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Brandenburger Vor- und Nachwende-Karriere: Die unklare Vergangenheit des Heinz Vietze
Die Politik-Biographie des Ex-SED-Bezirkssekretärs und Linke-Politikers gerät nach Sichtung von Akten der DDR-Staatssicherheit weiter ins Zwielicht. Am Freitag ist Vietze vor Enquete-Kommission des Landtages zum Umgang Brandenburgs mit dem DDR-Erbe
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Im Juli 1979 ging es im Zentralen Pionierlager Prebelow heiß her. Jugendliche aus Rheinland-Pfalz von der Partnerorganisation der DDR-FDJ, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), waren zu Gast. Nicht alles lief wie gewünscht. DDR-Teilnehmer äußerten sich abfällig über den Arbeiter- und Bauernstaat. Ein SED-Mitglied sagte den Pfälzern, dass er keinen Unterschied zwischen der nationalsozialistischen SS und der Stasi erkennen könne. Die SDAJ-Westfunktionäre meldeten solche Abweichler beflissen ihren FDJ-Ostfunktionären gewissermaßen als grenzüberschreitende Vorsichtsmaßnahme. Auch die intimen Beziehungen zwischen einem jungen SED-Mitglied und einer 16-jährigen westdeutschen Betreuerin waren zu vermelden. Es wurden „Aussprachen geführt, bei denen sich die Angaben der BRD-Delegation bestätigten“. Dann wurde eingeschritten und die vier Sünder wurden aus dem Lager „herausgelöst“. Dabei aber blieb es nicht. Anschließend fand auch eine „Beratung“ mit der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit statt, bei der der Geheimpolizei Namen und Sachverhalte mitgeteilt wurden. Die schrieb mit, leitete Maßnahmen ein und so ist die Angelegenheit der Nachwelt erhalten geblieben. Der Mann, der damals als sogenannter gesellschaftlicher Mitarbeiter der Stasi berichtete, war Heinz Vietze.
Ja, sagt er heute, aber das alles war doch Teil meiner Arbeit als FDJ-Funktionär, ganz offiziell, gar nicht konspirativ, also weit entfernt von der Spitzeltätigkeit beispielsweise des heutigen Landesvorsitzenden der Linkspartei, Thomas Nord.
Seit 1971 und bis zu seinem Aufstieg als SED-Kreissekretär im Jahr 1985 hat Vietze regelmäßig eng mit Stasi-Offizieren zusammengearbeitet. Nur ein Teil seiner Berichte ist erhalten. Das, was da ist, liest sich allerdings in einigen Teilen wie eine klassische Akte eines zuverlässigen Spitzels, auch wenn sich das Geschehen in aller Regel im Büro des Jugendfunktionärs abspielte. Ganz persönliche Einschätzungen zu Mitmenschen („Schwatzhaftigkeit“) sind da zu finden, zum großen Teil im Zusammenhang mit den Problemen, die sich aus der Arbeit Vietzes ergaben. Aber es ging zuweilen auch um anderes, beispielsweise um einen Nachbarn in dem Wohnobjekt des Genossen Vietze. Und wie sonstige Spitzel auch bekam der Genosse Vietze kleinere Geschenke, zumeist Blumen, zuweilen verbunden mit der Verleihung einer der Orden, die die Stasi ihren Helfern zugestand. Und wie üblich überprüfte das MfS den Informanten Vietze durch andere Spitzel.
Als 1991 die Diskussion um die Stasi-Kontakte der brandenburgischen Landtagsabgeordneten los ging und die Akten der Stasi-Unterlagenbehörde in Potsdam eintrafen, waren die zu Vietze mit am umfangreichsten. Und doch blieb, wie berichtet, er als einziger völlig unbehelligt, noch nicht einmal benannt wurde der Mann als ein „Grenzfall“, obwohl bei anderen schon zwei dünne Karteikarten ausreichten.
Er habe immer gesagt, dass seine Berichte an die Geheimpolizei ganz offiziell erfolgt seien, meint Vietze dazu. Während sich in Potsdam die Politiker monatelang darum stritten, wer wohl Manfred Stolpe einst eine Stasi-Medaille überreicht hatte, wurde Vietze nicht einmal gefragt, wie das mit seinen Stasi-Orden wohl gewesen sein könnte. Vietze hat in den zwanzig Jahren, in denen er eine herausragende Rolle in der Landespolitik und im Hintergrund auch in der Bundespartei hinter Gregor Gysi und Lothar Bisky spielte, sich nie rechtfertigen müssen für diese Art der Kooperation mit der DDR-Geheimpolizei. Dabei lesen sich manche seiner Informationen in ihrer Mischung aus Gesinnungsschnüffelei und privaten Details keinen Deut anders als die von Weggefährten, die deswegen teils heftigen öffentlichen Debatten ausgesetzt waren. Vietze schaffte es, seine frühe Stasi-Tätigkeit hinter der späteren, ungleich schwerwiegenderen Tätigkeit als hoher SED-Funktionär zu verstecken. Da war er dann ab 1985 der Mann, der nicht mehr der Stasi berichtete, sondern dem die Stasi berichtete. Darüber hat er dann auch viel geredet und nie ein Geheimnis daraus gemacht.
Ausweichend antwortete Vietze am Donnerstag auf die Frage, wie es denn zu erklären sei, dass er im Gegensatz zu allen anderen nie mit den Berichten, die er offenbar genau kennt, konfrontiert wurde. Ausführlich schilderte er die Pflichten eines loyalen DDR-Bürgers, zumal eines aufstrebenden Parteisoldaten, der sich dem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis der SED-Herrschaft unterzuordnen hatte. „Das ist doch heute auch noch genau so, dass es zuweilen Überprüfungen gibt und dann kann einer eben nichts werden, weil es Bedenken gibt“, sagt er und erwähnt in diesem Zusammenhang Unterhaltungen mit dem früheren Innenminister Jörg Schönbohm, der den Verfassungsschutz leitete. Seine Kooperation mit der Geheimpolizei der DDR, so seine Erklärung, habe sich im Rahmen dessen bewegt, was eben üblich gewesen sei. Und die SED habe weit über zwei Millionen Mitglieder gehabt, sagt Vietze ebenfalls.
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