Petershagen. Die Therapie auf dem Bauernhof „Insel“ nahe Petershagen (Uckermark) beginnt mit einem Kulturschock. „Die Kinder, die zu uns kommen, haben eine oft schon beachtliche kriminelle Karriere hinter sich. Einbrüche, Autoklau, Raubüberfälle. Sie lebten auf den Großstadtstraßen, haben Drogen genommen“, berichtet die Leiterin der Einrichtung des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerkes (EJF) Helga Kriese. Ständige Reizüberflutung, Leben unter Hochspannung. Und auf dem Bauernhof absolute Ruhe, das nächste Haus ist über einen Kilometer weit entfernt. Der Tagesablauf ist strikt geregelt: 6 Uhr wecken, 6.30 Uhr Frühstück, vormittags Schule, danach Projektarbeit und organisierte Freizeit. Tätigkeiten auf dem Bauernhof gehören zum Programm: Tiere füttern, umgraben, Unkraut jäten, ernten. „Es dauert gut ein halbes Jahr, ehe die Kinder wirklich bei uns ankommen. Zunächst üben sie sich Zweckverhalten, sind diszipliniert, spielen in der Hoffnung mit, dass sie bald wieder zurück können, wenn sie sich benehmen“, berichtet sie. „Wenn sie dann merken, dass es doch nicht so schnell geht, kommt noch einmal eine Krise. Und erst dann kann die richtige Arbeit beginnen“, unterstreicht Kriese. Im Schnitt bleiben die jungen Delinquenten, die strafunmündig sind, wenn sie in Petershagen ankommen, drei Jahre auf dem Bauernhof. Dann folgen zumeist betreute Wohnformen, die Rückkehr ins Elternhaus oder der Aufbau eines selbstständigen Lebens. 34 Kinder haben bislang in der Einrichtung gelebt, die am Dienstag ihren fünften Geburtstag feierte. „Von denen ist bislang nur einer im Knast gelandet, zwei mussten in die geschlossene psychiatrisch Einrichtung eingewiesen werden, die übrigen sind auf dem Weg in ein normales Leben. Das ist doch eine gute Quote“, ist Helga Kriese überzeugt. Die geschlossene Psychiatrie wäre für alle Kinder in Petershagen die einzige Alternative gewesen, wenn es die Insel nicht gäbe. „Die meisten haben bereits in etlichen Heimen gelebt, ehe sie bei uns landen, weil die anderen Heime mit ihnen nicht mehr klar kamen“, berichtet die Leiterin. Geschlossen ist hier nichts, kein Zaun hindert die Kinder am Weglaufen. „Und Weggelaufen wird schon. Bislang sind aber alle wieder zurückgekommen“, erzählt die Chefin des Hauses. Die Insel funktioniert nach dem Prinzip „Menschen statt Mauern“, nach dem das EJF seit Mitte der 90er Jahre auch die deutschlandweit erste Einrichtung für die Vermeidung von U-Haft bei Jugendlichen in Frostenwalde bei Schwedt betreibt. Hier werden straffällige Jugendliche bis zum Beginn ihrer Hauptverhandlung betreut und resozialisiert. Durch die Vermeidung von U-Haft soll hier die Gefahr verringert werden, dass diese Jugendlichen erst recht in eine kriminelle Karriere einsteigen. „Menschen statt Mauern“ braucht viele Betreuer. Auf ein Kind kommt ein Erzieher in Petershagen. Und die Arbeit besteht nicht nur darin, die Kinder an einen regelmäßigen Tagesablauf zu gewöhnen, „sondern sie überhaupt wieder zu befähigen zu lernen, zu spielen, auch Wärme anzunehmen“, erklärt Helga Kriese. Über die Taten und die daraus erwachsenden Konsequenzen werde gesprochen. Immer wieder, unterstreicht Helga Kriese und fügt hinzu: „Die jungen Menschen haben meist überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Das muss ihnen hier erst antrainiert werden.“

Juliane Sommer

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